Hamburg/Sofia. - Wenn Wesselin Topalow (35) und Viswanathan Anand (40) am Sonnabend in Sofia um 16 Uhr MESZ ihren Kampf um die Krone des Schachs eröffnen, spielen die beiden erfolgreichsten Großmeister der vergangenen fünf Jahre um die Weltmeisterschaft. "Dieses Duell war überfällig", sagt Topalow. Der Bulgare ist der Herausforderer, der Inder Anand Titelverteidiger. Zwölf Partien sind im Haus der Offiziere angesetzt. Der Sieger kassiert 1,2 Millionen Euro, der Verlierer 800 000.

Zehn Monate lang haben sich Topalow und Anand vorbereitet, mit ihren Sekundanten und den neuesten Computerprogrammen. Als Anand im Oktober 2008 in Bonn den Russen Wladimir Kramnik besiegte, hatte er diesen Triumph seiner Heimarbeit zu verdanken. Dem Inder gelang es, Kramnik am Brett auf ein nur von ihm ausführlich analysiertes Terrain zu locken, das der menschliche Geist in der zeitlichen Kürze einer Schachpartie ohne Vorkenntnisse nicht durchdringen konnte. Selbst das Genie Kramnik war dieser permanenten Herausforderung nicht gewachsen.

Ob Anand noch einmal ähnlich viel Energie in das Match gegen Topalow investiert hat, bleibt abzuwarten. Menschen, die ihm nahestehen, glauben bei Anand eine gewisse Zufriedenheit festgestellt zu haben. Die Resultate der vergangenen anderthalb Jahre stützen diese Einschätzung. Anand spielte oft ohne Biss, war einem Remis selten abgeneigt. Er hat alles erreicht, sagt ein Freund, er ist Weltmeister, in Indien ein Volksheld, hat finanziell ausgesorgt und ist nicht abgeneigt, mit seiner Frau das Leben zu genießen. "Das ist alles richtig", entgegnet Anand, "aber mein Ehrgeiz ist ungebrochen." Er sei nicht der zahnlose Tiger von Madras, wie ihn zuletzt einige beschrieben haben. Nur: Seine Ressourcen seien endlich, er habe lernen müssen, sie sinnvoll einzusetzen. Das habe er getan.

Während Anand in den letzten Tagen vor dem ersten Zug - trotz strapaziöser Anreise mit dem Auto aus seinem deutschen Trainingsquartier in Bad Soden - entspannt und in sich ruhend wirkt, kann Topalow Anspannung und Nervosität kaum verbergen. Der ohnehin hagere Bulgare hat weitere Kilos verloren. Er sei aber topfit, sagt er, dank eines speziellen Übungsprogramms körperlich austrainiert und schachlich bestens präpariert.

Auf Topalow lasten die Erwartungen einer ganzen Nation. Bulgarien, so scheint es, hat die Eroberung der Schachkrone zum Staatsziel erhoben. Präsident Bojko Borissow hatte seine Verbindungen in die heimische Geschäftswelt spielen lassen, damit der Wettkampf in Sofia ausgetragen werden kann. "Bulgarien", sagt Topalow, "ist zu klein, um Olympische Spiele ausrichten zu können. Eine Schach-Weltmeisterschaft ist daher ein besonderes Ereignis für uns." Dass daraus auch Druck wächst, ahnt Topalow. Er gilt nicht als nervenstark, für einen Spieler seiner Klasse leistet er sich häufiger als andere grobe Fehlgriffe. Und: Topalow muss sich hartnäckigen Gerüchten erwehren, dass ihm die besten (Computer-)Züge von seinem umtriebigen Manager Silvio Danailow mit Mimik und Gestik übermittelt werden. Beweise dafür existieren nicht.

In Sofia sind die beiden Protagonisten von der Außenwelt akustisch und optisch abgeschirmt. Und auch die heikle Toilettenfrage ist geklärt. Weil Topalow 2006 beim Wettkampf gegen Kramnik diesem vorwarf, er würde zu viel Zeit auf seinem WC verbringen und sich auf dem stillen Örtchen leise vorsagen lassen, müssen sich diesmal beide Kontrahenten den Raum hinter der Bühne teilen. "Die Blase wird in diesem Match keine entscheidende Rolle spielen", sagt der Weltmeister und grinst.