Der deutliche Sieg im Prestigeduell mit dem Meister und Pokalsieger wirft Fragen auf. Ein Fingerzeig im Hinblick auf die neue Bundesligasaison?

Nürnberg. Da war diese Szene in der 30. Minute. Marcus Ahlm, der vortreffliche Kreisläufer des THW Kiel, hatte sich den Ball geangelt. Fast gemächlich drehte er sich in Richtung Hamburger Tor. Er orientierte sich kurz: Aha, hier verläuft also die Sechsmeterlinie. Dann nahm Ahlm ein, zwei Schritte Anlauf. Doch als er abhebend zum Wurf ansetzte, war der Ball plötzlich weg. Guillaume Gille, der HSV-Kapitän, hatte ihn dem Schweden aus der Hand gespitzelt. Einfach so, als sei Ahlm ein Anfänger und kein multipler Titelträger des Welthandballs. Den unweigerlichen Gegenstoß verwertete Blazenko Lackovic zum 15:11-Halbzeitstand.

Man muss diese Szene hervorheben, weil sie singulär ist im Duell der beiden besten deutschen Handballvereine. Und weil sie ein bisschen symptomatisch ist für den Verlauf des 16. Supercups gestern Abend in Nürnberg. Auf der einen Seite der Meister und Pokalsieger aus Kiel, der nach den Abgängen seiner Führungsspieler Nikola Karabatic und Stefan Lövgren ein wenig orientierungslos wirkte. Und auf der anderen Seite ein Vizemeister aus Hamburg, der auf Gilles ordnende Hand zurückgreifen konnte und gedanklich stets auf Ballhöhe war. Und der vor allem keine Lust zu haben schien auf den immer gleichen Schwarzweißfilm tanzender Kieler. Am Ende waren es die Hamburger, die nach einem fast sensationellen 35:28 zum dritten Mal nach 2004 und 2006 über den ersten kleinen Titel jubelten.

Über die Aussagekraft lässt sich trefflich streiten. Es mag kein wertvoller Titel sein, ein Prestigeduell war es allemal. Vor einem Jahr hatte der THW den HSV am Nasenring durch die Münchner Olympiahalle geführt - und wurde souverän Meister. 2006 hatten die Hamburger Kiel entzaubert - und mussten am Ende in der Tabelle doch wieder zum Rivalen aufblicken. Wer mag, kann also ein Omen sehen oder auch nur eine Momentaufnahme. Die jedenfalls gab ein recht eindrucksvolles Bild ab.

Eine Szene wie die mit Gille und Ahlm hätte es im Vorjahr kaum gegeben. Damals war der Kapitän wie viele seiner HSV-Kollegen gerade müde von Olympia zurückgekehrt. Natürlich sah es auch gestern manchmal nach einem Trainingsspiel aus, aber das traf es ja auch. Für Domagoj Duvnjak war es der zweite Auftritt im Trikot des neuen Klubs, für Kiels Daniel Narcisse sogar der erste. Duvnjak darf als Punktsieger in diesem Fernduell der neuen Topstars gelten. Bevor der Kroate nach 15 Minuten beim Stand von 4:6 aus HSV-Sicht aufs Feld kam, wirkte der Hamburger Rückraum auf die Kieler 6-0-Deckung schlechter vorbereitet als umgekehrt. Doch von nun an lief der Ball plötzlich, wie man es in dieser Frühphase kaum erwarten durfte.

Auf der anderen Seite verrannte sich der THW ein ums andere Mal in Hamburgs Abwehr, besser gesagt: An den Torhütern Johannes Bitter und Per Sandström, die allein fünf Siebenmeter abwehrten. Auch das gab schließlich den Ausschlag. "Wir werden nach dem Spiel wissen, wo wir stehen", hatte Marcin Lijewski gesagt. Vielleicht am Beginn einer großen Saison, die so richtig am Sonntag beim TV Großwallstadt beginnt. Man darf schon gespannt sein, wer am Ende jubelt.

Statistik: Tore: Kiel: Lundström 6 (3 Siebenmeter), Ilic 5 (2), Jicha 4, Andersson 4, Zeitz 3, Ahlm 3, Klein 2, Narcisse 1; Hamburg: Lindberg 10 (5), K. Lijewski 5, G. Gille 5, Jansen 5 (1), Vori 4, Duvnjak 4, Lackovic 1, Flohr 1. SR.: Damian/Wenz (Mainz/Bingen). Z.: 7511. Zeitstrafen: 5; 4.