Vor dem Formel-1-Finale in Brasilien setzt das Weltmeisterteam auf die überlegene Technik. Rivale Alonso muss auf das Wetter hoffen.

São Paulo. In Fernando Alonsos Umkleidekämmerchen ist das Dröhnen der vorbeirauschenden Autos so laut, dass alle anderen Geräusche davon verschluckt werden. Die zehn Quadratmeter große Parzelle liegt direkt im Schatten der Start-Ziel-Geraden des Autodromo José Carlos Pace, über die an diesem Wochenende auch dann fast ohne Unterlass Rennautos donnern, wenn die Formel-1-Piloten Pause haben. Hier zwischen den Trainingsfahrten die nötige Ruhe für den Titelgewinn zu finden, scheint unmöglich. Trotzdem war Alonsos erste Reaktion beim Betreten seines Raums ein Lächeln: Ferrari-Mitarbeiter hatten die Wände mit Briefen von Fans tapeziert, die ihm für das große Finale (Sonntag, 17 Uhr, RTL und Sky) die Daumen drücken.

"Du bist der Beste, Fernando" und "Nur du bist ein würdiger Champion" stand da ebenso geschrieben wie eine seitenlange Eloge auf den Mann aus Oviedo. Der 31-Jährige selber stimmte sich martialisch auf den letzten Grand Prix der Saison ein: "Wir können nicht umkehren. Wir kämpfen lieber, als dass wir die Ehre verlieren, weil wir es nicht getan haben", schrieb er beim Internetdienst Twitter. Geholfen haben ihm die kriegerischen Sprüche bislang nicht.

Denn Sebastian Vettel ließ alle Provokationen souverän abprallen. Auch in Brasilien präsentierte er sich von der ersten Sekunde an fokussiert, ohne dabei angespannt zu wirken. "Der Kurs liegt unserem Auto. Wir wollen das maximale Ergebnis", sagte er mit ruhiger Stimme. "Wir sind hier, um zu attackieren." Vettels Plan ist auf Sieg ausgerichtet in seinem sechsten Formel-1-Rennen in Südamerika. Immerhin eines davon konnte er schon gewinnen; ein Kunststück, das seinem Kontrahenten Alonso in elf Anläufen noch nicht gelungen ist.

Selten hat der 31-Jährige einen Erfolg jedoch so dringend benötigt wie in dieser Saison, in der er zur Halbzeit schon wie der sichere Weltmeister aussah. Doch Vettels furiose Aufholjagd verdammt Alonso nun quasi zum Sieg. Selbst wenn der Weltmeister von 2005 und 2006 gewinnen sollte, reicht dem Hessen Platz vier, um zum dritten Mal hintereinander den Titel zu holen und die Marke von Michael Schumacher und Juan Manuel Fangio einzustellen. Gewinnt Alonso nicht, reicht Vettel schon Rang sieben, verfehlt der Asturier gar das Podium, muss Vettel nicht einmal ins Ziel kommen. Die Titelchance des Deutschen ist so groß, dass sich in den Wettbüros kaum Geld verdienen lässt: Bei zehn Euro Einsatz werden gerade mal zwölf Euro ausgezahlt.

Doch auf der Rennstrecke von Interlagos gingen auch schon mutmaßlich sichere Titel verloren. Lewis Hamilton 2007 und Felipe Massa 2008 verspielten den Triumph noch auf der Zielgeraden. Eine kleine Aluminiumtafel erinnert an jedes Rennen, das hier stattgefunden hat. Ihre Inschrift sollte Vettel eine Warnung sein.

Auch für dieses Wochenende prophezeien die Meteorologen Regenschauer, die den Kurs bei der Qualifikation rutschig und im Rennen unberechenbar machen würden. Nicht nur die Kontrolle des eigenen Wagens wird bei nassem Asphalt schwieriger; auch das Risiko, Opfer einer Kollision zu werden, steigt. Genau darin sehen sie bei Ferrari ihre Chance: "Wir haben nichts zu verlieren, sondern können nur gewinnen", frohlockt Alonso. Das stimmt freilich nur zur Hälfte: Während Red Bull den Konstrukteurstitel seit dem vergangenen Wochenende schon sicher hat, wartet die Scuderia seit 2007 auf ein Erfolgserlebnis - in den Augen von Konzernchef Luca di Montezemolo ein Affront gegen die Ehre Italiens und ihn persönlich sowieso.

Mark Webber war in Austin mit dem gleichen Defekt an der Lichtmaschine ausgeschieden, der Vettel schon in Monza und Valencia ausgebremst hatte. Der Fauxpas in Austin hat die Alarmglocken bei den Red-Bull-Verantwortlichen laut schrillen lassen. Für das Finale sehen sie sich jedoch gewappnet.

"Die Situation ist derzeit sicher nicht ideal", gibt Teamchef Christian Horner zu, glaubt jedoch: "Das ist etwas, bei dem Renault an diesem Wochenende wirklich glänzen muss. Sie haben verschiedene Varianten in verschiedenen Autos getestet und nun hoffentlich genügend Daten zusammen, um sicherzustellen, dass wir eine standfeste Version zur Verfügung haben." Die Probleme mit der Standfestigkeit bei Red Bull und der mögliche Regen sind die beiden wackligen Säulen, auf denen Alonsos dünne Titelhoffnungen ruhen.

Im ersten Training hielt das Aggregat im Weltmeisterauto schon mal. Vettel war als Zweiter hinter dem erneut überragenden Lewis Hamilton bei seiner Abschiedsvorstellung für McLaren, knapp drei Zehntelsekunden und drei Plätze vor seinem Verfolger Alonso. Eine Konstellation die ihn mit großem Vorsprung zum Weltmeister machen würde. Zu viel wollte er darauf aber nicht geben, meinte Vettel anschließend. Breiter als der 25-Jährige lachte in dem Moment nur die Sonne am wolkenlosen Himmel über São Paulo.

Freies Training in São Paulo (4,309 km): 1. Hamilton (England) McLaren-Mercedes 1:14,026 Min., 2. Vettel (Heppenheim) Red-Bull-Renault 1:14,140, 3. Webber (Australien) Red-Bull-Renault 1:14,198, 4. Button (England) McLaren-Mercedes 1:14,217, 5. Alonso (Spanien) Ferrari 1:14,392, ... 7. Schumacher (Kerpen) Mercedes 1:14,654, 8. Rosberg (Wiesbaden) Mercedes 1:14,669, 12. Hülkenberg (Emmerich) Force-India-Mercedes 1:15,050, 22. Glock (Wersau) Marussia-Cosworth 1:16,506.