Der Tormann ist der Fels in der Brandung. Der Turm in der Schlacht. Im Idealfall ist er tollkühn und zeigt keine Nerven. Angst schon mal gar nicht. Robert Enke hatte so etwas. Er strahle Ruhe aus, schrieben die Sportreporter gerne. “Robert Riese“ riefen ihn die Fans. Er war der Größte, besonders wenn er mit einem blutigen Verband um den Kopf spielte.

Wie es drinnen in ihm, in seinem Herzen, aussah, hat uns nicht wirklich interessiert. Wir fanden es rührend und stark zugleich, wie er und seine Frau Teresa um das Leben ihrer Tochter kämpften, die mit einem angeborenen Herzfehler auf die Welt gekommen war. Und letztlich verloren. Aber dann kam das nächste Spiel, die Wahrheit lag, das ist Fußballweisheit, wie immer auf dem Platz.

Die Wahrheit des Robert Enke war eine andere. Er war krank, hatte Depressionen. Die Bibel spricht in solchen Fällen beruhigend von der Mattigkeit des Herzens, die einen befallen habe. In Wahrheit ist sie eine Volkskrankheit. Das heißt, zum Beispiel: Die Zahl der Krankheitstage aufgrund depressiver Störungen stieg zwischen 2000 und 2004 um 42 Prozent. Jede dritte Frühverrentung ist psychisch begründet. Vor 15 Jahren waren es noch 20 Prozent. In den Betrieben wissen das meist nur wenige Kollegen. Wenn überhaupt. Und wenn, dann eher beschönigend, spricht man von anhaltend schlechter Laune wie von einer mangelnden Charaktereigenschaft. Dabei ist die Krankheit zum Beispiel körperlich im Hirnstoffwechsel verankert.

Frauen dürfen diese Krankheit gerne haben, besser noch: Stars aus dem Showgeschäft. Die legen sich auf die Couch und die Knallpresse ergötzt sich. Schlimmstenfalls wird suggeriert: Eigentlich gehören die in die Klapsmühle. Aber Fußballidole? Der Fan liebt Helden. Steht auf, wenn ihr Kerle seid, heißt es. Zähne zusammenbeißen. Augen zu und durch - sonst droht das Schicksal des Weicheis. Für Jammerlappen ist im Männerkosmos Fußball kein Platz. Wie übrigens auch für Schwule.

Und für psychisch Kranke, für Menschen, die Depressionen haben? Sebastian Deisler, der geniale Ballzauberer, der einmal den deutschen Fußball vor den Rumpelfüßlern retten sollte, rutschte schnell vom Sportteil in die Feuilletons, als er seine Krankheit öffentlich gemacht hatte.

Öffentlichkeit, das zeigt der Fall Deisler, ist offenbar bei depressiven Spitzensportlern die größtmögliche Komplikation der Krankheit. Auch davor hatte Robert Enke Angst, wie seine Frau Teresa mit bemerkenswertem Mut gestern vor laufenden Fernsehkameras sagte.

Robert Enke wusste keinen anderen Ausweg als den Tod. Er wählte eine besonders öffentliche Form, den Tod auf den Schienen. Das tun jeden Tag drei Menschen in Deutschland. Meistens erfahren wir davon nichts, weil die Medien die Fälle, zu Recht, kleinhalten oder ganz verschweigen, weil sie keine Nachahmer anstiften wollen.

Wir nehmen es nur wahr, wenn es verzweifelte Ex-Milliardäre wie Adolf Merckle tun, der sich in der Finanzkrise verspekuliert und sein Familienunternehmen verspielt hatte. Oder wie bei Robert Enke, dem "Robert Riese", der den Druck auf seinen Schultern nicht mehr aushielt. Er war wie Merckle gewiss kein Weichei. In Deutschland sterben übrigens doppelt so viel Männer wie Frauen durch Selbstmord.