München hat mit seiner Bewerbung um die Winterspiele 2018 einen Endspurt hingelegt. Doch die heutige Entscheidung des IOC ist unberechenbar.

Hamburg/Durban. Es ist in diesen letzten Stunden vor der Entscheidung auch ein Wettstreit der Bilder. Wer sein Lächeln verliert, der könnte gleich die Olympischen Winterspiele 2018 verlieren. Und so tritt Südkoreas personifiziertes Cheflächeln, die Eiskunstläuferin Kim Yu-na, gestern eher zögerlich auf das angeschmolzene Eis der "Ice-Rink-Bahn" in Durban.

Bloß nicht ausrutschen. An der Bande steht ein Heer von Kameraleuten und Fotografen. Sie lauern auf Fotos, mit denen sich die Furcht der Südkoreaner vor einer dritten Abfuhr des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Folge illustrieren ließe. Zweimal in Folge hatte sich das Land mit der Stadt Pyeongchang beworben, zweimal war es knapp gescheitert: Die amtierende Olympiasiegerin gestürzt, im matten Licht der rot-grün-blauen Scheinwerfer - es wäre ein verheerendes Bild, wenige Stunden bevor sich Südkorea bei der IOC-Session in Südafrika gegen München und den Außenseiter Annecy (Frankreich) durchsetzen will.

Auf dem Eis stehen 16 kleine Mädchen, allesamt in engen Eiskunstlaufkleidern. Aufgeregt plappern sie, drehen eine Pirouette nach der anderen vor ihrem Idol. Kim aber lächelt nur höflich, klatscht Applaus, dreht ganz langsam selbst zwei Runden. Alles, nur kein Risiko. "Ich bin aufgeregt, aber gleichzeitig auch ein bisschen nervös. Ich versuche, keine Fehler zu machen", sagt sie in die Mikrofone. Südkorea ist zum Siegen verdammt, schon der Gedanke an eine Niederlage ausgeschlossen.

Vielleicht ist das der größte Trumpf Münchens, wenn IOC-Präsident Jacques Rogge heute um 17.11 Uhr den Umschlag mit der Siegerstadt öffnet. Denn die deutsche Delegation präsentiert sich in Südafrika zwar weniger pompös als die Südkoreaner, dafür aber mit einem beachtlichen Vorsprung an professioneller Lockerheit. Während die Südkoreaner ihre staatsmännisch inszenierten Pressekonferenzen vom Blatt ablesen, zeigen sich Vorzeigefrau Katarina Witt und ihre Mitstreiter getreu ihrem Olympiamotto "Festival of Friendship" (Festival der Freundschaft) locker vor der Weltpresse.

Gestern gab es die letzte dieser Art. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) erschien einen Tag nach seinem Geburtstag und einem unruhigen Flug in Plauderlaune auf dem Podium. Er habe unzählige Glückwunsch-SMS bekommen, "aber nach einem Halbsatz ging es dann oft schon um Durban". Und so sei es auch beim Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gewesen.

"Noch bevor wir diesmal über den Euro oder Griechenland geredet haben, hat sie viel Glück für die Olympiabewerbung gewünscht", erzählte Seehofer. Er werde in Durban nun noch einige Gespräche führen, um diese "würdige und hochwertige Bewerbung" zu unterstützen, München verspreche angesichts der bereits vorhandenen Anlagen die "umweltfreundlichsten Spiele, die je stattgefunden haben". Den Sport hätten die Bayern ohnehin "im Herzen".

Neben Seehofer saßen der ehemalige Ski-Profi Markus Wasmeier und der Bobfahrer Richard Adjei, die beide Olympiaerfahrung aufzubieten haben. Sie trugen Lederhosen, Seehofer stellte sie etwas überschwänglich als "Boygroup" vor. Wasmeier berichtete von zahlreichen Olympischen Spielen - es gebe Fans, "die das Feuer in sich haben, und die, die es nicht so in sich haben". Das könnte man durchaus als Anspielung auf die Südkoreaner interpretieren, die den Nachweis von wintersportlicher Gänsehautstimmung bislang noch nicht erbracht haben.

+++ In Hamburg wurde München als Kandidat für 2018 gekürt +++

Auf der anderen Seite verspricht Südkorea allerdings kaum weniger als die lückenlose Erschließung des Planeten für den Wintersport. Die Nation werde im Falle des Zuschlags 500 Millionen Dollar in die Förderung des Wintersports investieren, sagte Sportminister Byoung-Gug Choung, "wir wollen das Dreamprogramm von ganz Südost-asien bis in den Mittleren Osten, Lateinamerika und Afrika ausweiten". Schon in Durban ist die Präsenz der Südkoreaner, die ganze Hundertschaften an Maßanzugträgern eingeflogen haben, beinahe erdrückend. Staatspräsident Lee Myung-bak hat die Olympischen Spiele zur nationalen Priorität erhoben, und reiste am Sonnabend an - früher als die meisten der 96 stimmberechtigten IOC-Mitglieder. Die Botschaft: Eine erneute Abfuhr wäre eine Brüskierung auf höchstem Level.

