Die Alarmbereitschaft der Polizei drückt die zart aufkeimende Olympia-Euphorie. Bandenkriege eskalieren in der kanadischen Hafenstadt.

Vancouver/Berlin. Um doch noch so etwas wie Vorfreude auf die kommenden Olympischen Spiele zu entfachen, vertrauen die Gastgeber auf einen launigen Entwicklungshelfer aus dem Commonwealth. Michael Edwards, besser bekannt als "Eddie the Eagle", soll im Januar die olympische Fackel auf dem Weg nach Vancouver durch Winnipeg tragen.

Der erste britische Skispringer der Geschichte segelte mit seiner unbekümmerten Art in Calgary 1988 in die Herzen der Zuschauer und war der erste Athlet, der während einer Schlussrede namentlich erwähnt wurde.

Hundert Tage bleiben noch bis zur Eröffnungsfeier am 12. Februar 2010, und noch scheint den Organisatoren das olympische Projekt mehr Sorgen zu bereiten als ihren Landsleuten Vergnügen. Was der längste Fackellauf in einem Gastgeberland werden sollte, mündete am Tag eins nach Ankunft der Flamme in einem Airbus aus Griechenland in eine Farce. Das Feuer musste in Victoria, der Hauptstadt von British Columbia, kurzerhand umdirigiert werden. Demonstranten hatten den Trägern vor dem Regierungssitz den Weg verstellt. Sie geißeln die Millionen-Investitionen in olympische Sportstätten und verlangen mehr Geld für das Sozialwesen.

Proteststürme vor Olympischen Spielen sind ein vertrautes Bild geworden, genau wie Berichte über die Engpässe in den Budgets der Veranstalter. Der Etat des Organisationskomitees Vanoc musste kurzfristig um 70 Millionen Euro auf 364 Millionen aufgestockt werden.

In Vancouver drückt dazu die Alarmbereitschaft der Sicherheitskräfte zart aufkeimende Olympia-Euphorie. Bandenkriege eskalieren in der kanadischen Hafenstadt. Sie sei "zu einer Drehscheibe für den internationalen Drogenhandel geworden", zürnte Premierminister Stephen Harper und kündigte härtere Gesetze an. 168 neue Polizeibeamte wurden eingestellt, mehr als 300 neue Gefängniszellen befinden sich im Bau. Aber noch immer flüchten sich die Bewohner der Metropole in Spott über "Kanadas Sizilien".

Im knapp zwei Stunden entfernten mondänen Bergort Whistler, Austragungsort der alpinen und nordischen Wettbewerbe sowie Heimat der Eisrinnenartisten, genügen sich die Einwohner dagegen selbst. Rennrodlerin Regan Lauscher sprach der 10 000-Seelen-Gemeinde jede Olympiabegeisterung ab. Die kanadische Meisterin, die in Whistler trainiert und aus der Provinz Alberta stammt, erregte mit ihrer Abrechnung landesweit Aufsehen: "In Whistler habe ich mich nie zuhause gefühlt. Warum sind die Leute hier nur so ignorant?" Snowboardkollege Dan Raymond, der seit Jahren in Whistler lebt, fand Lauschers Kommentare "empörend", räumte jedoch ein: "Klar, nicht jeder freut sich über die Spiele", man sei lieber unter sich.

Am Ende aber wittern auch sie das große Geschäft: In Whistler ist kein Einzimmerappartement mehr unter 320 Euro die Nacht zu haben. Ein Hotel in einem Nachbardorf nimmt während der Spiele das Zehnfache für ein Zimmer. Findige Immobilienmakler wollen auf einen Parkplatz in Vancouver Hausboote als günstige Massenlogis verfrachten, für knapp 100 Euro pro Bett und Nacht. Oder man zieht gleich in eine 700-Euro-Suite des feinen St.-Regis-Hotels.

Während noch offen ist, ob die Rechnung für die Glücksritter aufgeht, hat Kanadas sportliche Führung einen ehrgeizigen Plan gefasst, um einen Makel in der Medaillenbilanz zu tilgen: 1976 in Montreal und 1988 in Calgary fanden die Olympischen Spiele in Kanada statt, ohne die Ausbeute einer einzigen Goldmedaille. Nun haben die Nordamerikaner knapp 70 Millionen Euro in ihre Mission "Own the Podium" (etwa: Das Siegerpodest ist deins) investiert. 35 Medaillen wollen sie absahnen und Deutschland von Platz eins der Nationenwertung verdrängen; ein ambitioniertes Unterfangen: 2006 kam Kanada auf 24 Medaillen (siebenmal Gold), Deutschland gewann 29 Medaillen, elf davon in Gold.

Die neuen olympischen Anlagen hüten die Gastgeber wie einen Schatz. Die Abfahrtsstrecke in Whistler Creekside wurde jeweils im Frühling der zwei vergangenen Jahre angelegt, im Sommer wurde die Piste für über 60 000 Euro eingezäunt. Trainingszeiten für ausländische Abfahrtsstars sind vor dem Höhepunkt am 13. Februar (Männer) und 17. Februar (Frauen) kaum vorgesehen. Auf der Rodel- und Bobbahn wurden 25 High-Tech-Videokameras installiert, die nur Team Canada vorbehalten sind.

Für viele Olympiateilnehmer bewegen sich die patriotischen Veranstalter auf dünnem Eis. Sportler und Funktionäre aus einer Nation, die nicht wie die Bundesrepublik mit vier Kunsteisbahnen gesegnet ist, schäumen ob der Schikanen. Britische und amerikanische Kufenkünstler behaupten, dass ihnen verglichen mit den kanadischen Kollegen nur ein Zehntel der Trainingszeit zur Verfügung steht. US-Skeleton-Star Katie Uhlaender schwang sich zur Sprecherin der entrechteten Athleten auf: "Die Welt ist ziemlich enttäuscht." Als eine britische Delegation in Whistler zum Training anrückte, wurde sie unter "irgendeinem Vorwand" daran gehindert, ereiferte sich Andy Hunt, der Chef des Nationalen Olympischen Komitees von Großbritannien. "Nichts gegen einen Heimvorteil, aber es gibt einen Unterschied darin, keine Trainingszeit zu bekommen und darin, jemandem den Zugang zur Bahn zu verwehren". Die Londoner "Times" sprach von einem "kalten Krieg" auf Eis.

Ungeachtet der Kritik wollen sich die Kanadier als Vorreiter im Dopingkampf profilieren. Auf Initiative des ehemaligen Wada-Chefs Richard Pound ist erstmals ein Dopinglabor direkt in eine olympische Wettkampfstätte integriert worden. Fünfeinhalb Millionen Euro verschlang das 1350 Quadratmeter große Projekt, hinzukommen knapp vier Millionen Euro an Betriebskosten. Im Labor sollen während der Spiele rund um die Uhr 2000 Urin- und Blutproben auf verbotene Substanzen überprüft werden. In Turin 2006 waren es noch 1200 Tests. Ein positiver Befund wird nach drei Tagen feststehen.

Der Standort der Dopingjäger ist nicht ohne Brisanz. Er befindet sich in Richmond, wo die Entscheidungen im Eisschnelllaufen fallen.