Hannover-Coach Andreas Bergmann spricht über persönliche Werte, seine Zeit beim FC St. Pauli und seine bisherige Karriere im bezahlten Fußball.

Hannover. Andreas Bergmann (50) wurde als Leiter des Nachwuchsleistungszentrums im August zum Cheftrainer von Hannover 96 befördert. Zunächst interimsweise, nach zwei Spielen dann bis zum Saisonende. Am Sonntag trifft der ehemalige Nachwuchskoordinator und spätere Regionalligatrainer des FC St. Pauli mit seiner Mannschaft auf den HSV.

Abendblatt:

Herr Bergmann, wie fühlt man sich auf dem Karrierehöhepunkt?

Andreas Bergmann:

Das kann ich Ihnen nicht sagen.

Abendblatt:

Warum?

Bergmann:

Ich habe mit Hannover noch nichts erreicht. Okay, wir haben trotz angespannter Personalsituation zuletzt zwei Siege geholt. Aber als herausragenden Punkt meiner Laufbahn würde ich das nicht bezeichnen.

Abendblatt:

Sie sind erstmals Chefcoach eines Bundesligateams.

Bergmann:

Es ist schön, dass man mich als Fachmann wahrnimmt und mir diese Aufgabe anvertraut hat. Für mich als Trainer ist das eine Herausforderung, der ich mich gerne stelle. Es macht großen Spaß, die Mannschaft zieht unglaublich mit. Und zuletzt haben wir auch im Spielerischen Fortschritte gemacht. Für mich ist es der größte Kick zu sehen, wie sich mein Team jetzt vor ausverkauftem Haus gegen einen starken HSV präsentiert.

Abendblatt:

Der Druck muss für Sie als Interimstrainer immens gewesen sein. Es ging um eine möglicherweise einmalige Chance.

Bergmann:

Ich lasse mich nicht unter Druck setzen. Auch vor dem Spiel gegen Hoffenheim, das ja als mein persönliches Jobspiel tituliert worden war, bin ich authentisch geblieben und habe trainiert wie mit der U 23. Ich war hoch motiviert, aber nicht verbissen. Ganz ehrlich: Wenn es bei den zwei Spielen geblieben wäre, hätte ich sie als tolle Erfahrung mitgenommen.

Abendblatt:

Hatten Sie keine Versagensängste?

Bergmann:

Ich bin ja nicht aus dem Bergwerk gekommen und muss da wieder rein, wenn man mich in der Bundesliga nicht mehr will. Mein Vertrag als Nachwuchskoordinator wurde gerade erst bis 2014 verlängert. Ich würde es gute Anspannung nennen, und die ist auch heute noch gegeben.

Abendblatt:

Sie sind im niedersächsischen Steinfeld aufgewachsen, traten aber in Karlsruhe erstmals als Trainer in Erscheinung. Wie kam es dazu?

Bergmann:

Trainer Winfried Schäfer suchte einen Mann für den Nachwuchs. Da habe ich ihm ein Konzept geschrieben.

Abendblatt:

Woher kannten Sie Winfried Schäfer?

Bergmann:

Überhaupt nicht. Ich kannte in ganz Süddeutschland niemanden. Der Kontakt war über Gero Bisanz zustande gekommen, bei dem ich meine Fußballlehrer-Lizenz gemacht hatte.

Abendblatt:

Ein Lehrgang als Ausgangspunkt?

Bergmann:

Ich hatte gerade mein Diplom als Sportlehrer gemacht. Inhaltlich war das daher nicht so spannend für mich, eher die Leute. Felix Magath, Bum Kun Cha, Ewald Lienen, Benno Möhlmann, Peter Nogly und auch Franz Gerber waren alle dabei. Bekannte Leute, deren Sichtweise auf den Fußball mich interessierte.

Abendblatt:

Heute begegnen Sie Magath auf Augenhöhe.

