Die US-Tennislegende John McEnroe über Ausraster, fehlende Typen, Wimbledon und seine Beziehung zu Tommy Haas und Michael Stich.

Hamburg. Seine Stimme klingt fest, und wenn John McEnroe redet, dann spürt man selbst durch die Telefonleitung zwischen Hamburg und New York, dass er nicht gern unterbrochen werden möchte. Der 53 Jahre alte Tennis-Altmeister hat ja auch einiges zu sagen, er ist als Experte bei allen Grand-Slam-Turnieren gefragt - und für seine scharfzüngigen Kommentare gefürchtet. Von Montag an, wenn die Stars von heute in Wimbledon aufschlagen, analysiert der US-Amerikaner für mehrere TV-Sender die Spiele in London. Am 14. Juli kommt McEnroe, der im US-Bundesstaat New York eine Tennisakademie betreibt, nach Hamburg, einen Tag später tritt er am Rothenbaum im Rahmen der Berenberg Bank Classics gegen Turnierdirektor Michael Stich zu einem Schaukampf an. Dass dieser Ausflug für ihn nicht nur Spaß ist, erklärt der siebenfache Grand-Slam-Sieger im Interview.

Hamburger Abendblatt: Herr McEnroe, das erste, was vielen Tennisfans einfällt, wenn sie Ihren Namen hören, ist der berühmte Satz, den Sie 1981 in Wimbledon bei Ihrem Erstrundenmatch gegen Tom Gullikson Schiedsrichter Edward James zubrüllten: "You cannot be serious!" Hätten Sie geglaubt, dass dieser Satz mal so ein Klassiker werden würde?

John McEnroe: Natürlich nicht! Ich finde es absolut erstaunlich, dass dieser Satz so häufig wiederholt wird. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele Leute das noch immer zu mir sagen. Ich hatte ja eine Menge Auseinandersetzungen auf dem Platz, nicht nur mit Schiedsrichtern. Da hätte man einige andere Sprüche nehmen können, die härter waren. Es war sicherlich ein glücklicher Umstand, dass ich den Satz in Wimbledon gesagt habe, da werden solche Dinge größer gemacht, als sie sind. Und irgendwann habe ich mich daran gewöhnt, dass mich jeder mit diesem Ausraster verbindet, und den Satz dann benutzt, für Werbeauftritte oder als Buchtitel.

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Sie haben das Image eines Rüpels gepflegt. Fehlen Ihnen solche Typen, wie Sie einer waren, heutzutage?

McEnroe: Mir fehlen sie schon, aber ich weiß, dass man das den Spielern nicht vorhalten darf. Es sind eine Menge Regeln erlassen worden, die es den Jungs unmöglich machen, sich in irgendeiner Weise schlecht zu benehmen. Wer heute so frech wäre wie ich damals, müsste das teuer bezahlen. Das kann man bedauern, ändern können es nur die Verbände, die die Regeln machen.

Sie sehen als Experte für TV-Stationen und Zeitungen sehr viele Tennisspiele. Wie oft schauen Sie sich denn noch Ihre eigenen Matches von früher an?

McEnroe: Das habe ich noch nie getan. Manchmal, wenn irgendwo bei einem Turnier eine Regenunterbrechung ist, laufen Bilder von damals, und dann schaue ich nicht weg, wenn ich darauf zu sehen bin. Aber dass ich mich bewusst hinsetze und meine Spiele anschaue, oder auch meinen Kindern alte Videos zeige, um ihnen vorzuführen, wie toll ihr Vater war, das kommt nicht vor. Ich habe gar keine Lust dazu, denn ich weiß nicht, was das bringen soll. Niederlagen würden mich heute noch schmerzen und alte Wunden aufreißen, und Siege würden nicht bewirken, dass es mir besser geht.

Wie erklären Sie sich, dass Legendenmatches wie das, was Sie gegen Michael Stich bestreiten werden, oftmals besser besucht sind als die Spiele bei Turnieren der aktuellen Generation?

McEnroe: Die Zeit, in der Spieler wie ich groß geworden sind, war der Beginn einer Ära in unserem Sport, die viele Menschen weltweit fasziniert hat. Es gab eine Menge Spieler, die Persönlichkeiten waren, die etwas ausgestrahlt haben, und diese Faszination hat sich bis heute gehalten. Schauen Sie, im Tennis ist es ja anders als beispielsweise in Teamsportarten, wo die Menschen ihr lokales Team unterstützen. Im Tennis gibt es Helden, die weltweit auftreten, und nur mit Glück einmal im Jahr in ihrer Heimatstadt oder dreimal im Jahr in ihrem Heimatland. Als Tennisspieler musst du also etwas darstellen, wenn du weltweit bekannt sein willst, wenn du die Fans hinter dich oder gegen dich aufbringen willst. Genau das haben wir damals getan, ich eben auf die Art, dass ich der Bösewicht war. Und deshalb sind wir bis heute bekannt und gefragt.

