Der Österreicher gewinnt zum zweiten Mal die Vierschanzentournee. Severin Freund scheitert früh, Andreas Wellinger rutscht in den Schnee.

Bischofshofen. Als sich Gregor Schlierenzauer im strömenden Regen von Bischofshofen zum zweiten Mal als Sieger der deutsch-österreichischen Vierschanzentournee feiern ließ, war bei den deutschen Skispringern längst der Katzenjammer eingekehrt. Severin Freund, dem viele im Tourneefinale einen Podestplatz zugetraut hatten, verpasste als 33. sogar den zweiten Durchgang. Und dem 17 Jahre alten Andreas Wellinger gelang zwar mit 133,5 Metern der weiteste Satz des ersten Durchgangs, doch nach einem Sturz waren alle Chancen auf einen Podestplatz dahin. "Das war extrem unglücklich. Er hätte geführt. Man muss sich damit trösten, dass nichts passiert ist", sagte Bundestrainer Werner Schuster.

Am Ende blieb der achte Rang von Routinier Michael Neumayer das beste Ergebnis an diesem Tag, auch Altmeister Martin Schmitt lieferte als 24. ein eher durchschnittliches Ergebnis ab. So blieb unter dem Strich der erste deutsche Tournee-Podestplatz seit vier Jahren durch Freunds dritten Rang in Oberstdorf und die Erkenntnis, dass die jungen DSV-Springer für die ganz großen Siege noch nicht reif sind. "Die Tournee ist in der Spitze an uns vorbeigelaufen", so Schusters Fazit. "Von der mannschaftlichen Präsenz her sind wir aber gut wie lange nicht mehr."

Der letzte Tag dieser Tournee vor 20.000 Zuschauern in Bischofshofen aber gehörte Gregor Schlierenzauer. Als ihm der Norweger Anders Jacobsen mit einem herausragenden zweiten Sprung noch einmal den Kampf ansagte, fühlte sich der Österreicher vor heimischem Publikum erst richtig herausgefordert. "Ich habe mir da gedacht: Erst unter großem Druck reifen die richtig großen Diamanten", sagte Schlierenzauer später. "Dann bin ich gesprungen." Und hatte bald darauf allen Anlass, mit leicht verklärtem Blick hinauf zum Feuerwerk zu schauen. Er hatte nicht nur das letzte Springen der diesjährigen Tournee gewonnen, sondern auch die Gesamtwertung.

Gregor Schlierenzauer ist einfach ein Phänomen. Am Vorabend seines 23. Geburtstags holte sich der Tiroler bereits seinen zweiten Sieg bei der so prestigeträchtigen Vierschanzentournee. Das ist in der 61 Jahre währenden Tournee-Historie bisher nur sieben Athleten gelungen. "Es ist unglaublich, ich muss das erst mal kapieren.", sagt der neue und alte Champion. Schlierenzauer hat sich vom Jahrhunderttalent zum wohl besten Sportler entwickelt, den die Skisprungwelt je gesehen hat. Der erneute Triumph ist nur einer der unzähligen Belege für die Extraklasse des jungen Österreichers.

Welche Ziele bleiben einem Menschen jetzt noch, der mit 23 Jahren schon fast alles erreicht hat? Schließlich hatte er die Szene bereits als 16-Jähriger mit seinem ersten Weltcupsieg verblüfft. Schlierenzauer kann alles: Er ist ein Flieger, gleichzeitig athletisch und ein akribischer Arbeiter. Einer, der mit allen Schanzen zurechtkommt. So konstant wie er seit 2006 durch die Skisprunggeschichte hüpft, sprang noch niemand vor ihm.

"Gregor springt ein stabiles System. Auch wenn er seinen Sprung nicht hundertprozentig hinbekommt, verzeiht es kleinere Fehler", sagt der letzte deutsche Tourneesieger Sven Hannawald. Aber kleine Fehler mag Schlierenzauer nicht, er sucht nach Perfektion.

Schon in seinem ersten Weltcupwinter landete er auf Platz zwei der Vierschanzentournee - damals hinter Anders Jacobsen. Es folgten bis heute 45 Weltcupsiege, ein Triumph im Gesamtweltcup, WM-Titel und Olympiagold mit dem Team. "Früher sind bei einem fünften Platz vielleicht Tränen geflossen. Mittlerweile bin ich etwas relaxter", sagt er. Ein Grund dafür ist sein Leben neben dem Sport. Denn wenn Schlierenzauer nicht gerade von den Schanzen springt oder im Athletikraum schuftet, fotografiert er leidenschaftlich. In Wien läuft zurzeit sogar seine zweite Ausstellung. Seine dritte Passion nach Sport und Fotografie ist das Designen - er hat seine eigene Modekollektion entworfen. "Gewinnen ist nicht das Wichtigste", sagt er heute.

Extrem ehrgeizig ist der 23-Jährige aber immer noch. "Wenn ich dann oben sitze, will ich es natürlich wissen und gewinnen - das ist keine Frage. Aber ich bin entspannter geworden." Der Tourneesieg im vergangenen Jahr hat ihn in dieser Hinsicht ein gutes Stück nach vorne gebracht. Es war ein Zeichen, dass er nichts erzwingen kann.

Kraft schöpft Schlierenzauer vor allem aus seiner Familie. Das war schon damals so, als er mit 16 Jahren auf einmal in Superstar-Sphären sprang.

Jetzt fehlt dem Ausnahmetalent in seiner Titelsammlung nur noch der Olympiasieg im Einzelwettbewerb. Diesen Traum könnte er sich 2014 in Sotschi erfüllen. Davor aber will er noch einen Rekord knacken. Denn nur der Finne Matti Nykänen sammelte bis zu seinem Karriereende 1991 mehr Weltcupsiege (46). "Es gibt nichts Größeres, als die ewige Nummer eins zu sein", sagt Schlierenzauer. Ein Sieg fehlt ihm noch.