Fahrer, Zocker und Manager träumen wieder von den großen alten Zeiten in Bahrenfeld. Der Pferdesport soll zurück in die Köpfe der Hamburger.

Hamburg. Oliver Kahn ist da. Genauso wie Roque Santa Cruz und Ringo Starr. Prominente Namen gibt es reichlich auf der Trabrennbahn Bahrenfeld. Allerdings gehören sie nicht den Stars aus der Fußball- oder Musikbranche, sondern ausschließlich den Pferden. "Ab und an kann man hier aber schon ein paar bekannte Gesichter entdecken", sagt Walter Samulon, der es sich gemeinsam mit Ehefrau Heike und Hund Flo an einem der zahlreichen braunen Holztische im Tribünenrestaurant gemütlich gemacht hat. "Ich gucke allerdings wenig Fernsehen, deshalb kenne ich die meisten nicht."

Samulon, 55, ist Stammwetter und besucht die Trabrennbahn regelmäßig seit mehr als 20 Jahren. Er hat die großen Zeiten des Rennsports miterlebt und sich inzwischen sogar ein eigenes Pferd gekauft. Charom, ein zehnjähriger Wallach, hat bereits 13 Rennen gewonnen und ist der ganze Stolz des Kundenberaters der Deutschen Bahn. Im gerade bevorstehenden Rennen ist sein Traber jedoch nicht am Start - Samulon muss auf ein anderes Pferd setzen. Wie immer hofft er auf "den richtigen Riecher" beim Tippen und studiert noch einmal die "Traberwelt", die Fachzeitung, die über Wettquoten und Siegchancen informiert. Dann ertönt Musik aus den Lautsprechern. Die kraftvollen Klänge des "Fluch der Karibik"-Soundtracks kündigen die Parade der zehn Pferde samt ihrer Fahrer im Sulky an, die nun mit dieser musikalischen Untermalung das Geläuf erreichen. Nur eine von vielen Neuerungen, die die Hamburger - vor allem auch ein jüngeres Publikum - wieder nach Bahrenfeld locken sollen.

An diesem Abend haben sich rund 600 Besucher auf mehreren Ebenen der im vergangenen Jahr aufwendig renovierten Tribüne eingefunden. Ein Brand hatte die Räumlichkeiten komplett zerstört. Doch alle Bereiche sind wieder hell erleuchtet, das Inventar ist auf dem neuesten Stand. Tribünenrestaurant, Wettcenter, Barbereich - alles wirkt frisch, einladend und modern. Die Zuschauerzahlen sind sogar wieder gestiegen. "Die Zeiten, in denen 20 000 Leute an der Bahn stehen und mitfiebern, sind allerdings vorbei", sagt Samulon, während sich die Rivalen der Rennbahn dem Publikum präsentieren.

Die große Anspannung ist überall auf der Bahn spürbar. Die Blicke der Wetter wandern auf die Flachbildschirm-Monitore, die die Rennen live übertragen und dem geschulten Auge Aufschluss über Form und Spritzigkeit der Traber geben. Lady Aura, Izzibizzi Bi und die anderen Pferde werden noch einmal präsentiert, dann geht es endlich in Richtung Start.

Die Tiere reihen sich hinter einem alten Mercedes mit zwei ausgebreiteten Gitterflügeln ein. Der Wagen beschleunigt, die Traber jagen hinterher, das Rennen beginnt.

Mit dabei ist wie so oft Traberlegende Heinz Wewering. Wer auf den Weltrekordhalter setzt, der in seiner Karriere schon 16 600 Siege feierte, hat meist gute Chancen auf einen Gewinn. Doch dieses Mal will sein Pferd Open Straight ganz offensichtlich nicht so, wie Wewering es gern hätte. Die Stute läuft gemächlich hinter dem Hauptfeld her, der Träger des Silberhelms fällt chancenlos zurück. "O nein, das kann doch nicht sein", ruft ein Wetter lauthals. Ein anderer stöhnt und schüttelt ungläubig den Kopf.

Wewering, der aus seiner Wahlheimat Berlin nach Hamburg gekommen ist, nimmt es gelassen. Er wird auch weiter über die Trabrennbahn jagen, neue Pferde testen und die Zuschauer mit markigen Sprüchen bei Laune halten. "Bis 70 darf man fahren", sagt Wewering, "ein paar Jahre habe ich also noch vor mir." Bis zu acht Rennen fährt er an einem Abend - stets mit unterschiedlichen Pferden. Dass es dem Sport in diesen Tagen an Popularität fehlt, führt der 62-Jährige auch auf den Nachwuchsmangel zurück. "Das Interesse bei jungen Leuten hat sich verlagert", sagt Wewering, "den Beruf als Pferdewirt will heute kaum noch jemand erlernen." Zudem sei es häufig schwierig, das Traben zu trainieren. "Man braucht eine Bahn, ein entsprechendes Pferd - das ist ziemlich kompliziert", sagt Wewering. Wegen der dramatisch gesunkenen Preisgelder ist es vielen Besitzern kaum möglich, ihr Hobby auch nur halbwegs zu refinanzieren. Dennoch ist Wewering überzeugt: "Wer einmal das Pferdevirus in sich trägt, wird ihn nicht mehr los."

