Wladimir Klitschko gewann den packenden Kampf gegen David Haye. 16,28 Millionen Zuschauer saßen Ende der 12. Runde vor den TV-Schirmen.

Hamburg. Die letzte Hoffnung für das Schwergewichtsboxen ist ein heftiger Streit unter Brüdern. Nachdem Wladimir Klitschko Samstagnacht in Hamburg auch David Haye von der Liste der ernsthaften Herausforderer wegradiert hat, bleibt in der einstigen Königsklasse niemand mehr übrig außer den beiden Klitschkos. Ödnis um sie herum, wohin man blickt. Mit seinem eindeutigen 3:0-Punktsieg (117:109, 118:108, 116:110) gegen das enttäuschende Großmaul aus London fügte der 35 Jahre alte Wladimir seinen WM-Gürteln der Verbände IBF und WBO auch noch den WBA-Titel hinzu. Vitali Klitschko ist Weltmeister der WBC. Geschichte wurde geschrieben, das Schwergewichtsboxen ist mehr denn je eine Familienangelegenheit.

„Wir haben unseren Traum erfüllt und alle Titel vereinigt“, freute sich Wladimir Klitschko. Dann stellte er sich auf die Seile des Ringgevierts und ließ sich von seinen Anhängern feiern. Die meisten der über 10.000 englischen Fans unter den rund 40.000 in der Hamburger Fußball-Arena hatten sich da bereits frustriert in den andauernden Regen getrollt. Ihr Mann hatte sich als Rohrkrepierer erwiesen, der keine seiner großspurigen Ansagen umsetzte und statt dessen nach dem Fight einen gebrochenen Zeh im rechten Fuß als Entschuldigung vorbrachte.

„Jeder weiß, dass meine Schlagkraft aus meiner Dynamik und Beinarbeit kommt“, sagte Haye, „ich war durch die Verletzung nicht in der Lage dazu und konnte deshalb meinen Plan nicht umsetzen.“ Vor drei Wochen hatte er die Verletzung angeblich im Training erlitten. Als Wladimir Klitschko nach dem Kampf ein „Attest“ sehen wollte, präsentierte Haye seinen Fuß auf der Pressekonferenz auf dem Podium stehend nur zu gerne den Fotografen. Zu sehen war nichts.

„Das war peinlich und unwürdig, er benimmt sich wie ein heulendes Baby“ kritisierte der britische Promoter Frank Warren bei der BBC, „wenn dein Titel auf dem Spiel steht, muss man kämpfen. Er hat nichts gezeigt und sollte zurücktreten.“ Haye hatte immer einen Rücktritt für den 31. Oktober, kurz nach seinem 31 Geburtstag, angekündigt. In der Nacht zum Sonntag wollte er davon nichts mehr wissen: „Ich muss jetzt über meine Zukunft nachdenken. Ich würde gerne bei voller Gesundheit ein Re-Match mit Wladimir machen und ihn dann schlagen.“

Dazu aber wird es kaum kommen. „Das war die schwierigste Promotion, die wir jemals gemacht haben“, klagte Klitschko-Manager Bernd Bönte, „das Haye-Lager kam ständig mit neuen Forderungen. Da waren Aggressionen von A bis Z.“ Dazu passte es gut, dass Haye vor dem Kampf den vorher minutiös geplanten Einmarsch-Ablauf platzen ließ und geschlagene sieben Minuten auf sich warten ließ. Der legendäre Ex-Champion Lennox Louis, der ihn zum Ring begleiten sollte, wartete derweil wie ein dummer Junge vor Hayes Kabinentür.

Im Kampf dominierte der neun Zentimeter größere und fast 14 Kilo schwerere Klitschko von der ersten Runde an. Haye führte Meidebewegungen wie ein Hula-Tänzer auf, kniete sich sofort auf den Boden wenn Klitschko ihm nahe kam und versuchte nur sehr selten, mit wilden, eingesprungenen rechten Schwingern zu treffen. Am Ende schien er froh, über die Distanz gekommen zu sein. „Es war nicht einfach ihn zu treffen mit seiner Schnelligkeit und seinen boxerischen Fähigkeiten“, erklärte der neue Dreifach-Weltmeister, „leider hat es mit meinem 50. K.o.-Sieg nicht geklappt.“

59 Siege hat der 35-Jährige jetzt auf seinem Konto bei drei Niederlagen. Klitschko steht mehr denn je an der Spitze, eine große Genugtuung. Als „langweilig“ wurde er immer wieder verspottet, dabei bringen es die Gegner einfach nicht. Wie jetzt Haye. „2004 nach meinen zwei Niederlagen war ich am Boden und zerbrochen“, erinnerte sich Klitschko, „heute kann ich meinen Kritikern sagen, sie sollen die Klappe halten.“

Nur die Frage, wer der beste Schwergewichtsboxer überhaupt ist, die bleibt dennoch unbeantwortet. Vitali oder Wladimir? „Früher gab es unbestrittene Champions wie Lewis, Mike Tyson, Larry Holmes“, sagt Warren, „es ist ein Problem, dass zwei Brüder so klar dominieren, die nie gegeneinander antreten werden.“ Es sei denn, es kommt doch noch zu einem heftigen Streit unter Brüdern – aber wer glaubt das schon.

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Höhepunkt einer Ära

Seit Jahren prägen die Klitschkos das Profiboxen der schweren Männer rund um den Globus. Am Wochenende setzte das Brüderpaar noch einen drauf. Wladimir entriss David Haye die WBA-Krone. Jetzt liegen die WM-Gürtel der vier wichtigsten Weltverbände in ihren Schränken. Mehr geht nicht.

Angesichts der Klitschko-Dominanz stellt sich die Frage nach weiteren Gegnern. Welcher Boxer stellt für Witali und Wladimir noch eine Herausforderung dar? Eigentlich keiner mehr. Es ist weit und breit niemand auszumachen, der ihnen das Wasser reicht.

Der Höhepunkt einer Ära ist erreicht und birgt die Tücke, dass es für die Ukrainer eigentlich nur noch abwärts gehen kann. Das ist äußerst schade, zumal auch ein Duell zwischen den Brüdern nicht in Frage kommt. Davon wusste am Wochenende Box-Laie Til Schweiger am Ring zu berichten. „Wer den neuen Klitschko-Film im Kino gesehen hat, weiß, dass sie nie gegeneinander boxen“, sagte der Filmregisseur.

Vielleicht ist es auch gar nicht an der Zeit, den Blick nur nach vorne zu werfen. Vielleicht sollte man vielmehr die Auftritte der Zwei-Meter-Hünen honorieren. Was das Brüderpaar geleistet hat, ist aller Ehren wert. Nicht nur im Ring. Auch außerhalb setzen sie Maßstäbe. Sie lehnten eine Zusammenarbeit mit US-Promoter Don King ab und bauten ihr eigenes Management auf. Sie präsentierten der Öffentlichkeit einen neuen Boxer-Typen und traten intelligent, weltoffen, ironisch und humorvoll auf. Eigenschaften, die dem Image ihrer Sportart sehr geholfen haben. Auch deshalb wäre ihr Abschied ein Verlust.