Nach der zehnten Runde endet die Schwergewichts-WM im Staples Center. Herausforderer Chris Arreola zeigte Mut, eine Chance hatte er gegen 301 Treffer von Vitali Klitschko nicht.

Los Angeles. Der heldenhafte Kampf ist noch keine Stunde verloren, da schleppt sich Cristobal Arreola bereits wieder tapfer vor die internationale Presse. Sein geschwollener Kopf gleicht einem glühenden Kürbis, an der dicken Nase sieht er links und rechts nur noch ganz vage vorbei, und spätestens als es ihm nur mit Mühe gelingt, sich aus einer Flasche Sprudel einen Schluck in den Mund zu gießen, wünscht man dem armen Kerl eine Schnabeltasse. "Einer von uns wird Schmerzen haben", hatte Arreola vor dem Kampf gesagt. Jetzt weiß er, dass er es ist.

Nein, das war keine fröhliche Nacht für den lokalen Helden. Weltmeister im Schwergewicht hat er werden wollen, aber Titelverteidiger Vitali Klitschko (38) hat sich ans Drehbuch nicht gehalten, sondern als "Doktor Eisenfaust" ganze Arbeit geleistet. Erbarmungslose 802 Schläge hat der ukrainische WBC-Champion abgefeuert, von denen 301 getroffen haben.

301 Schläge, eingesteckt vorwiegend mit dem Kopf, das ist ungefähr das, was sich der Boxer Arreola vorgestellt hat, als er sich einst den Kampfnamen "The Nightmare" schenkte. Der Albtraum ist nun aber nach hinten losgegangen, und weil die körperfüllenden Tätowierungen seines Boxers als Schutzschild versagten, hatte Trainer Henry Ramirez nach zehn Runden genug. Er denkt und fühlt wie ein Vater. Also hat er aufgegeben. "Buhhhh!", dröhnte es durch das Staples Center.

Dabei waren die 16 000 zumeist Arreola zugeneigten Besucher bis dahin blendend gut gelaunt. Mit donnerndem Applaus hatten sie die Stargäste Kobe Bryant, Leonardo di Caprio, Sylvester Stallone und Mickey Rourke begrüßt und nur zwei Anwesende giftig ausgepfiffen, den Gouverneur Schwarzenegger und den Weltmeister Klitschko. Letzterer boxt den Amerikanern zu akademisch, zu klug, zu kalkuliert, zu kühl, zu gesund.

"Warum", wird er nach dem Kampf gefragt, "kämpfen Sie so unspektakulär?" "Wissen Sie", antwortet Klitschko, auch da ganz beherrscht, "ich will mich nicht treffen lassen. Ich möchte meinen Kopf nicht testen. Ich will nicht prüfen, was er aushält. Ich brauche ihn nach der Karriere noch fürs restliche Leben."

Arreola ist in der Beziehung nicht ganz so pingelig. "Er gehört zu den Boxern, die man vor sich selbst schützen muss", sagt sein Trainer. Der mexikanische Kalifornier empfindet das Verlieren als Schande. Für das Aufgeben hat er kein Denkschema vorrätig, und deshalb hat er im Ring spontan Rotz und Wasser geheult. Wochenlang hatte er auf Befehl des Trainers Diät gehalten, kein Bier, kein Burger, und dann macht dieser Trainer einfach Schluss.

Man glaubt manchmal gar nicht, wie chancenlos ein Boxer sein kann. Als 28-Jähriger ist Arreola in den Ring gestiegen, zehn Jahre jünger als Klitschko - und zehn Runden später ist plötzlich alles umgekehrt, Arreola hockt da und wirkt wie 38, und Klitschko wird von seinem Trainer Fritz Sdunek bewundert als "so gut wie noch nie." Klitschkos Plan ging perfekt auf: Den anderen kommen, arbeiten und in die Luft schlagen lassen und mit einem Sidestep immer schön ausweichen - "das kostet den Gegner Energie".

Wie macht Klitschko das? Statt einzurosten, wie sich das während vier Jahren Abstinenz vom Boxen gehört hätte, hat er sich im Jungbrunnen des Vorruhestands auf eine schier unfassbare Weise verbessert. Wo er früher kaum eine nennenswerte Beinarbeit im Repertoire hatte, bewegt er sich neuerdings a la Ali, flink und schier deckungslos, die Fäuste baumeln am Oberschenkel und zucken blitzschnell heraus, vor allem "diese linke Hand", schwärmt Sdunek. Der linke Jab. 519 Mal hat Klitschko damit zugestochen. Sdunek: "Ab der zweiten Runde war ich beruhigt."

Sein Schützling auch. Den hat nur eines schockiert: Dass Arreola auch nach den härtesten Schlägen noch stand. Klitschko: "Er hat ein starkes Kinn - und viel Herz." Beides will der Amerikaner demnächst nutzen für einen zweiten Anlauf. Und das geliebte Corona, sein mexikanisches Bier, weiter meiden. "Versuch es doch mal mit deutschem Bier", hat ihm ein US-Journalist geraten, worauf Arreola von Klitschko gleich wissen wollte: "Welches trinkst du?" Der Weltmeister hat die Marke nicht preisgegeben, und die Verzweiflung der Amerikaner nimmt weiter zu: Ist gegen die Überlegenheit der Klitschko-Brüder kein Kraut gewachsen? "Bleibt dem Rest nichts anderes übrig", fragte ein US-Reporter in der Pressekonferenz rhetorisch, "als auf ihren Rücktritt zu warten?" Keiner hat widersprochen - zu grausam geschwollen war Arreolas Gesicht.