Verständlich, dass die Deutschen in Richtung des Hauptkonkurrenten sticheln. "Man kann von allem auch zu viel machen", sagte Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD), der zudem auf den Überraschungseffekt des lange geheim gehaltenen Besuchs Franz Beckenbauers setzt: "Das hat eingeschlagen wie eine Bombe." Und genau jener Franz Beckenbauer warb direkt nach seiner Ankunft für seine Heimatstadt: "Ich bin überzeugt, dass München große Winterspiele ausrichten könnte. München ist der richtige Ort."

Heute aber endet der Wahlkampf vor und hinter den Kulissen. Ab 8.45 Uhr wird zu früher Stunde unter anderem Bundespräsident Christian Wulff mit Katarina Witt und Franz Beckenbauer auf der Bühne im Durbaner Kongresszentrum stehen. Eine letzte Möglichkeit, die IOC-Mitglieder vor deren Wahl am Nachmittag zu überzeugen. Gestern bescheinigte Wulff München "eine hervorragende Bewerbung". Ganz Deutschland fiebere der Entscheidung entgegen - zuletzt hatte eine Umfrage des Berliner Meinungsforschungsinstituts "info" 78 Prozent Zustimmung für München 2018 ergeben.

Auch Katarina Witt, seit zwei Jahren Kuratoriumschefin für München 2018, bleibt Optimistin: "Wenn wir gewinnen, dann hat das beste Konzept gewonnen." Sie betonte die Stärken Münchens - die breite Fanbasis für Wintersport, die hochwertigen Sportanlagen, die anders als in Südkorea überwiegend schon existieren.

Aber: Die Qualität einer Bewerbung entscheidet nicht allein. Einige Nachrichten aus der Wirtschaftswelt deuten auf eine Favoritenrolle Pyeongchangs hin. Am Montag erwarb der südkoreanische Fernsehsender SBC beim IOC die Übertragungsrechte bis 2024 - für eine so lange Zeitspanne wie kein anderes Land. Geld spielt keine Rolle: Für 1,5 Milliarden Dollar wurde das Apensia-Ressort mit olympischen Sportstätten gebaut und die Schnellbahnverbindung vom Flughafen Seoul-Incheon kostet ebenfalls Milliarden.

Hinzu kommt der Einfluss des IOC-Sponsors Samsung, der ganz nebenbei als privater Hauptfinanzier der Bewerbung Südkoreas fungiert. "90 Prozent der Bevölkerung unterstützen uns, und mit ihnen auch die Unternehmen. Samsung ist nur einer davon", versuchte Bewerbungschef Cho Yang-ho der Kritik entgegenzuwirken. Bei der Wahl von Sotschi als Austragungsort für die Winterspiele 2014 zog Gazprom im Hintergrund die Fäden, vor den Spielen 2006 in Turin war es der Fiat-Konzern.

Außerdem spielt die Geopolitik eine Rolle. Für die Winterspiele 2022 will sich die Schweiz bewerben, das Land mit den meisten IOC-Mitgliedern. Für die Sommerspiele 2020 Rom und vielleicht auch Madrid - den Entscheidern aus den jeweiligen Ländern kämen Winterspiele 2018 in München ungelegen, weil das IOC bei aufeinanderfolgenden Wahlen den Zuschlag gern an unterschiedliche Kontinente verteilt.

Ein Großteil der bayerischen Delegation und der 100 eingeflogenen Fans wird die herbeigesehnten letzten Sekunden vor der Entscheidung heute im Durbaner Strandlokal Moyo verfolgen, das kurzerhand zum Deutschen Haus umfunktioniert wurde. Direkt davor haben Künstler aus Mosambik und Südafrika ein Schloss aus Sand gebaut. "Es ist zu windig, ich bessere schon den ganzen Tag brüchige Stellen aus, damit es nicht zerfällt", sagt einer der Männer. Bildlich gesehen ist seine Aufgabe gar nicht so verschieden von der des deutschen Bewerberteams, das eine große Idee trotz aller Probleme am Leben erhalten muss. Diese aber sieht sich heute einer Gewalt ausgesetzt, die weit unberechenbarer als jede Naturerscheinung ist: dem IOC.