Michael Stich, Turnierdirektor am Rothenbaum, fordert die Vernetzung aller Großveranstaltungen und einen Sponsorenpool.

Hamburg. Am 17. Juli starten am Rothenbaum die Qualifikationsspiele für die German Open im Tennis. Auf dem Gelände haben die Aufbauarbeiten begonnen. Hektik liegt in der heißen Luft. Michael Stich aber wirkt beim Abendblatt-Interview sehr entspannt. Die Antworten des Turnierdirektors kommen wie ein guter Return: schnell, bisweilen hart, immer ins Ziel. Stich, 41, trinkt Mineralwasser und Apfelschorle. Vom Klingeln seines iPhones lässt er sich nicht stören.

Abendblatt:

Herr Stich, warum sollten sich die Hamburger in diesem Jahr eine Eintrittskarte für den Rothenbaum kaufen?

Michael Stich:

Es gibt diesmal nicht weniger gute Gründe als in den Vorjahren, zu uns zu kommen. Wir bieten absolutes Weltklassetennis, wir haben vielversprechende norddeutsche Youngster, die es wert sind, unterstützt zu werden.

2009 haben Sie mit diesem Angebot nicht mal mehr 50 000 Menschen angelockt. Was stimmt Sie hoffnungsvoll, dass es in diesem Jahr besser wird?

Weil wir uns verbessert haben. 2009 war nach der Verlegung des Turniers vom Mai in den Juli der Termin neu für die Leute. Das hat uns Zuschauer gekostet. Dazu kam das schlechte Wetter. Wir offerieren den Menschen inzwischen mehr Möglichkeiten zum Verweilen, sie sollen auf die Anlage kommen, entspannen und sich wohlfühlen. Wir spüren, dass wir deutlich weiter sind als im Vorjahr, auf allen Ebenen.

Zuschauerzahlen wie vor ein paar Jahren, als sich Federer und Nadal in Hamburg duellierten, sind passé?

Ich denke, dass es die mehr als 100 000 Zuschauer, die vermeldet wurden, nie gab. Die wurden genannt, um das Turnier attraktiver wirken zu lassen. Wir geben aus gutem Grund keine Besucherzahl vor, die wir erreichen müssen, um den Etat zu decken. Wir wollen so viele Leute wie möglich zu uns holen.

Wie groß ist der Anteil der Zuschauereinnahmen am Etat von 3,2 Millionen Euro?

Ich werde Ihnen keine Etatzahlen nennen, aber es ist kein Geheimnis, dass die Zuschauer der wichtigste Faktor sind. Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch für die Spieler und Sponsoren, für die Atmosphäre auf der Anlage. Deshalb wollen wir unseren Besuchern auch das Gefühl geben, dass sie der wichtigste Teil des Turniers sind.

Ihnen fehlt ein Hauptsponsor. Wie kommen da 3,2 Millionen Euro zusammen?

Machen Sie sich keine Sorgen, wir kommen schon klar. Natürlich ist es schön, wenn Sponsoring- und Rechteeinnahmen den Etat decken und die Zuschauer für den Gewinn sorgen. Aber das schafft kaum eine Sportveranstaltung.

Wieder steht kein Hamburger Unternehmen bereit, sich für eine Traditionsveranstaltung wie das Rothenbaum-Turnier als Hauptsponsor zu engagieren. Wo liegt das Problem?

Ich wünschte mir, dass es einen Pool gäbe, in den viele Hamburger Unternehmen einzahlen und aus dem dann alle Spitzensport-Veranstaltungen der Stadt unterstützt werden. Mit Volker Wulf, dem Chef des Spring- und Dressur-Derbys, stehe ich in gutem Kontakt, und wir wollen im August ein Treffen mit den Veranstaltern des Marathons, des Triathlons und der Cyclassics initiieren, um die Debatte voranzutreiben.

Was können Sie denn einem Unternehmen als Mehrwert bieten?

Diese Frage hören wir oft. Viele sind mit dem Produkt Tennis gar nicht vertraut. Da müssen wir Anstrengungen unternehmen, um das zu verändern. Mir liegt der Aufbau eines Netzwerks im Hamburger Sport, das die Veranstalter und die Entscheider aus der Wirtschaft zusammenführt, sehr am Herzen.

Im kommenden Jahr streicht auch die Stadt ihren Zuschuss von 200 000 Euro. Wie schwer wiegt dieser Verlust?

200 000 Euro sind sehr viel Geld. Aber genauso, wie ich mich über die Herabstufung des Turniers durch die ATP nicht aufrege, nehme ich auch diese Herausforderung an.

Aber gerade die Stadt profitiert von Großveranstaltungen in vielen Bereichen. Ist es richtig, sie einfach aus der Verantwortung zu entlassen?

Nein, und das werden wir auch nicht tun. Mir ist bewusst, dass wir nicht nur die Hand aufhalten können. Aber wir haben einen Anspruch, für den Mehrwert, den wir der Stadt liefern, auch etwas zu bekommen. Es gibt Turniere, bei denen die Kommunen bis zu 60 Prozent des Etats tragen, wie in Nizza oder Madrid. Wir sind mit Sportsenatorin Karin von Welck über diese Problematik in einem guten Dialog.

Können Sie verstehen, dass eines der Argumente gegen eine städtische Unterstützung lautet, man dürfe Tennis-Millionären nicht noch Geld hinterherwerfen?

