Das Abendblatt sprach mit der Kielerin, die bei den US Open sensationall das Halbfinale erreichte, über das neue Leben im Rampenlicht.

Kiel. Am vergangenen Sonnabend scheiterte Angelique Kerber erst im Halbfinale der US Open an Samantha Stosur (Australien). Der größte Erfolg ihrer Karriere brachte der 23 Jahre alten Tennisspielerin weltweite Beachtung. Den Caramel Macchiato kann sie in der „Campus Suite“ in ihrer Heimat Kiel dennoch unbehelligt genießen.

Hamburger Abendblatt: Frau Kerber, wie lange haben Sie gebraucht, um die Wochen von New York zu verarbeiten?

Angelique Kerber: Ehrlich gesagt bin ich noch immer dabei. Ich bin am Dienstag aus New York zurückgekommen und habe seitdem nur Medientermine. Das ist völlig unerwartet über mich hereingebrochen, ich wusste nicht, wie viel Aufmerksamkeit ich in Deutschland erregt hatte. Ich kannte das bislang nicht. Zeit zum Entspannen gab es keine, am Dienstag fliege ich schon nach Asien zum nächsten Turnier. Aber ich will nicht klagen, es macht Spaß, in der Öffentlichkeit zu stehen.

Das war lange Zeit anders. Sie galten als zurückhaltend und verbissen. Fedcup-Teamchefin Barbara Rittner hat gesagt, in New York habe sie Sie erstmals auf dem Platz lachen sehen. Was ist mit Ihnen passiert?

Kerber: Ich kann es selbst nicht so genau erklären. Ich habe viele Rückschläge erlitten im vergangenen Jahr mit 13 Erstrunden-Niederlagen. Nachdem ich in Wimbledon in der ersten Runde gescheitert war, habe ich mich hingesetzt und überlegt, wie es weitergehen soll. Es gab drei Möglichkeiten: So weiterzumachen wie bislang, etwas Grundlegendes zu ändern oder mit dem Tennis aufzuhören. Ich habe mich für den Neuanfang entschieden, und ich bin sehr glücklich über diese Entscheidung.

Sie sind aus der Obhut Ihrer Eltern an die Tennisakademie von Alex Waske und Rainer Schüttler nach Offenbach am Main gegangen. Was hat man dort mit Ihnen gemacht, dass Sie auf einmal eine andere Person sind?

Kerber: Der entscheidende Punkt war die Fitness. Ich habe noch nie so hart trainiert wie in den Wochen zwischen Wimbledon und den US Open. Es war eine richtige Schinderei, aber ich habe gespürt, wie weit es mich nach vorn bringt. Vor New York habe ich in Dallas sechs Matches bei 45 Grad gespielt, dann die sechs Matches in New York, und trotzdem habe ich mich körperlich gut gefühlt. Früher wäre ich bei so einen Programm gestorben.

Das heißt, dass Sie früher eher trainingsfaul waren?

Kerber: Ich habe das Fitnesstraining sicherlich nicht immer so ernst genommen, wie es nötig gewesen wäre. Und ich habe auch die Ernährung verändert. Ich lasse Schokolade, Gummibärchen und Milchshakes jetzt weitgehend weg. Ich sehe ja, was das bewirkt.

Aber nur durch besseres Fitnesstraining verändert man ja nicht seine Persönlichkeit. Woher kommt die neue Lust, die Sie beim Tennis ausstrahlen?

Kerber: Es mag sonderbar klingen, aber es hat bei mir einfach Klick gemacht. Früher konnte ich mich nie über meine Leistungen freuen, weil ich immer noch mehr erreichen wollte. Ich wollte alles und am besten sofort, und darüber bin ich häufig verkrampft. Ich habe nicht an mich geglaubt und war ständig negativ eingestellt. In Dallas hatte ich auf einmal das Gefühl, dass ich einfach genieße, was ich tue, und das hat sich in New York fortgesetzt.

Es heißt, Sie hätten in New York mit dem 73 Jahre alten Mentaltrainer Lawrence Willens gearbeitet, der Ihnen diese neue Einstellung vermittelt hat.

Kerber: Das habe ich auch gelesen, aber es stimmt nicht so ganz. Ich habe ihn tatsächlich erst in New York kennen gelernt. Er war auch sehr nett und hat mich unterstützt, aber im Grunde hat er mir nur das erzählt, was ich schon wusste. Sehen Sie, ich habe schon häufiger mit Mentaltrainern gearbeitet, konnte aber das, was die mir gesagt haben, nie so richtig umsetzen. Ich rede ja schon seit vielen Monaten über das Problem, dass ich mich zu sehr unter Druck setze. Alle haben immer gesagt, dass der Erfolg dann kommt, wenn ich es am wenigsten erwarte. Ich habe das nie geglaubt, und jetzt ist es genau so gekommen. Deshalb würde ich sagen, dass der Mentaltrainer nicht die wichtigste Rolle gespielt hat. Die wichtigste Rolle habe ich selbst gespielt. Ich habe mich positiv verändert, bin offener geworden und weiß jetzt, was ich möchte.