Wären Sie manchmal trotzdem gern Spieler der aktuellen Generation?

McEnroe: Natürlich würde mich der Vergleich mit den heutigen Spielern reizen, aber ich denke, dass sich das gar nicht vergleichen lässt. Das Level, auf dem Leute wie Roger Federer, Rafael Nadal oder Novak Djokovic sich bewegen, ist unglaublich, das sind ganz großartige Athleten.

Das Turnier in Wimbledon steht an. Sehen Sie irgendeinen Spieler, der die Dominanz der großen Drei brechen könnte?

McEnroe: Ich würde Andy Murray immer mit einrechnen und deshalb von den großen Vier reden. Dahinter allerdings sehe ich überhaupt keinen, der bei einem Turnier wie Wimbledon den Titel holen könnte. Klar, Spieler wie Jo-Wilfried Tsonga, Tomas Berdych oder auch John Isner, das sind kräftige Kerle, die mit ihrem Aufschlag und ihrer Wucht Schaden anrichten können. Aber dass einer von denen es schafft, alle großen Vier hinter sich zu lassen, halte ich derzeit für ausgeschlossen.

Was haben Sie für einen Eindruck von den deutschen Spielern?

McEnroe: Philipp Kohlschreiber und Florian Mayer sind gute Spieler, die sich recht konstant um die Top 30 herum halten. Aber sie haben nicht die Klasse, um die Topspieler zu besiegen. Tommy Haas dagegen beeindruckt mich sehr. Ich habe mich riesig gefreut, als er am vergangenen Sonntag das Turnier in Halle gewonnen hat. Ich kenne Tommy gut, habe ihn oft in den USA getroffen. Er ist ein großartiger Spieler, und ich freue mich für ihn, dass die harte Arbeit nach seinen vielen Verletzungen sich jetzt endlich auszahlt. Ich drücke ihm die Daumen, dass er weit kommt. Er hätte es verdient.

Zu Michael Stich haben Sie auch eine besondere Verbindung. 1992, in Ihrem letzten Karrierejahr, haben Sie mit ihm das Doppelturnier in Wimbledon gewonnen. Wie haben Sie ihn in Erinnerung?

McEnroe: Ich glaube, dass Michael immer darunter gelitten hat, im Schatten von Boris Becker zu stehen. Er hat nie den Respekt bekommen, den er verdient hat. Dadurch ist er oftmals falsch verstanden worden und wurde als verkniffen und arrogant wahrgenommen. Er ist ein sehr stolzer und ehrgeiziger Mensch, aber wenn er seine Deckung fallen lässt, dann sieht man seine wahre Persönlichkeit, und die ist sehr angenehm. Ich hatte in ihm einen wunderbaren Doppelpartner und bedaure es, dass wir erst so spät zusammengefunden haben.

Bei aller Freundschaft wird er sich am 15. Juli aber kaum auf ein Gastgeschenk Ihrerseits einstellen dürfen. Sie kommen, um zu gewinnen, oder?

McEnroe: Natürlich! Ich nehme meine Matches nach wie vor sehr ernst. Ich trainiere jeden Tag, spiele viermal pro Woche Tennis und gehe dreimal pro Woche ins Fitnessstudio. Mir ist es sehr wichtig, in Form zu bleiben. Mittlerweile kann ich auf dem Platz Spaß haben, aber es muss immer auch ein ordentlicher Wettkampf herauskommen. Und es wäre schon schön, gegen Michael zu gewinnen. Aber ich weiß, dass es hart wird, er ist zehn Jahre jünger. Außerdem spiele ich nicht oft auf Sand.

Ihre Erinnerungen an den Rothenbaum sind auch nicht die besten. Bei ihrem einzigen Auftritt 1992 war in Runde zwei Endstation, 2003 unterlagen Sie Stich bei einem Daviscup-Revival im Champions-Tiebreak. Freuen Sie sich trotzdem auf Hamburg?

McEnroe: Ich habe tatsächlich kaum Erinnerungen an die Stadt, aber Michael hat mir in vielen Gesprächen erzählt, wie schön Hamburg ist. Deshalb freue ich mich sehr, ein paar Eindrücke zu sammeln, auch wenn ich nur für zwei Tage in der Stadt bin.

Und werden sich die Schiedsrichter weiterhin vor Ihnen in Acht nehmen müssen?

McEnroe: Schiedsrichter müssen sich grundsätzlich in Acht nehmen, das ist Teil ihres Jobs. Aber auf Sand hinterlassen die Bälle Abdrücke, da werden wir nicht so viel streiten müssen.