Die Polizei-Bilanz liefert erschreckende Zahlen: In der vergangenen Saison gab es so viele Straftaten in den beiden höchsten Ligen wie nie zuvor.

Köln. Durch eine Bilanz des Schreckens für die auf Rekordniveau gestiegene Gewalt im deutschen Fußball hat die Polizei die Profi-Klubs bei der Ausarbeitung neuer Sicherheitsrichtlinien massiv unter Druck gesetzt. Niemals zuvor hat die Zentrale Informationsstelle Polizeieinsätze (ZIS) in Zusammenhang mit Spielen der beiden höchsten Ligen mehr Strafverfahren, mehr Verletzte, mehr gewaltbereite Hooligans und mehr Polizei-Arbeitsstunden registriert als in der vergangenen Saison 2011/12.

„Ausschreitungen durch aggressive und gewaltbereite Personen in der Fußballfanszene bewegen sich seit Jahren auf einem ansteigend hohen Niveau. Die Zahlen im Zusammenhang mit Fußballspielen liegen über dem Durchschnitt der letzten Jahre. Die Polizeibehörden berichten zunehmend über eine gesteigerte Aggressivität“, teilte die ZIS mit.

Die Deutsche Fußball Liga (DFL) und der Deutsche Fußball-Bund (DFB) reagierten zurückhaltend auf die alarmierenden Daten aus Duisburg. Beide Verbände fürchten in der Gewalt-Diskussion einen Verlust von Souveränität an staatliche Institutionen. Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger wertete den Report denn auch gut drei Wochen vor der angestrebten Verabschiedung eines Sicherheitskonzeptes der DFL als „Alarmsignal“.

So registrierten die Behörden in der vergangenen Saison insgesamt einen fast 40-prozentigen Anstieg der Strafverfahren (Körperverletzung, Sachbeschädigung, Landfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) auf 8100 Fälle (Vorjahr: 5800). Signifikant dabei die Zunahme von Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz: 1449 Verfahren wegen des Abbrennens von Pyrotechnik bedeuten einen Anstieg um 77,36 Prozent (817). 1152 Verletzte sind 35 Prozent mehr als in der Saison 2010/11 (846) - mehr als die Hälfte der Verletzten waren Unbeteiligte oder Sicherheitskräfte.

Die Polizei leistete Schwerstarbeit: Sage und schreibe 1.884.525 Arbeitsstunden (entsprechen über 1000 Vollzeitstellen mit 40-Stunden-Woche und sechs Wochen Jahresurlaub) bedeuteten verglichen mit dem Vorjahr 320.000 Stunden oder beinahe 20,5 Prozent zusätzliche Belastung. Bei einem Anstieg der gewaltbereiten Fans von 9685 auf 11.373 bekannte Krawallmacher (plus 17,42 Prozent) kaum verwunderlich.

Die DFL betonte mit Blick auf den 12. Dezember die Bedeutung eines Sicherheitskonzeptes. „Wir brauchen eine Versachlichung der Diskussion. Umso wichtiger ist es, dass sich alle Beteiligten zu ihrer Verantwortung bekennen und entsprechend handeln: Vereine und Verbände genauso wie Politik und Polizei, aber natürlich auch die Fans selbst. Vor diesem Hintergrund arbeitet der Ligaverband gemeinsam mit den Clubs und im Dialog mit allen Seiten an praktikablen Lösungsansätzen mit Augenmaß“, schrieb die DFL.

Beim DFB erklärte der Sicherheitsbeauftragte Hendrik Große Legert, dass man einer Entwicklung in manchen Bereichen „entschlossen entgegensteuern“ müsse. Das komplexe Problem könne der DFB „nur gemeinsam mit der Liga, den Vereinen, der Polizei, der Justiz und den friedlichen Fans lösen“.

Jäger, der ebenso den Stellenwert eines Dialogs mit den Fans unterstrich, sieht den Fußball in der Pflicht: „8100 Strafverfahren sind viel zu viel. DFB und DFL sind jetzt gefordert. Verbände und Vereine müssen mehr für die Sicherheit von Fußball-Spielen tun und dabei die Fans mit ins Boot holen.“

Der ZIS-Bericht widerlegt zuletzt in der Debatte über das künftige DFL-Konzept aufgestellte Behauptungen von einer unveränderten Situation und einer Dramatisierung besonders schwerwiegender und spektakulärer Vorfälle. So hatte Fan-Forscher Gunter A. Pilz erst vor Monatsfrist Reden von einer „neue Welle der Gewalt“ als „unverantwortlich“ bezeichnet: „Die Gewalt hat in ihrer Quantität nicht zugenommen, nur deren Qualität“, meinte Pilz.

Mit Blick auf die jüngste Entwicklung sprach sich die Gewerkschaft der Polizei einmal mehr für eine Null-Toleranz-Politik der Vereine aus: „Die Rädelsführer müssen isoliert und es muss ihnen das Handwerk gelegt werden. Wenn der Gewaltspirale die Spitze gebrochen werden soll, müssen sich Vereine und Sicherheitsbehörden auf diejenigen konzentrieren, die besonders innerhalb der 'Ultra'-Gruppierungen die Aggressivität anheizen. Die Vereine müssen sich von den Personen abgrenzen, die den Fußball in Verruf bringen. Dazu gehört auch ein kritisches Überdenken der Bevorzugung von Ultra-Gruppierungen“, sagte GdP-Chef Bernhard Witthaut. Sein Stellvertreter Arnold Plickert hatte unlängst bereits „Fußball-Staatsanwälte“ und stärkere Unterstützung des Gesetzgebers im Kampf gegen die Gewalt gefordert.