War es ein wichtiger Schritt, vielleicht der wichtigste, dass Sie sich von Ihren Eltern abgenabelt haben? Ihr Vater hat Sie lang trainiert, Ihre Mutter betreut Sie. Brauchten Sie den Umzug nach Offenbach, um zu sich selbst zu finden?

Kerber: Wahrscheinlich ist es so. Ich bin ein Mensch, der sich mit grundlegenden Veränderungen schwer tut, deshalb war der Schritt nach Offenbach für mich ein riesiges Wagnis. Ich möchte aber betonen, dass meine Eltern mich niemals unter Druck gesetzt haben. Im Gegenteil, sie haben mich eher gebremst, denn ich wollte aus eigenem Antrieb jede freie Minute auf dem Tennisplatz verbringen. Ich bin meinen Eltern für ihre Unterstützung sehr dankbar. Sie hätten auch ohne Wenn und Aber zu mir gehalten, wenn ich mit dem Tennis aufgehört hätte.

Gab es in der Zeit des Umbruchs Zukunftsangst? Momente, in denen Sie nicht wussten, wie es weitergeht?

Kerber: Die gab es. Ich wusste nicht mehr, wie ich meine Ziele erreichen könnte. Es war im Rückblick aber wichtig, dass ich am Ball geblieben bin. Tennis ist mein Leben, und ich will herausfinden, wie weit ich es schaffen kann. Einen anderen Lebensplan gab und gibt es nicht. Ich bin sehr dankbar, dass mir meine Freunde und die Familie gesagt haben, dass ich mein Umfeld ändern müsse. Ich denke, dass ich jetzt endlich kapiert habe, was sie gemeint haben.

Im April gab es Streit mit Barbara Rittner um die Nominierung für das Fedcup-Spiel gegen die USA. Obwohl Sie vom Ranking her ins Team gehört hätten, wurden Sie nicht nominiert und ärgerten sich darüber sehr. Ist das auch etwas, das Ihnen heute nicht mehr passieren würde?

Kerber: Ich würde es auf jeden Fall nicht mehr so an mich herankommen lassen. Ich hatte Barbara vor dem USA-Spiel deutlich erklärt, dass ich zur Verfügung stehe. Sie hat mich dann nicht aufgestellt. Das ist ihre Sache. In New York hatten wir wieder ein Gespräch, ich habe ihr erneut verdeutlicht, dass ich für das Team bereit stehe. Aber der Unterschied ist, dass ich mir damals so viel Druck gemacht habe, weil ich wusste, dass ich mit den anderen mithalten kann. Ich wollte es allen beweisen, und das war mein großer Fehler. Jetzt ist der Unterschied, dass meine Wahrnehmung so ist, dass ich es ins Team schaffen will und nicht schaffen muss.

Ist die großartige Erfolgswelle, auf der das deutsche Damentennis reitet, für Sie also mehr Ansporn als Druck?

Kerber: Mittlerweile auf jeden Fall, mich spornt es richtig an, dass ich mit Andrea Petkovic, Sabine Lisicki und Julia Görges so viel Konkurrenz im eigenen Land habe. Wir verstehen uns untereinander sehr gut, aber natürlich ist Tennis ein Individualsport, in dem jeder zunächst für sich selbst arbeitet. Aber ich habe mich für jede von den Mädels gefreut, wenn der Erfolg da war. Das ist doch für uns alle gut.

Warum sind die deutschen Damen so viel erfolgreicher als die Herren?

Kerber: Ich kann das nicht beurteilen. Ich weiß nur, dass wir Damen unheimlich hart arbeiten für den Erfolg. Und ich denke, es hat auch damit zu tun, dass der Konkurrenzdruck höher ist. Die Erfolge der einen ziehen die anderen mit. Wenn bei den Herren mal einer ins Grand-Slam-Halbfinale kommt, kann das den entscheidenden Schub geben.

Ihre Eltern sind polnischer Herkunft, Sie hätten auch für Polen spielen und weniger Konkurrenz haben können. Wie entscheidet sich ein junger Mensch wie Sie zwischen zwei Nationalitäten?

