Vor dem Rückspiel in der Champions League gegen Real Madrid sagt der BVB-Trainer, er sei mit sich im Reinen. Dennoch verweigert er derzeit außerplanmäßige Interviews.

Madrid. Die Zeitungslektüre am Morgen bereitete Jürgen Klopp wenig Freude. „Heute musste ich mal wieder lesen, wie viel negative Eigenschaften ich habe“, klagte der Trainer von Borussia Dortmund. Die Zeiten, als seine Wutausbrüche am Spielfeldrand als Kavaliersdelikte geduldet wurden, scheinen vorbei. Mehr und mehr regt sich Kritik an seinem mitunter überschäumenden Temperament. Entsprechende Kommentare können den Seelenfrieden des Fußball-Lehrers jedoch nur bedingt beeinträchtigen: „Ich bin mit mir und der Mannschaft komplett im Reinen.“

Die Vorkommnisse beim 0:0 des deutschen Fußball-Meisters am Samstag gegen den VfB Stuttgart schürten die Diskussion aufs Neue. Wutentbrannt reagierte Klopp auf den Ellbogencheck von Raphael Holzhauser, mit dem der VfB-Profi seinem Gegenspieler Sebastian Kehl das Nasenbein anbrach. Das Wortgefecht des BVB-Trainers an der Seitenlinie mit Fredi Bobic kommentierte der Sportdirektor der Schwaben wenig später mit Unverständnis: „Das Foul war keine Absicht. Der Kloppo muss sich mal beruhigen, der kann sich nicht im Zaun halten.“

Kaum einer seiner Kollegen fällt in der Coaching-Zone so oft auf wie der Dortmunder Meistertrainer. Meistens sind die Unparteiischen die Leidtragenden. Auf rund 45.000 Euro ist der Betrag angewachsen, den er für Auseinandersetzungen mit dem Schiedsrichter-Gespann bisher zahlen musste. Fernsehbilder, die ihn als Wüterich zeigen, sind Klopp im Nachhinein selbst peinlich. „Mit mir als Mensch hat das relativ wenig zu tun.“

Seiner großen Popularität hat das bisher kaum geschadet. Nach Einschätzung von BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke ist der BVB-Trainer „einer der vielleicht zehn beliebtesten Deutschen überhaupt“. Werbeindustrie und Medien schätzen seine Schlagfertigkeit und Authentizität. Nicht nur in Dortmund genießt Klopp Kultstatus - mehr noch als Ausnahmekicker wie Mario Götze und Marco Reus. Doch die „Klopposierung der Borussia“ geht dem Diplom-Sportler mittlerweile selbst zu weit. Für außerplanmäßige Interviews steht er bis auf weiteres nicht zur Verfügung.

Viele Beobachter, die Klopp eine wachsende Reizbarkeit attestieren, begrüßen diesen Schritt. Auch wenn er im Widerspruch steht zur derzeitigen Omnipräsenz des Trainers in der Werbung. „Die Öffentlichkeit soll merken, dass Klopp kein Allgemeingut ist“, sagte Watzke dem „Kicker“. Es sei „belastend“, dass momentan viele Aktionen von Klopp hinterfragt würden.

Ähnlich positiv fällt das Plädoyer von Christian Heidel im Fachmagazin aus. Klopps Freund und einstiger Entdecker bei Mainz 05 kann der veränderten öffentlichen Wahrnehmung wenig abgewinnen: „Kloppo ist authentisch. Diejenigen, die behaupten, dass er sich verändert hat, kannten ihn vorher nicht.“

Dortmund hat die letzte Stufe gezündet

Der 10. März 2005 hat sich in die Köpfe der Verantwortlichen von Borussia Dortmund eingebrannt wie die Geburt des ersten Kindes. 5.800 Anteilseigner des Stadionfonds „Molsiris“ waren in die Event Terminal Halle des Düsseldorfer Flughafens geladen und mussten über das Schicksal des tief gestürzten Traditionsklubs entscheiden. „Das Wohl und Wehe des Vereins hing an einem äußerst dünnen Faden. Ich habe es so empfunden, dass im März 2005 die Wiedergeburt des Vereins stattgefunden hat“, sagte BVB-Präsident Reinhard Rauball zu den „Schicksalstagen“. Das Votum der Fondsanleger fiel positiv aus: 94,43 Prozent stimmten dem Sanierungskonzept des einzigen börsennotierten Bundesligisten zu.