Bergmann:

Was die Erfolge angeht, sicher nicht. Wichtig ist, dass ich etwas umsetzen, bewegen kann. Das kann ich auch sehr gut im Nachwuchsbereich oder in der Zweiten oder Dritten Liga. Mir war immer nur wichtig, dass ich im Leistungsbereich arbeiten kann. Unter den Bundesligatrainern geht es im Übrigen sehr kollegial zu. Wolfsburgs Armin Veh sagte mir zum Beispiel: "Bleib, wie du bist."

Abendblatt:

Sind Sie wirklich so bescheiden, wie Sie vorgeben?

Bergmann:

Wir sollten uns alle nicht so wichtig nehmen.

Abendblatt:

Aber Ihnen ist schon klar, dass Sie einer der 18 Auserwählten des Landes sind?

Bergmann:

Natürlich. Ich will das alles auch nicht schmalreden und gebe zu, Blut geleckt zu haben. Aber ich nehme mich und meine Persönlichkeit deswegen nicht wichtiger. Meine Werte haben sich nicht verändert. Gute Freunde, ein gutes Umfeld, das ist wichtig. Entscheidend ist, dass du immer authentisch bleibst.

Abendblatt:

Was bedeutet das im Umgang mit Ihren Spielern?

Bergmann:

Ich gebe Ihnen die Möglichkeit, Gehör zu finden. Sie sollen Verantwortung übernehmen und sich einbringen. Es kommt durchaus vor, dass die Idee eines Spielers meine Entscheidungen beeinflusst. Was die Ansprache angeht, habe ich nichts geändert.

Abendblatt:

Müssen Sie einen Robert Enke nicht anders anfassen als einen Jugendspieler?

Bergmann:

Vor dem, was Robert geleistet hat, habe ich natürlich großen Respekt. Aber weshalb sollte ich mich verstellen? Freude, Leid und Enttäuschung äußern sich nicht anders als bei Amateur- oder Jugendspielern. Es ist egal, ob du vor Kindern oder Profis stehst. Beide merken, wenn du dich verstellst.

Abendblatt:

Keine Unterschiede?

Bergmann:

In der Bundesliga musst du jede Woche Ergebnisse liefern. Da schlägt das Geschäft brutal zu. Es gibt kein Mittelmaß. Nach zwei Siegen bist du der Supermann, nach zwei Niederlagen ist alles schlecht. Es ist nicht einfach, hartnäckig zu bleiben und Entwicklungen zu verkaufen.

Abendblatt:

Sie sagten, Sie wollen immer etwas aufbauen.

Bergmann:

Das will ich auch. Und es ist mir egal, wie lange das Ding hier in Hannover dauert. Wichtig ist, dass ich etwas entwickeln und strategisch arbeiten kann. Man muss den Spagat schaffen. Die negativen Begleitumstände der Branche sind mir ja nicht fremd.

Abendblatt:

Sie spielen auf Ihr Ende beim FC St. Pauli an?

Bergmann:

Ja. Es war eine wunderschöne, intensive Zeit. Aber ich war schon überrascht, als der Garaus kam. Ich war als Trainer im Pokalhalbfinale am größten Vereinserfolg beteiligt und habe dadurch die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung eingeleitet. Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass mich die Entlassung nicht getroffen hat. Aber ich habe nie nachgetreten und mich immer fair verhalten.

Abendblatt:

Rückblickend vielleicht ein Fehler?

Bergmann:

Ich bin jemand, der klar und ehrlich arbeitet. Mich an Spielchen im Hintergrund zu beteiligen, kostet nur unnötig Kraft.

Abendblatt:

Sind Sie naiv?

Bergmann:

Alles andere als das. Positiv an die Dinge heranzugehen und offen zu sein ist eine Stärke. Vielleicht nutzt mancher meine Ehrlichkeit aus. Aber ich mache mir keine Gedanken, was hinter meinem Rücken passiert. Den Leuten, mit denen ich zusammenarbeite, schenke ich mein volles Vertrauen. Wenn ich eine Bruchlandung erlebe, dann ist das eben so. Ich habe alles gegeben und kann jeden Morgen in den Spiegel schauen.