Ich fand diese Debatte nicht zielführend. Wenn man Topspieler will, muss man sie bezahlen. Das ist nicht nur im Sport so, auch in der Kultur. Die Debatte um unser Turnier und die Zuschüsse für andere sportliche Groß-Events entzündete sich ja auch daran, dass der Breitensport darunter leiden müsse. Ich sage Ihnen: Wenn es keine Top-Events mehr gibt, leidet der Breitensport viel stärker. Spitzensport ist das Zugpferd, von dem der Breitensport profitieren kann. Wir würden gern etwas an den Breitensport abgeben, dafür müssen wir aber erst einmal was verdienen. Es wäre hilfreich, wenn sich alle handelnden Personen zusammensetzten und einen Fünfjahresplan aufstellten, um gemeinsam eine Vision zu verfolgen.

Diese gab es mit der Sportstadt Hamburg. Ihnen als Sportveranstalter kann es nicht gefallen, dass die Stadt sich vom Sport abwendet und lieber Kulturstadt werden möchte.

Will sie das wirklich? Oder will sie mit der Elbphilharmonie nur ein Leuchtturmprojekt haben? Es schließen doch immer wieder Theater und Museen. Eine echte Hinwendung zur Kulturstadt kann ich nicht erkennen. Ein Zustand, den ich bedaure, denn ich interessiere mich sehr für Kunst und Musik. Als Bürger der Stadt finde ich es bitter mit anzusehen, was Hamburg schon alles verloren hat, nicht nur im Bereich der Kultur, auch in den Medien oder der Wirtschaft. Aber was mich noch mehr interessiert: Was war denn die Sportstadt Hamburg überhaupt? Ich habe diese Frage oft gestellt, aber keine Antwort erhalten. Es gab und gibt dafür kein schlüssiges Konzept.

Was vermissen Sie?

Mir fehlt die Vision, wo die Stadt hinwill, und vor allem fehlt mir die Nachhaltigkeit. Hamburg kann sich, so sehr ich die Stadt auch liebe, nicht mit Metropolen wie London, Paris und New York messen. Hamburg bewirbt sich für eine Schwimm-WM gegen Kandidaten wie Moskau und Dubai, die viel finanzkräftiger sind, und ist bereit, dafür 23 Millionen Euro auszugeben. Mit der Summe könnten wir die bestehenden Großveranstaltungen für zehn Jahre locker sichern. Oder nehmen Sie ganz aktuell die U-17-WM der Basketballer, die derzeit hier läuft. Darüber erfährt man so gut wie nichts. Es genügt nicht, die Dinge nur haben zu wollen, man muss sie auch nutzen. Ich hoffe, für die Elbphilharmonie gibt es ein besseres Konzept, denn es wird nicht ausreichen, dass sie im Hafen steht. Man braucht auch dauerhaft die besten Dirigenten und Musiker, die dort spielen. Und die kosten Geld.

Geld, das im Sport eingespart wird?

Ich finde diesen Weg falsch, denn ich behaupte, dass der Sport wesentlich mehr zur Stabilisierung des sozialen Friedens beiträgt als die Kultur. Aber ich möchte keine Debatte mit der Kernfrage: das eine oder das andere? Eine Stadt wie Hamburg braucht beides.

Was wäre denn Ihr Bild einer Sportstadt?

Eine Sportstadt sichert zunächst einmal die bestehenden Spitzensport-Veranstaltungen, bevor sie sich im zweiten Schritt für weitere Großereignisse bewirbt. Darüber wird der Breitensport gestärkt, sodass man Sportlern aus der eigenen Stadt die Chance ermöglicht, an Events in ihrer Heimat teilzunehmen und sie vielleicht auch sogar zu gewinnen. Wenn man auf diese Art aus dem Breitensport den Spitzensport fördert, schließt sich der Kreis.

Zurück zum Tennis: Warum haben wir das Gefühl, dass viele deutsche Profis nicht mehr das Feuer haben, das einst ein Boris Becker und Sie hatten?

Ein Problem ist, dass es heute viel mehr Möglichkeiten der Freizeitgestaltung gibt als vor 20 oder 30 Jahren. Das spürt man in allen Bereichen der Gesellschaft, auch im Tennis. Aber ich lasse das Urteil über die deutschen Tennisprofis so pauschal nicht gelten. Wir haben viele gute Spieler, die hart arbeiten, um nach oben zu kommen.

Was halten Sie von dem deutschen Weg, auf die schulische Ausbildung zu achten und danach erst Profi zu werden?

Dieser Weg hat sich auch in anderen Ländern durchgesetzt. Die Spieler in den Top 100 sind im Durchschnitt älter als früher. Dass jemand mit 17, 18 in die Weltspitze kommt, ist selten geworden. Im Übrigen halte ich das deutsche System für eines der besten der Welt. Ob ein Spieler es in die Top Ten schafft, liegt einzig an ihm und nicht am System.

Sie waren 1993 der bisher letzte Deutsche, der am Rothenbaum gewann. Wem trauen Sie Ihre Nachfolge zu?

Philipp Kohlschreiber. Er hat die meisten Spieler, die hier antreten, schon besiegt. Die anderen können überraschen und ins Halbfinale einziehen, aber ein Turniersieg wäre schon eine Sensation.