Bei der 61. Tournee könnte zum fünften Mal in Folge ein Österreicher siegen. Die zwölf deutschen Skispringer wollen das verhindern.

Oberstdorf. Vor dem Auftakt der 61. Vierschanzentournee üben sich Deutschlands Skispringer in Understatement, insgeheim aber planen die wiedererstarkten DSV-Adler in Oberstdorf eine spektakuläre Flugshow. Beim ersten Wettbewerb der Traditionsveranstaltung an diesem Sonntag (Qualifikation am Sonnabend) soll im Optimalfall der erste deutsche Tagessieg seit Sven Hannawald vor zehn Jahren an gleicher Stätte gelingen, mindestens jedoch ein Podestplatz herausspringen. "Die Chancen dafür stehen gut", sagt Bundestrainer Werner Schuster. Mit flotten Sprüchen hält man sich im deutschen Lager trotz der starken Leistungen im WM-Winter dennoch zurück. Schuster: "Das Wichtigste ist, dass wir unseren Weg nicht verlassen und unbeirrt und unaufgeregt die nächsten Schritte setzen. Dann klappt's."

Das Abendblatt stellt die Favoriten der Tournee vor, zu denen mit Severin Freund nach vielen Jahren wieder ein deutscher Springer gehört. Für das zwölfköpfige deutsche Team qualifizierte sich im letzten Moment auch Martin Schmitt. Der 34-Jährige gewann in Engelberg (Schweiz) den zweitklassigen Continental-Cup. Es war sein erster Sieg seit fünf Jahren.

Der Titelverteidiger

Gregor Schlierenzauer, 22, ist ein Phänomen. Mit 16 Jahren siegte er erstmals im Weltcup, danach gewann er bis heute 42 Weltcupspringen - ganz so, als ob ihn der Druck aus seiner Heimat Österreich kaum aus der Fassung bringen kann. Nur bei der Vierschanzentournee, da wollte er immer zu viel - und scheiterte deshalb stets an seinem Kindheitstraum. Mit neuer Ruhe und etwas mehr Gelassen- statt Verbissenheit gewann er dann im vergangenen Winter endlich die Traditionsveranstaltung. Motivationsloch? Kennt er nicht. Der Österreicher geht als Weltcupführender und einer von drei Topfavoriten in die Tournee. "Es wird eine megageile Sache", sagt er. Für ihn sprechen sein Ausnahmetalent, seine lange Erfahrung trotz junger Jahre sowie die Lockerheit nach dem lange ersehnten Tourneesieg.

Der Gelassene

Andreas Kofler ist der Sonnyboy unter den österreichischen Skispringern. Er stand stets im Schatten der beiden Überflieger Gregor Schlierenzauer und Thomas Morgenstern. Doch mit dem Tourneesieg 2009/10 sprang er sich frei und hinein ins Rampenlicht. Dennoch (oder gerade deswegen) behielt "der Kofi", wie ihn alle nennen, seine lässig-leichte Art bei. Die Polizeischule hat er mittlerweile beendet - der Plan für das Leben nach dem Spitzensport steht, jetzt aber gilt seine volle Konzentration dem Skispringen.

Wenn einer der drei Topfavoriten heraussticht, dann ist es Kofler. Ganz einfach, weil der 28-Jährige von allen zuletzt den stärksten Eindruck im Weltcupzirkus hinterließ. Platz drei und eins auf der Olympiaschanze in Sotschi, Rang eins und zwei in Engelberg.

Der Feind im Freund

Rausreden gilt nicht. Das will Severin Freund, 24, auch gar nicht. Ganz im Gegenteil: Der Student aus Bayern ist sich seiner phänomenalen Form bewusst, reist mit zwei Saisonsiegen und als Weltcupzweiter zur Tournee. Zwei Jahre sprang er immer mal wieder auf das Podest, bis er jetzt konstant den Österreichern Paroli bietet. Selbst eine Rückenoperation nach einem Bandscheibenvorfall konnte ihn in der Saisonvorbereitung nur bedingt stoppen. "Als Mitfavorit genannt zu werden empfinde ich als Ehre", sagt er. Um ehrlich zu sein, ist er neben Kofler und Schlierenzauer der Topfavorit. "Ich habe schon mal in Willingen gewonnen und weiß, was bei einem deutschen Triumph für eine Party losbricht. Deshalb wäre es schön, etwas Vergleichbares in Oberstdorf oder Garmisch erleben zu dürfen."

Der Debütant

Andreas Wellinger ist die Sensation dieses Winters. Der 17-Jährige aus Ruhpolding springt in seiner ersten Weltcupsaison den erfahrenen Athleten einfach davon. Gewiss, nicht immer und nicht allen, aber wer nach Wellingers fünftem Platz zum Saisonstart dachte, der junge Mann sei eine Eintagsfliege, der hat sich getäuscht. Und zwar gewaltig. Bei der Tournee-Generalprobe in Engelberg schaffte er es gar auf Patz zwei und schob sich auf Rang vier der Weltcupgesamtwertung. Dabei geht Wellinger noch zur Schule, besucht die elfte Klasse und will sein Abitur machen. In die Vierschanzentournee geht er so cool, wie er bisher sprang: "Meine Ziele für diese Saison habe ich weit übertroffen. Was jetzt kommt, ist Zugabe. Aber ich möchte zeigen, was ich draufhabe."

Der Papa

Ein dritter und ein zweiter Platz, okay, aber ansonsten lief es bisher für Thomas Morgenstern noch nicht ganz rund. Beim letzten Weltcup vor der Tournee lag der Österreicher dann auch noch flach, trat dennoch an und flog krank hinterher. Jetzt ist er wieder fit. Das alleine reicht bei einem wie Morgenstern eigentlich schon, um ihn zu den Favoriten zu zählen. Hinzu kommt aber: Er gewann die Vierschanzentournee bereits 2010/11, kann zumindest ein kleines bisschen entspannt in die Veranstaltung gehen. Vor allem aber erlebt der 26-Jährige gerade privat das große Glück: Morgenstern und seine Freundin Kristina sind in der Nacht zum zweiten Weihnachtstag Eltern geworden. Tochter Lilly ist gesund und wartet auf die Rückkehr ihres Papas von den Schanzen. Vielleicht lässt der sich ja von seinem Glücksgefühl beflügeln.

Der Überraschungsmann

Die Vierschanzentournee ist immer gut für Überraschungen. Favoriten stürzten, neue Helden schossen empor. Im Blick sollten die Skisprungfans deshalb den jungen Slowenen Jaka Hvala, 19, haben, der in dieser Saison erstmals auf sich aufmerksam gemacht hat. Aber auch Kamil Stoch, 25, sollte niemand abschreiben, auch wenn der Pole in diesem Winter erst mit einem Podestplatz glänzen konnte. Hinzu kommen zwei Routiniers: Anders Bardal, 30, immerhin Sieger des Gesamtweltcups 2011/12 und derzeit auf Rang fünf. Der Familienvater aus Norwegen wird gern mal übersehen, dabei punktet er vor allem mit Konstanz. Und auch Olympiasieger Simon Ammann, 31, aus der Schweiz sollte man trotz bisher durchwachsenen Leistungen nie unterschätzen.