Kerber: Es gab da nicht viel zu überlegen. Polen ist ein Teil von mir, aber ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, hier ist meine erste Heimat. Deshalb war mir eigentlich immer klar, dass ich auch für Deutschland spielen möchte. Es gab zwar Momente, in denen ich überlegt habe, aber ich habe nie gesagt, dass ich für Polen spielen würde. Das wurde in der polnischen Presse falsch dargestellt.

Ihre beste Freundin auf der Tennistour ist die Dänin Caroline Wozniacki, die auch polnische Wurzeln hat. Was bedeutet Ihnen diese Freundschaft im harten Wettbewerb der Egoismen?

Kerber: Unheimlich viel. Bei den Frauen ist der Konkurrenzkampf härter, hinterhältiger als bei den Männern, das spürt man immer wieder. In so einem Umfeld ist es wichtig, dass man Freundinnen hat, sonst wäre es echt hart. Und Caroline ist eine echte Freundin. Wir sprechen polnisch miteinander, waren auch zusammen in Urlaub.

In der kommenden Woche steigen Sie nun wieder in den Tourbetrieb ein. Was denken Sie, was sich verändern wird nach Ihrem US-Open-Abenteuer?

Kerber: Ich denke schon, dass ich von den Gegnerinnen ein wenig mehr Respekt bekomme als bislang. Das hat man schon in New York gemerkt, plötzlich haben Spielerinnen mit mir geredet, die mich sonst nie angeschaut haben. Als ich in der zweiten Woche auf den Fahrdienst wartete, kam nach fünf Minuten ein Auto. Das dauerte sonst gern eine Stunde. Von meiner Einstellung her wird sich aber nicht viel verändern. Ich erwarte jetzt sicherlich nicht, bei jedem Turnier ins Halbfinale zu kommen, das wäre unrealistisch. Ich will genießen, was ich tue, und vor allem will ich immer mein Bestes geben.

Gibt es etwas, das Sie an Ihrem Beruf überhaupt nicht leiden können?

Kerber: Das Reisen ist etwas, was mich nervt. Vor allem die Wartezeiten auf Flughäfen sind furchtbar. Ich schaue viele Filme und lese, aber manchmal ist das Warten wirklich grausam, ein echtes Geduldsspiel. Andererseits ist es aber auch ein Privileg, dass ich durch meinen Beruf so viel von der Welt sehe, so viele verschiedene Kulturen kennen lerne und meinen Lebensunterhalt mit meinem Hobby verdiene.

Stimmt es, dass Sie in New York nicht wissen wollten, wie viel Preisgeld Sie verdient hatten, um sich nicht vom sportlichen Geschehen abzulenken?

Kerber: Bis zum Viertelfinale wollte ich weder wissen, was ich verdient habe, noch wie viele Punkte für die Rangliste ich bekomme. Aber ab dem Viertelfinale haben mich die Journalisten darauf angesprochen. Ich konnte das aber ganz gut ausblenden.

450000 Dollar war der Einzug ins Halbfinale wert. Haben Sie schon einmal so viel Geld auf einen Schlag verdient, und haben Sie sich eine Belohnung gegönnt?

Kerber: Ich war vor allem überrascht, wie viele Steuern ich in den USA lassen musste. Das war schon ein Schock. Ich will sicherlich nicht klagen, aber wenn man weiß, wie viel Geld meine Großeltern in meine Karriere investiert haben, dann relativiert sich einiges. Ich bin froh, dass ich mir nun ein paar Monate keine Sorgen machen muss, wovon ich die Reise zum nächsten Turnier bezahle. Ich habe mir deshalb auch nichts gegönnt, sondern das Geld zurückgelegt. Man weiß ja nie.

Welchen sportlichen Traum möchten Sie sich in Ihrer Karriere erfüllen?

Kerber: Ich träume natürlich davon, die Nummer eins der Welt zu sein und Grand-Slam-Turniere zu gewinnen. Aber Träume und Ziele sind nicht deckungsgleich. Mein Ziel ist es, mein Tennis stetig zu verbessern. Dafür muss ich hart arbeiten, vor allem an der Fitness. Dann kommen die Erfolge von ganz allein. Das habe ich aus den vergangenen Wochen gelernt.

Bitte gestatten Sie zum Abschluss noch eine nicht-sportliche Frage: Wie kommt eine deutsche Frau mit polnischen Wurzeln zu einem französischen Vornamen?

Kerber: Ich weiß es nicht, er hat meinen Eltern einfach gefallen, denke ich. Und mir gefällt er auch. Vor allem mein Spitzname „Angie“!

Weil Sie dabei immer an die Bundeskanzlerin denken müssen?

Kerber: Diese Verbindung hat ehrlich gesagt noch niemand hergestellt.