Der Brite zeigte dem russischen Riesen die Grenzen auf und sicherte sich dessen WBA-WM-Titel in souveräner Manier.

Nürnberg. Der entthronte Weltmeister erschien fünf Minuten nach dem neuen Champion. Als sich Nikolai Valuev am Sonntagmorgen kurz nach ein Uhr mit gesenktem Haupt den Weg durch den überfüllten Presseraum bahnte, erhob sich David Haye von seinem Platz. Respektvoll applaudierte der Brite dem deprimierten Ankömmling und reichte ihm die Hand. Das Lästermaul kann also auch anders, als seinen Gegner mit beleidigenden Äußerungen zu provozieren, so wie er es vor dem Duell gegen den 36 Jahre alten Koloss aus St. Petersburg bei jeder Gelegenheit getan hatte.

Auch beim anschließenden Frage-und-Antwort-Spiel leistete sich Haye keine verbalen Entgleisungen. Der 29-Jährige war mit sich und Valuev im Reinen, nachdem er erreicht hatte, wovon er seit seiner Kindheit träumte. Nach einer strategischen Meisterleistung wurde er verdientermaßen zum Weltmeister der World Boxing Association (WBA) erklärt - auch wenn der spanische Punktrichter Juan Reyes 114:114 wertete. Die anderen beiden Urteile lauteten 116:112.

Haye kündigte an, das Schwergewicht wiederbeleben zu wollen. "Ich räume die Gewichtsklasse auf, so wie es Lennox Lewis einst tat", versicherte er. Sein Landsmann war 2003 der letzte Schwergewichtler, der alle wichtigen WM-Titel vereinigt hatte.

Nach dem Triumph über Valuev ist der Trash-Talker von der Insel beim Wort zu nehmen. Haye bewies den 9000 Fans in der Halle, unter ihnen ein Drittel lautstarke Briten, und den weit über sieben Millionen in der ARD (Marktanteil 32,1 Prozent), dass er nicht nur derbe Sprüche klopfen, sondern auch gegen die Goliaths seiner Zunft eine blendende Figur abgeben kann. Geschmeidig wie eine Raubkatze entzog er sich zwölf Runden lang den tapsigen Angriffsversuchen des russischen Bären. Klug vermied Haye (98 kg, 191 cm) es, dass Valuev seine körperlichen Vorteile (45 kg schwerer, 22 cm größer) erfolgsbringend einsetzen konnte. Viele Treffer landete zwar auch er nicht, doch die wenigen waren um so wirkungsvoller, wie in der Schlussrunde, als er Valuev mit einem linken Haken ernsthaft ins Wanken brachte.

"Jeder andere wäre sicher zu Boden gegangen, doch Valuev hat das härteste Kinn der Welt", bewunderte Haye die Standfestigkeit des Riesen. Er habe noch nie gegen etwas Härteres geschlagen als Valuevs Kopf. Als Folge hatte er sich bereits in Runde zwei eine Knöchelverletzung an der rechten Hand zugezogen, die ihn daran hinderte, häufiger zu schlagen. Valuev hatte nicht erwartet, dass der "Hayemaker" fast nur reißaus nehmen würde. "Ich kam mir vor wie bei einem Marathon, ich war nicht bereit, so viel zu laufen", lamentierte der in seinen boxerischen Fähigkeiten limitierte Verlierer. Ob er weiter seinen Job ausüben wird, ließ Promoter Wilfried Sauerland offen.

Auch ohne den Russen kassiert Sauerland kräftig im Schwergewicht ab. Mit 50 Prozent ist er an den Einnahmen der nächsten drei Haye-Kämpfe beteiligt. Bevor es zum ersehnten Kräftemessen mit den Klitschko-Brüdern kommen kann, muss der einstige Cruisergewichts-Weltmeister seinen Titel bis Mai gegen John Ruiz (37, USA) pflichtverteidigen.

Die Klitschkos, die im Besitz der WM-Titel der WBC (Vitali) sowie IBF und WBO (Wladimir) sind, werden sich Haye stellen müssen, wollen sie ihre Gürtelsammlung komplettieren. "Jetzt", sagt Haye strahlend, "bin ich Weltmeister. Die Verhandlungsbasis ist eine andere. Meinetwegen kann es nun losgehen."