Ligapräsident Rauball spricht über den Fußball als Spielball gesellschaftlicher Entwicklungen und Bierwerbung.

Hamburg. Der Ligapräsident ist auch auf der politischen Bühne ein gefragter Mann. So referierte Dr. Reinhard Rauball, 64, am Donnerstagabend vor der SPD-Bürgerschaftsfraktion im Hamburger Rathaus über die Herausforderungen und Notwendigkeit der Sportpolitik. Zuvor nahm sich der Rechtsanwalt und Präsident des deutschen Fußballmeisters Borussia Dortmund Zeit für das Hamburger Abendblatt. Im Interview sprach er die zunehmende Aggressivität der Fans in der Bundesliga, den wachsenden Druck für Spieler und Trainer sowie die Haltung der Liga zu Fernsehvermarktung und Bierwerbeverträgen.

Hamburger Abendblatt: Herr Dr. Rauball, Schalke-Fans zielten auf den ehemaligen Fifa-Schiedsrichter Dr. Markus Merk mit vollen Bierbechern und einer Mini-Billardkugel. Zuvor rollte eine Welle des Hasses gegen den ehemaligen Schalke-Torwart Manuel Neuer bei dessen Rückkehr nach Gelsenkirchen. Eine Neuer-Puppe hing stranguliert an einer Brücke. Hat die Liga ein Fanproblem?

Reinhard Rauball: Es gab zudem noch die üblen Verbalattacken gegen Bayern-Präsident Uli Hoeneß, der von eigenen Fans massiv beleidigt wurde. Hier ist ohne Frage eine neue Dimension entstanden, die wir nicht hinnehmen dürfen. Jeder Spieler, Trainer oder Funktionär hat ein Recht darauf, dass seine Persönlichkeitsrechte gewahrt bleiben. So etwas dürfen wir nicht dulden.

Ist das ein spezielles Phänomen des Fußballs?

Rauball: Nein. Ich fürchte, dass wir jetzt den Preis zahlen für die gesellschaftlichen Entwicklungen in den vergangenen Jahrzehnten. In Schule und in der Erziehung wurden vor allem Werte wie persönliche Freiheitsentfaltung und Toleranz gepredigt. Wichtige Tugenden wie gegenseitige Achtung und Respekt vor dem anderen sind dabei auf der Strecke geblieben. Deshalb ist es auch so schwer, dieses Rad jetzt zurückzudrehen.

Brauchen wir härtere Strafen?

Rauball: Nein, ich bin kein Freund von immer härteren Strafen. Die lösen am Ende die Grundproblematik nicht. Wir brauchen vor allem den Dialog zwischen Vereinen, Fans und Polizei, der in den vergangenen Jahren fast eingeschlafen ist. Dazu machen wir jetzt im Fußball Regionalkonferenzen mit allen Beteiligten. Dort erlebe ich, dass Beteiligte sagen, die andere Seite ist ja gar nicht so schlimm, wie wir dachten.

Bayern-Torhüter Manuel Neuer wirkt trotz der Angriffe sehr stabil.

Rauball: Das stimmt. Er ist sogar persönlich auf mich zugekommen, um sich zu bedanken, dass ich mich für ihn eingesetzt habe. Diese Art der Reflexion erlebt man selten. Dennoch warne ich davor zu glauben, dass jemand solche Attacken einfach wegsteckt. In der Vergangenheit haben wir wiederholt erlebt, dass vermeintlich starke Menschen am Ende zerbrochen sind.

Ist das Geschäft denn noch härter geworden?

Rauball: Ja, dieses Geschäft ist inzwischen gnadenlos geworden. Die Vereine verpflichten mehr Spieler als früher, setzen zudem verstärkt auf Talente aus der zweiten Mannschaft und der Jugend. Ein Profi, der sich noch soeben als Stammkraft wähnte, kann auf einmal durch den Rost fallen. Damit kommen manche nicht klar.

Ralf Rangnick hatte als Trainer des FC Schalke 04 eine gesicherte Position und hat dennoch vor einem Monat seinen Posten in Gelsenkirchen wegen eines Burn-outs freiwillig aufgegeben.

Rauball: Deshalb hat mich sein Rücktritt auch so sehr geschockt. Ralf Rangnick hatte das Direktionsrecht. Anders als seine Spieler musste er nicht befürchten, nicht aufgestellt zu werden. Er konnte sagen: Du spielst, du spielst nicht. Zudem wirkte Rangnick so stabil, so stringent. Dass auch er sich am Druck so aufgerieben hat, zeigt einmal mehr, dass man in niemanden hineinschauen kann.

Sie haben mehrfach als Präsident Ihren Klub Borussia Dortmund vor der Insolvenz gerettet. Waren auch Sie mal gefährdet auszubrennen?

