Kirsten Bruhn hat ihre paralympische Karriere mit einer Goldmedaille beendet. Von der Bildfläche verschwindet die 42-Jährige dennoch nicht.

London. Wenn Kirsten Bruhn in das Becken steigt und sich unermüdlich durch das Wasser wühlt, gerät selbst Deutschlands schwimmendes Traumpaar ins Staunen. "Ich schwimme öfter mal mit Britta Steffen oder Paul Biedermann. Sie fragen mich, wie kann man so lange schwimmen, nur mit Armen? Sie versuchen sich dann auch reinzuversetzen, nehmen die Ferse an den Po, aber es geht einfach nicht“, sagte die 42-Jährige aus Neumünster, die seit einem Motorradunfall 1991 auf der griechischen Insel Kos inkomplett querschnittsgelähmt ist.

Bruhn macht Steffen, Doppel-Olympiasiegerin 2008, und Biedermann, Doppel-Weltmeister von 2009, aber nicht nur in technischer Hinsicht etwas vor. Denn die viermalige Weltmeisterin auf der langen Bahn fischte am Mittwoch bei den Paralympics in London in ihrem letzten Rennen bei Sommerspielen für Behindertensportler Gold über 100 m Brust aus dem Becken des Aquatics Center. Steffen, Biedermann und Co. war dagegen bei den Olympischen Spielen komplett leer ausgegangen.

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Für Bruhn war es nach 2004 in Athen und 2008 in Peking der dritte paralympische Triumph in ihrer Paradedisziplin, in der sie auch den Weltrekord in ihrer Klasse hält. Obwohl die Norddeutsche schon vor ihrem Unfall Leistungssport betrieb, war der Weg zu diesen Erfolgen alles andere als selbstverständlich. "Es war schwer für mich, zu realisieren, dass ich ein Mensch mit Behinderung bin, vielleicht sogar zweiter Klasse“, sagte Bruhn.

Dem ersten Anlauf, mit der Behinderung wieder ins Becken zu steigen, folgte eine lange Pause. "Elf Jahre habe ich geschlafen. Heute weiß ich, das war zu lange. Aber vielleicht habe ich das gebraucht“, sagte sie. Außer Frage steht, dass sich der Dornröschenschlaf gelohnt hat. "Als ich 2002 angefangen habe, hatte ich schnell das Gefühl, nicht einfach nur zu existieren, sondern auch zu leben. Aber so eine Karriere hätte ich mir nicht erträumt“, sagte Bruhn.

Bei ihrer paralympischen Premiere 2004 in Athen heimste sie neben der goldenen noch drei weitere Medaillen ein, vier Jahre später nahm sie fünf Plaketten aus Peking mit nach Hause. In London gewann sie zudem noch Silber über 100 m Rücken. In der Summe macht das drei goldene sowie jeweils vier silberne und bronzene Medaillen bei Paralympics.

Doch für die Schleswig-Holsteinerin zählt nicht bloß der sportliche Erfolg, ihr geht es auch um die Vermittlung von Botschaften. "Ich kann nur jedem sagen, dass er etwas aus sich machen muss. Egal in welcher Profession, man muss seine Grenzen immer wieder erkunden, das ist was uns immer wieder antreibt“, sagte Bruhn. Dass das Leben als Behinderter nicht schlechter, sondern anders ist, will Bruhn auch durch das Kinoprojekt "Gold - Du kannst mehr, als Du denkst“ verbreiten. Die Filmpremiere ist für das kommende Frühjahr angesetzt.

Doch die Norddeutsche, die auch als Botschafterin der gemeinnützigen Organisation „Weißer Ring“ fungiert, bleibt neben ihrer Rolle als gesellschaftliche Aufklärerin auch sportlich am Ball. Zum Abschluss ihrer Karriere will sie noch bei der WM 2013 in Kanada und den internationalen deutschen Meisterschaften in Berlin 2014 angreifen. Danach wolle sie schauen, ob sie „dem einen oder anderen einen Tipp geben kann, vielleicht sogar am Beckenrand.“ Möglicherweise ja auch Steffen und Biedermann.