Auch Henning Rathjen ist von der Traberleidenschaft infiziert. Der 63-Jährige, der vor den Toren Hamburgs ein eigenes Gestüt besitzt und 18 Jahre lang Champion in Bahrenfeld war, wartet im Bereich der Stallungen auf seinen Einsatz und erinnert sich gern an die Zeit, als er als Auszubildender sein erstes Pferd und Jahre später das Nutzungsrecht für die Stallung direkt neben der Bahn erwarb, in der noch heute ein kleiner Wohnbereich integriert ist.

Es riecht ein wenig modrig dort. Ausgeblichene Fotos, Urkunden und Karikaturen hängen an den rot gestrichenen Wänden. Das Mobiliar verströmt den Charme der 70er-Jahre. Ein Ledersofa und Barhocker schmücken den Raum, neben dem Fernseher, dem einzig modernen Accessoire, steht ein zerschlissener beigefarbener Sessel. In diesem saß einst Vormieter Erich Croonen, der Rathjen für 2500 Mark plus Gewinnbeteiligung im Falle eines Sieges ein Pferd verkaufte, das zwar schnell war, aber häufig mit Beinproblemen zu kämpfen hatte. "Ich habe dann Kneipp-Kuren mit ihm gemacht", erzählt Rathjen, "Techniker, so hieß das Pferd, ging dann ab wie ein Torpedo."

Der ehemalige Dauerchampion erzählt von einer beinahe vergessenen Traberwelt, die nur noch wenig mit dem Rennsport von heute gemein zu haben scheint. "Inzwischen spiele ich hier keine Rolle mehr", sagt Rathjen. Rathjen hofft, dass es weiter bergauf geht mit der Trabrennbahn. "Wir sind wieder auf dem aufsteigenden Ast. Wir haben hier ein Geläuf auf europäischem Topniveau und werden früher oder später sicherlich auch das Interesse der Zuschauer wecken."

Diese Hoffnung hegt auch Bahntechniker Bernd Maas. Seit 1970 wartet und repariert er die Wettmaschinen und sorgt dafür, dass alle technischen Anlagen laufen. Maas vermisst ein wenig die persönliche Note, die die Trabrennbahn früher ausgemacht hat. "Damals kannte jeder jeden. Es gab Originale wie zum Beispiel Tüten-Lothar, der stets mit zwei Tüten in der Hand umherlief und Klamotten oder auch mal Kaviar verkauft hat", berichtet Maas. Der 61-Jährige wünscht sich, dass es wieder familiärer zugeht an der Rennbahn.

Genau dafür entwickelt Trabrennbahn-Geschäftsführer Jan Kleeberg neue Konzepte und Ideen, die Traben "wieder in die Köpfe der Hamburger" holen sollen. Viele Hamburger, ergaben Umfragen, wüssten gar nicht mehr, dass hier etwas stattfindet. Auch deshalb soll eine neue Kampagne des Vermarkters Win Race Bahrenfeld neue Popularität bescheren. "Wir müssen deutlich machen, dass es sexy ist, herzukommen", sagt Kleeberg. "Wir haben ein gutes Produkt, und das wollen wir zeigen."

Demnächst wird eine 50 Quadratmeter große LED-Wand gegenüber der Tribüne installiert. Über sie sollen unter anderem Interviews mit den Fahrern eingespielt werden, die "Emotionen erzeugen und den Sport als starke Sache herausstellen". Der Eventcharakter der Veranstaltung soll weiter forciert und auch einem jüngeren Publikum schmackhaft gemacht werden. So können Firmen und Privatpersonen etwa Doppelsulky-Fahrten buchen oder die mit weißen Sesseln ausgestattete Sulky-Lounge anmieten, in der donnerstags nach den Rennen regelmäßig eine Party veranstaltet wird. Eltern können zudem im "Kinderland" ihre Sprösslinge an Wochenendrenntagen beaufsichtigen lassen.

Die Maßnahmen zeigen Wirkung. "Wir sind froh, dass wir nicht nur das Stammpublikum halten, sondern neue Zuschauer hinzugewinnen können", sagt Kleeberg. Auch an diesem Abend sind viele junge Gesichter unter den Rennsportfans. Die Möglichkeit, dass Bahrenfeld mit der Horner Rennbahn zusammengelegt werden könnte, sieht der 40-Jährige gelassen. Einen Umzug hat das Team bei den Renovierungs- und Modernisierungsplänen stets einkalkuliert. Die bisherigen Investitionen allerdings seien "unerlässlich gewesen, um den Trabrennsport zeitgemäß zu präsentieren".

Bahrenfeld, so viel wird an diesem Abend deutlich, ist wieder vorzeigbar. Eine Oase in der hektischen Welt des Großstadtdschungels. Gut möglich, dass hier irgendwann einmal auch der "echte" Oliver Kahn vorbeischaut.

Der Eintritt auf der Trabrennbahn Bahrenfeld kostet für Erwachsene ab 18 Jahren an normalen Renntagen fünf Euro. Für Kinder ist der Eintritt donnerstags frei, sonntags kostet er zwei Euro. Nächste große Veranstaltung in Bahrenfeld ist an Ostern (6. und 9. April) der sogenannte Saison-Kick-off. Als sportlicher Höhepunkt gilt das im Oktober ausgetragene Grand-Prix-Meeting mit dem international bedeutenden Großen Preis von Deutschland.