Rauball: Nein, ich bin in der glücklichen Lage, dass mich wachsender Druck zu mehr Kreativität anhält.

Kreativität ist mehr denn in der DFL gefordert. Experten prophezeien, dass die TV-Einnahmen der Bundesligaklubs aus den TV-Rechten sinken werden. Hintergrund ist eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, das einer englischen Pub-Wirtin gestattet, Livespiele der englischen Premier League über einen preiswerten griechischen Decoder zu zeigen. Damit ist die nationale Vermarktung der TV-Rechte gefährdet.

Rauball: Da hat sich die erste Hysterie gelegt, nachdem einige mal versucht haben, sich über ausländische Decoder Bundesligaspiele anzuschauen. Dort sehen Sie nicht alle Spiele - und dann noch alles mit fremdsprachigem Kommentar. Das ist kein echtes Vergnügen.

Die Gefahr bleibt dennoch. Die DFL erlöst derzeit 240 Millionen Euro im Jahr allein aus dem Pay-TV.

Rauball: Die Inlandsrechte werden bald neu ausgeschrieben. Wir werden bei der Vermarktung der Auslandsrechte intelligente Lösungen finden, die dieses Problem angesichts der Ausgangslage bestmöglich lösen.

Im Klartext: Sie werden die Zahl der Live-Spiele im Ausland weiter begrenzen, um Ihr Kernprodukt bei der nationalen Vermarktung zu schützen?

Rauball: Lassen Sie es mich so ausdrücken: Für uns steht der deutsche TV-Zuschauer an erster Stelle. Darüber hinaus wird es auch im Ausland weiter Angebote geben. Ob diese so aussehen wie bisher, steht auf einem anderen Blatt.

Der Liga droht ein weiteres Einnahmeproblem. DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger denkt darüber nach, den auslaufenden Vertrag mit Sponsor Bitburger nicht zu verlängern, da Bierwerbung nicht zur DFB-Initiative gegen Alkohol passe. Dieses Bierwerbeproblem könnte auf die Klubs abfärben, die viele Millionen Euro von Brauereien kassieren.

Rauball: Für mich als Liga-Präsident steht fest: Meine Kollegen aus der Liga und ich werden im DFB-Präsidium für eine Vertragsverlängerung mit der Brauerei Bitburger stimmen. Und ein Bierwerbeverbot in der Liga wird es auf keinen Fall geben. Das sage ich selbst auf die Gefahr hin, dass beide Verbände in dieser Frage unterschiedliche Positionen durchsetzen.

Aber ist es nicht heuchlerisch, sich gegen Alkoholmissbrauch zu engagieren und gleichzeitig Werbegelder von Brauereien zu kassieren?

Rauball: Gerade der Fußball macht vieles über das 1:0 hinaus. Wir sehen natürlich immer den Gesundheitsschutz für Kinder und Jugendliche, unterstützen entsprechende Projekte. Wir propagieren Prävention und einen verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol - und betreiben Aufklärung speziell im Bereich der Nachwuchsleistungszentren. Im Übrigen dürfen Vereine nach unseren Statuten ohnehin keine Werbung für Getränke mit einem Alkoholgehalt von über 15 Prozent machen, für Jugendteams ist Alkohol-Werbung auf Trikots strikt untersagt. Aber Bratwurst, Bier und ein Fußballspiel bilden seit Jahrzehnten eine Einheit, ein Kulturgut, gerade auch im Amateurfußball.

Auch Bierkonsum kann zu Alkoholismus führen.

Rauball: Wir müssen uns an der Lebenswirklichkeit orientieren. Und das Ganze ist auch eine grundsätzliche Frage. Was soll als nächstes kommen? Ein Werbeverbot für Coca-Cola und Nutella, weil es zu süß ist? Oder Fast Food, weil es dick machen kann? Ein Fußballverband sollte sich auf sein Kerngeschäft konzentrieren und nicht versuchen, der Komplett-Reparaturbetrieb unserer Gesellschaft zu sein. Damit überhebt er sich.

Herr Dr. Rauball, in England wird derzeit noch ein anderes Thema heiß diskutiert: In der Premier League gibt es Bestrebungen, den Abstieg abzuschaffen. Ihre Meinung?

Rauball: Dies zeigt, welche Blüten es treiben kann, wenn man den Investoren im Vereinsfußball Tür und Tor öffnet. Für sie ist ein Abstieg natürlich eine Schreckensvision, da es ihr eingesetztes Kapital gefährdet. Bei uns ist der saubere Wettbewerb ein Grundpfeiler der Bundesliga. Dazu gehört auch ein geregelter Auf- und Abstieg. Und wie sehr dieses Element die Fans fasziniert, zeigen die stets ausverkauften Relegationsspiele, die zudem live im TV und mit beachtlichen Einschaltquoten übertragen werden.