Die Buxtehuderin startet heute mit einem jungen deutschen Handballteam in die EM in Serbien. Für sie ist es das erste große Turnier.

Kamen. Es ist einfach nicht wahr, dass so etwas nur Frauen passiert: an einem Tag 25:28 verlieren und am nächsten Tag den gleichen Gegner mit 30:9 vermöbeln. Ist es nicht den HSV-Handballern neulich gegen Kiel ganz ähnlich ergangen, sogar in einem Spiel? Da hatten sie noch zehn Minuten vor Schluss klar geführt und am Ende klar verloren. Heine Jensen hat es selbst im Fernsehen gesehen, "es war unglaublich".

Der Bundestrainer muss einräumen: Seinen deutschen Handballerinnen fehlt noch die Konstanz: "Sie ist das, was wir suchen." Und richtig sei auch, dass man nur schwer einschätzen kann, wo die Mannschaft einzusortieren ist unter den 16, die von heute an in Serbien den Europameister ausspielen.

Wenn man aus den genannten Ergebnissen der letzten Testspiele gegen Rumänien überhaupt eine Tendenz ablesen kann, dann vielleicht die, dass Deutschland für eine Überraschung in jeder Hinsicht gut ist. Darin immerhin ist sich die Mannschaft treu geblieben. Bei der WM vor einem Jahr in Brasilien, Jensens erstem Turnier als Bundestrainer, besiegte man zum Auftakt den Olympiasieger und Europameister Norwegen. Die Skandinavierinnen gewannen später den Titel, die Deutschen den Presidents Cup, eine zweifelhafte Trophäe für den Sieger der Trostrunde um die Plätze 17 bis 24. Das olympische Turnier im Sommer fand infolgedessen ohne deutsche Beteiligung statt.

Lange war sich Jensen, 35, sicher, dass seine Mannschaft seither einen entscheidenden Schritt vorangekommen ist. Sie ist ohnehin kaum wiederzuerkennen, aus dem WM-Kader von 2011 sind nur sechs Feldspielerinnen übrig geblieben. Der Trainer spricht von einem "natürlichen Austausch". Und er glaubt erste Wirkungen des verordneten Fitnessprogramms zu erkennen. Sowohl bei den 3000-Meter-Dauerläufen als auch bei den 80-Meter-Sprints seien die Werte im Sommer deutlich besser ausgefallen als noch im Vorjahr. Auch die Laktatkurve habe sich ein gutes Stück nach rechts verschoben, was auf einen besseren konditionellen Zustand hindeutet. "Es ist eine klare Entwicklung zu sehen, die Mädels gehen bewusster mit dem Training um", sagt Jensen. In den körperlichen Defiziten vermutet der Däne die Ursache für die schwankenden Leistungen im Turnier, aber auch innerhalb eines Spiels.

Die EM-Qualifikation hat seine Mannschaft immerhin schon einmal souverän als Gruppensieger gemeistert. Das allein gäbe Anlass zu Optimismus, wäre nicht vergangene Woche plötzlich eine große Lücke ausgerechnet im rechten Rückraum aufgerissen, den es nach dem Rücktritt von Rekordnationalspielerin Grit Jurack ohnehin neu zu besetzen galt. Erst brach sich Kapitänin Isabell Klein die Mittelhand, dann erlitt Susann Müller einen Meniskusriss. Kleins Buxtehuder Teamkollegin Stefanie Melbeck hatte ihre EM-Teilnahme schon vor Wochen aufgrund eines Muskelfaserrisses abgesagt.

Friederike Lütz nach Halbrechts zu verschieben ist Jensen aber nicht in den Sinn gekommen, obschon es ihre heimliche Lieblingsposition ist. Der Bundestrainer braucht die einzige im Kader verbliebene Buxtehuderin auf Rechtsaußen dringend genug. Für Lütz, 24, ist es das erste große Turnier. Ihr Debüt in der Nationalmannschaft hatte sie schon 2006 gegeben, damals für ihre Heimatstadt Dortmund. "Das war wohl eher als Ansporn für die Zukunft gedacht", sagt Lütz. Bis zu ihrem zweiten Länderspiel im vergangenen März verstrichen fast sechs Jahre. Bei der Gelegenheit aber hat sich die Linkshänderin gegen Ungarn mit acht Toren so nachdrücklich empfohlen, dass Jensen bei der EM-Nominierung nicht an ihr vorbeikam.

Schon morgen geht es im zweiten Gruppenspiel wieder gegen die Ungarinnen (20.15 Uhr), wobei ein Sieg weniger überraschend käme als heute im Auftaktspiel gegen den WM-Dritten Spanien (18.15 Uhr/jeweils Sport1). "Diese Gruppe ist wirklich extrem stark", sagt Jensen. Ein Trost mag sein, dass es kaum schlechter kommen kann als vor zwei Jahren, als Deutschland schon in der EM-Vorrunde scheiterte.

Aber die Vergangenheit ist nicht Jensens Maßstab: "Ich will nur, dass wir uns hinterher in die Augen schauen und sagen können: Jawohl, wir haben das gezeigt, was wir können." Jensens Plan ist ohnehin langfristig angelegt, bis zur WM 2017 im eigenen Land. Bis dahin sollte auch die Konstanz gefunden sein.