Der Skiverband will die internationalen Skispringer schützen und gegen den Magerwahn kämpfen. Allerdings erst zur nächsten Saison.

Oberstdorf. Die zarteste Versuchung steht direkt vor der Tür. Ein lilafarbener Anhänger voller Schokolade, gegenüber der Holzbühne, von der die Eröffnungsfeier der 58. Vierschanzentournee moderiert wurde. So macht der Sponsor des Skisprung-Klassikers Werbung und Umsatz zugleich.

Für das Unternehmen wirbt auch Martin Schmitt, der prominenteste deutsche Springer. Diese Partnerschaft, anfänglich angeblich eine halbe Million Euro jährlich wert, gilt als das Kurioseste, was Marketingleute ersinnen können: Wie jedes Jahr wirkt Schmitt, der offiziell bei 1,82 Meter Köpergröße 64 Kilogramm wiegt, zur Tournee fürchterlich blass und so abgemagert, als hätte er monatelang keine Süßigkeiten mehr gegessen. Ähnlich glaubwürdig könnte Reiner Calmund für Diätprodukte oder Florian Silbereisen für die Abschaffung der Volksmusik werben.

Schmitt ist kein Sonderfall. Spätestens seit vor zehn Jahren Urlaubsfotos des früheren Starspringers Sven Hannawald auftauchten, belastet der Magerwahn der Springer den Ruf des Gewerbes. "Es waren so viele Fettspeicher vorhanden wie bei einem hungernden Menschen in Afrika, dem der sichere Tod bevorsteht", lästert der fünfmalige Tourneesieger Janne Ahonen in seiner Biografie.

Der Weltskiverband Fis führte im Frühjahr 2004 eine Regel zum Body-Mass-Index (BMI) ein. "Die Sportart bekam ein Imageproblem, da sie Leichtgewichte produziert", sagt Fis-Skisprungchef Walter Hofer. Der BMI ergibt sich aus dem Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch die Körpergröße im Quadrat. Die Weltgesundheitsorganisation taxiert 18,5 (60 Kilogramm bei 1,80 Meter) als leistungsminderndes Untergewicht. Unterschreitet ein Sportler samt Anzug und Schuhen den BMI-Wert 20, muss er mit kürzeren Ski springen - zwei Zentimeter pro Kilo. Einigen Nationen wird nachgesagt, das für gute Ergebnisse in Kauf zu nehmen. Die Weltcupführenden, der Schweizer Simon Ammann und der Österreicher Gregor Schlierenzauer, sollen zuverlässig an der Untergewichtsgrenze manövrieren.

Nur mühsam lässt sich eine trainingswissenschaftliche Balance finden: Im Sommer müssen Skispringer Muskeln aufbauen, um einen kräftigen Absprung von der Schanze zu schaffen, im Winter sollen sie trotz antrainierter Masse möglichst wenig wiegen. "Es ist nach wie vor so, dass ein großer Prozentsatz Sportler ans Limit gehen muss, um wirklich an die Gewichtsgrenze zu kommen", beobachtet Deutschlands Cheftrainer Werner Schuster, "viele müssen über Jahre ein System finden, wie sie körperlich leistungsfähig sind, aber zum Höhepunkt ihr Gewicht reduzieren."

Immer wieder wurden Regeln im Skisprung bis in gefährliche Regionen ausgereizt. Erst wurde die Athletik der Sportler hochgezüchtet, später das Material ausgereizt. Jetzt geht es ums Gewicht. Vor sechs Jahren suspendierte der Deutsche Skiverband gar seinen Springer Frank Löffler, nur weil der nicht devot genug hungerte.

Der Weltskiverband hat erkannt, dass der Body-Mass-Index das Problem allenfalls mindert. Zur neuen Saison sollen die Werte weiter verschärft werden. Vielen Fachleuten gehen die Reformen nicht weit genug. "Eigentlich hätte man es in dieser Saison schon machen müssen", sagt Bundestrainer Schuster. "Ich weiß nicht, wovor sich die Leute fürchten."

Janne Ahonen, der wohl auch wegen der Magerzwänge zurückgetreten war, bevor er in dieser Saison wegen des noch fehlenden Olympiasiegs ein Comeback gab, fordert Antimagerregeln. "Das ist nicht gesund", sagt der Finne, der vor jeder Saison sieben bis acht Kilo abnehmen muss. Tournee-Titelverteidiger Wolfgang Loitzl aus Österreich würde es gutheißen, "wenn jeder Athlet ein Kilo schwerer sein müsste".