Boxer Sebastian Sylvester hat einiges verändert in seinem Box-Alltag und steht nun am Wochenende vor seiner zweiten Chance auf einen WM-Titel.

Hamburg. Es war im November vergangenen Jahres, als Sebastian Sylvester merkte, dass grundsätzlich etwas falsch lief in seinem Berufsleben. Gerade hatte der Mittelgewichts-Boxprofi seine erste WM-Chance vergeben, war von WBA-Weltmeister Felix Sturm vorgeführt worden. Doch während er bis dato immer das Gefühl gehabt hatte, von seinem Promoter Winfried Spiering, seinem Trainer Hartmut Schröder und dem gesamten Wiking-Team volle Rückendeckung zu haben, war nach dem Sturm-Schaden alles wie weggeblasen. „Vorher hatten wir immer zusammen gewonnen, nun hatte ich auf einmal allein verloren“, erinnert sich Sylvester. In diesem Moment wusste er, dass er einen Schlussstrich ziehen musste.

Zehn Monate später weiß der 29 Jahre alte Greifswalder, dass die Entscheidung, die er damals traf, die richtige war. Nach dem Wechsel in den Berliner Sauerland-Stall und zu Trainer Karsten Röwer steht Sylvester an diesem Sonnabend (22.25 Uhr, ARD live) in Neubrandenburg vor seiner zweiten WM-Chance. Gegen Giovanni Lorenzo (28) aus der Dominikanischen Republik kämpft er um den vakanten IBF-Titel, den sein Stallkollege Arthur Abraham vor seinem Aufstieg ins Supermittelgewicht niedergelegt hatte. Zwei Aufbausiege hat er lediglich gebraucht, um seinen neuen Promoter von seiner WM-Reife zu überzeugen. Doch was viel wichtiger ist: Er hat den Spaß an seinem Sport zurückgewonnen. „Ich komme wieder gern zum Training und nicht mit schlechter Laune“, sagt er.

Tatsächlich trifft man in diesen Tagen einen Sebastian Sylvester, der gelöster wirkt als früher, offener. Ein großer Redner wird aus dem ruhigen Mecklenburger nie werden, aber die, die ihn länger kennen, haben die neue Lockerheit mit Wohlwollen registriert. Die Stimmung in den vollen Hallen bei seinen Aufbaukämpfen habe ihm gezeigt, dass keiner seiner Fans den Abschied vom Wiking-Team übel genommen habe. Das Jahnsportforum war für den Lorenzo-Kampf innerhalb weniger Stunden ausverkauft. „Viele haben gesagt, dass ich mich schon viel früher hätte lösen sollen“, sagt Sylvester.

Vor allem der Fakt, nicht mehr in die deutsch-nationale Ecke gestellt zu werden, hat den „Hurrikan“, so Sylvesters Kampfname, erleichtert. Vor dem Duell mit Sturm war das Wiking-Team, das ob seiner Vorliebe für nordische Mythen und dem martialischen Auftreten einiger Mitglieder desöfteren als rechts eingestuft wird, auf dessen bosnischen Wurzeln herumgetrampelt und hatte damit auch beim eigenen Kämpfer für Bauchgrimmen gesorgt. „Das war mir alles viel zu viel. Viele von den Dingen, die da gesagt wurden, waren mir unangenehm“, gibt er zu. Wer ihn kenne, der habe das gewusst – aber da ihn nur wenige kennen, sei er oft falsch dargestellt worden. „Ich habe mit in die Kerbe hineingehauen, weil es im Team so erwartet wurde“, sagt er, „ich bin mitgeschwommen und habe Ja und Amen gesagt.“ Dies sei nun bei Sauerland komplett anders. „Hier darf ich meine eigene Meinung haben und aussprechen. Ich kann sagen, was ich will, und sein, wie ich wirklich bin.“

Zu Spiering und Schröder, die Sylvester, der mit Freundin Diana und Tochter Lea-Chantal in Dersekow lebt, als seine Ersatz-Familie bezeichnete, hat er keinen Kontakt mehr. „Ich hatte Hartmut nach der Trennung angeboten, dass er auf meine Rechnung weiter mein Coach sein kann. Das hat er abgelehnt. Seitdem haben wir nicht geredet“, sagt er. Im Nachhinein scheint er darüber auch nicht unglücklich zu sein; vor allem, weil die Arbeit mit Röwer Früchte trägt. „Karsten kann mir bei jeder Übung erklären, warum wir sie machen. Er ist sehr ruhig und sachlich. Ich habe nun einen Trainer in der Ecke, der auch in den späten Runden noch ein anderes Mittel weiß, als nur blind reinzuhauen“, sagt er.

Röwer hat seit dem gemeinsamen Trainingsstart im Januar versucht, die Beweglichkeit im Oberkörper, die Balance und die Schlagführung zu verbessern. Dass er zunächst skeptisch war, mit dem früheren Europameister zusammenzuarbeiten, gibt er zu. „Ich hatte ein falsches Bild von ihm, dachte, dass er bei den Wikingern gut reinpasst. Aber nach dem ersten Treffen, an dem unsere Frauen teilgenommen haben, wusste ich, dass er die richtige Einstellung hat“, sagt er.

Die Einstellung, alles dem großen Ziel unterzuordnen, soll Sylvester nun zum WM-Titel verhelfen. Einem Titel, den er nicht als Genugtuung verstanden wissen wolle. „Ich weiß, dass mir Herr Spiering nicht zugetraut hätte, allein etwas zu schaffen. Aber ich hole diesen Titel nur für mich, nicht gegen jemand anderen“, sagt er. Genugtuung wäre er also nicht. Wohl aber Bestätigung dafür, dass in Sebastian Sylvesters Berufsleben wieder eine Menge richtig läuft.