18 Monate nach der Geburt ihrer Tochter ist die Belgierin (26) wieder auf dem Weg an die Spitze der Weltrangliste.

New York. Am Ende des verrückten Tenniskrimis vergaßen die Amerikaner im Arthur-Ashe-Stadion sogar flächendeckend ihren glühenden Patriotismus. Die Story, die sich da unten auf dem größten Centre Court der Welt abspielte, war einfach zu gut, fast hollywoodreif - und so schwenkten 20 000 Grand-Slam-Fans mit fliegenden Fahnen über zu Kim Clijsters, zur Königin des Comebacks, zur besten Mama im Profizirkus, zur sensationellen 6:0, 0:6, 6:4-Siegerin im US-Open-Achtelfinale gegen Venus Williams. "Es war der Moment, von dem ich geträumt habe bei meiner Rückkehr", sagte die famose Belgierin, die unter so vielen Schwächelnden und Maladen im Damentennis dieser Tage sofort wieder zum strahlenden Mittelpunkt geworden ist. Und die sich genau so wenig wie Daddy Roger Federer von elterlichen Pflichten am Siegen hindern lässt.

Kaum hatte die sympathische Flämin, eine Sympathieträgerin des Damentennis über alle Kontinente und Sprachgrenzen hinweg, den 145. und allerletzten Ballwechsel in der Betonschüssel von Flushing Meadows für sich entschieden, schossen ihr auch schon die Freudentränen ins Gesicht: "Da fiel schon eine Last ab. Beim letzten Aufschlag hatte ich das Gefühl, als ob mein Arm 50 Pfund schwer ist", sagte die 26-Jährige, die ihre Rückkehr perfekt vorbereitet und bis zum genau richtigen Zeitpunkt mit ersten Turnierauftritten gewartet hatte. Trotz allem Werben der Veranstalter hatte Clijsters noch aufs Mitwirken bei den French Open und in Wimbledon verzichtet, obwohl die Wild Cards für die Blondine bereit lagen.

Nun spielt sie, als wäre sie nie weg gewesen. Als wäre sie nicht zwischendurch noch Mutter einer - jetzt achtzehn Monate alten - Tochter geworden. Als hätte sie nicht auch noch familiäres Leid mit dem Tod ihres Vaters und langjährigen Förderers Leo durchstehen müssen. "Ich bin wieder da, aber nicht die Alte. Nicht die Kim Clijsters, die ich früher war", sagt die einstige Weltranglisten-Erste. Tennis spielt sie zwar mit feuriger Leidenschaft und verzehrendem Ehrgeiz, so wie früher im ersten Leben auf der Tour, doch anders als damals gibt es jetzt ein Leben jenseits vom Tennis. "Ich hänge nicht mehr stundenlang auf der Anlage rum. Ich fahre jetzt lieber zurück ins Hotel, zu meiner Tochter und meinem Mann", sagt Clijsters, "24 Stunden rund um die Uhr Tennis, diese Zeiten sind vorbei." Allein schon deshalb, weil Tochter Jada sich herzlich wenig dafür interessiert, "ob ich ein Spiel gewonnen oder verloren habe": "Die braucht mich in jedem Fall - und zwar zu 100 Prozent."

"Ausgereifter als Mensch" fühlt sich die Belgierin nach den beiden letzten, wild bewegten Lebensjahren, und das, glaubt sie, "hilft mir auch bei dieser Rückkehr, kommt meinem Spiel zu gute: "Ich spüre nicht mehr ganz so viel Druck, ich spüre eine größere nervliche Balance." Allerdings: Gegen Venus Williams, im wichtigsten Spiel nach der Rückkehr, schlug das Herz auf der Zielgeraden "schon einen Takt schneller" - vor allem im zehnten Spiel des dritten Satzes, als sie zum Match servieren musste und bei 15:40 zwei Breakbälle abzuwehren hatte. Der erste Siegpunkt reichte dann gleich zum Triumph über die Weltranglisten-Dritte, bei deren Grand-Slam-Heimspiel in New York. "Kim war so stark, wie eine Top-Ten-Spielerin. Sie hat das klar verdient", sagte die ältere Williams-Schwester später. Schon zum Saisonende könne Clijsters "ganz nah an die Weltspitze herangerückt sein", meint Martina Navratilova, "die Perspektive über 2009 hinaus ist sowieso klar: Sie wird wieder um Platz 1 mitspielen. Und um die Grand Slam-Titel."

Wenn sie das nicht schon mal hier tut, bei den US Open. Denn außer der stürmischen Serena Williams macht keine der ansonsten versammelten Damen den Eindruck, als könne sie eine unüberwindliche Hürde für Clijsters sein, auch nicht die Chinesin Li Na im Viertelfinale. "Eigentlich kann ich es gar nicht glauben, was hier passiert", sagt die Belgierin selbst, "hätte mir jemand einen Sieg gegen Venus vorhergesagt, hätte ich ihn ausgelacht." Doch jetzt ist sie bereits im exklusiven Klub der letzten Acht, die den Titel im Arthur-Ashe-Stadion unter sich ausmachen - jene Kim Clijsters, die vor einem Jahr daheim in Belgien nicht mal die Übertragungen von den US Open im TV angeschaut hatte.

Langsam, aber gewaltig ist sie in die Tourszene zurückgekehrt. Der Paukenschlag von New York war schon beim dritten Turnier nach dem Neueinstieg ein Warnsignal für die Konkurrenz - ein Zeichen, wie eilig es Mutter Courage hat mit dem zweiten Gipfelsturm. "Ich will nicht um Platz 100 rumspielen. Ich will schon ganz nach vorn", sagt Clijsters.