Die Basis für den „Fünf-Stufen-Plan“ zur Konsolidierung war gelegt. „Als ich vor acht Jahren angefangen habe, haben wir 87 Millionen Euro Umsatz gemacht, jetzt waren es 215“, sagte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke vergangenen Samstag im ZDF-„Sportstudio“. Zusammen mit Sportdirektor Michael Zorc hatte der Betriebswirt ein Papier entworfen, auf dem Eckpunkte für die Wiederbelebung des BVB festgehalten wurden: Überlebenskampf, Restrukturierung, Entwicklung einer Spielphilosophie, deren Umsetzung und Nachhaltigkeit.

Erheblicher Schuldenabbau in sieben Jahren

Nach einer furiosen Entwicklung seit 2005 hat die Borussia mittlerweile die letzte Stufe gezündet, was einem kleinen Wunder gleichkommt. Nach dem Stadionrückkauf hatten sich Verbindlichkeiten auf 180 Millionen Euro getürmt. Für das abgelaufene Geschäftsjahr 2011/2012 präsentierten Watzke und Finanzfachmann Thomas Treß einen Gewinn von 34 Millionen Euro und Bruttoverbindlichkeiten von nur noch 40 Millionen Euro – netto waren es allerdings gerade noch elf Millionen. Man war finanziell in die Regionen von Bayern München vorgestoßen.

Auch sportlich war die Borussia unter Trainer Jürgen Klopp in den vergangenen beiden Jahren mit zwei Meistertiteln und dem Double im Sommer das Nonplusultra in Deutschland. Diesen Erfolg will man nun nachhaltig bestätigen. „In mir tobt so viel Realismus, dass ich vor der Saison wusste, dass wir nicht in den nächsten zehn Jahren Meister werden“, sagte Watzke. Mit den Bayern könne man sich nicht vergleichen. Der Rekordmeister befinde sich seit Jahrzehnten auf diesem Niveau, „immer unter den ersten Drei“ zu sein. In den vergangenen 33 Jahren hat Uli Hoeneß das geschaffen, was Watzke „als unglaubliche Leistung“ einstufte.

Spagat zwischen Liga und Europapokal

Aus diesem Grund sei die Borussia erst am Anfang der entscheidenden Phase für den Verein. Der sportliche Erfolg, das haben ganz besonders die vergangenen zweieinhalb Jahre gezeigt, beeinflussen die wirtschaftlichen Zahlen ganz erheblich. Seit 2008 hat Klopp die Spielphilosophie mit jungen, hungrigen Spielern entwickelt und geradezu sensationell umgesetzt. Aber in diesem Jahr bekommen Klopp und seine Stars Marco Reus, Mario Götze, Mats Hummels oder Marcel Schmelzer zu spüren, wie hart der Weg zu einem Niveau wie dem der Bayern ist. „Wir machen es nicht so schlecht in der Bundesliga, wie es in der Tabelle aussieht. Wir machen es aber auch nicht so gut, wie wir es können“, sagte der 45 Jahre alte Fußball-Lehrer. 16 Punkte aus zehn Spielen, Platz fünf und elf Zähler hinter den Bayern sind eine ernüchternde Bilanz. Umso besser lief es bislang in der Champions League, in der man nach dem schlechten Auftreten im Jahr zuvor Real Madrid, Manchester City und Ajax Amsterdam die Stirn bietet. „In der Champions League sind wir bisher sehr effizient, sehr klar, sehr diszipliniert, hart gegen uns selber“, sagte Klopp, dessen Team vielleicht auch im Kopf den Spagat noch nicht so ganz hinbekommt.

In der Bundesliga sei man fast in jedem Spiel „haushoher Favorit“, in der Königsklasse habe man immer noch die Außenseiterrolle. Mit der sei man „zu Beginn unserer Entwicklung gut zurechtgekommen“. Nun aber ist die Stufe fünf gezündet. Nachhaltigkeit bedeutet, dauerhaft Konkurrent der Bayern zu sein. Die Zielsetzung lautet deshalb, in den nächsten fünf Jahren dreimal in der Champions League zu spielen. „Viermal wäre noch besser“, sagte Watzke: „Dann können wir den Klub nachhaltig entwickeln. Jetzt müssen wir versuchen, das mit dauerhaftem Leben zu füllen.“