Viele Sportler sind an den Start gegangen. Einige von ihnen haben in Berlin triumphiert, andere enttäuscht das Stadion verlassen. Wer ist Gewinner, wer Verlierer?

Hamburg. 92 Athleten nominierte der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) vorab für die Heim-WM in Berlin und schickte damit eines der größten Aufgebote der Geschichte ins Medaillenrennen. Wenn bei sportlichen Großereignissen um Medaillen gekämpft wird, dann sind Gewinner und Verlierer, Freude und Trauer, Jubel und Enttäuschung oft eng beieinander – so auch im deutschen Team.

Einer der größten Gewinner der Leichtathletik-WM ist sicher Robert Harting. Doch der Berliner mit dem Hang zur Egozentrik war im Vorfeld der WM mehr durch seine verbalen Entgleisungen als durch sportliche Ausrufezeichen in den Fokus gerückt. So forderte er eine generelle Dopingerlaubnis, ließ kein gutes Haar an der der Arbeitsmoral der DLV-Funktionäre und attackierte die DDR-Dopingopfer. „Die Silbermedaille von Osaka ist nicht genug, ich will mehr“, hatte Harting vor der WM angekündigt, doch so recht glauben wollte es ihm niemand. Auch der Wettkampf selbst lief alles andere als optimal. Vor Hartings letztem Versuch warf der Olympiazweite Piotr Malachowski die Diskusscheibe auf 69,15 m. Der Berliner war gefordert und konterte die Attacke des Polens im Stile eines großen Champions. Vor seinem Heim-Publikum schleuderte der Local-Hero den Diskus auf 69,43 m, die zur Goldmedaille reichten. „Ich habe selbst gestaunt, welche Nervenstärke ich aufgebracht habe“, analysierte Harting später mit etwas Abstand. Kurz der Entscheidung verlor der neue Diskus-Weltmeister nämlich alle Hemmungen, riss sich sein Shirt vom Leib und feierte mit allem was sich ihm in den Weg stellte.

Noch überraschender als Robert Hartings Goldmedaille war aber der Triumph von Speerwerferin Steffi Nerius. Gleich im ersten Versuch warf die 37-Jährige den Speer auf 67,30 m, die bis zum Ende unerreicht blieben. „Das ist einfach geil, mir fehlen die Worte“, sagte Nerius nach dem Wettkampf, den im ZDF bis zu 6,72 Millionen Zuschauer verfolgten. Sogar von ganz oben erhielt die Leverkusenerin Anerkennung. „Im Namen der 80 Millionen Menschen in Deutschland gratuliere ich“, lobte Bundeskanzlerin Angela Merkel Nerius’ herausragende Leistung. Mit 37 Jahren befindet sich Steffi Nerius im fortgeschrittenen Sportleralter, weshalb sie sich nun vom Leistungssport verabschieden wird. „Ich höre auf. Niemand kann mich umstimmen. Man sollte aufhören, wenn es am Schönsten ist“, sagte Nerius nach ihrem perfekten Karriereabschluss.

Für viel Aufmerksamkeit sorgte im letzten Jahr Kugelstoßerin Nadine Kleinert. Nach dem enttäuschenden siebten Platz bei den olympischen Spielen in Peking, hatte Kleinert die zündende Idee umzuschulen, um Profi-Boxerin zu werden. Bereits im Januar war sie aber zurück an der Kugel und die Leichtathletik hatte sie wieder. Wie eine Besessene trainierte Kleinert, um bei der Heim-WM noch mal groß anzugreifen. „Bei mir ist es wie mit einem guten Wein. Je älter, desto besser“, sagte die 33-Jährige. In Berlin stieß Kleinert die Kugel auf sensationelle 20,20 m und gewann mit persönlicher Bestmarke die Silbermedaille.

Ein dramatisches Finish bot Jennifer Oeser den Zuschauern im Siebenkampf. Vor dem abschließenden 800-Meter-Lauf lag sie aussichtsreich in den Medaillenrängen. Fast hätte Oeser das fast sichere Edelmetall verloren, als sie im nach 350 Metern plötzlich zu Fall kam. „Ich habe vorher gesagt, mich kann nur noch ein Sturz stoppen. Und schwups da lag ich“, sagte die 25-Jährige. Die Schlagzeilen vom tragischen Sturz waren schon vorformuliert, da berappelte sich Oeser und kämpfte sich noch auf den Silberrang vor. „Die Zuschauer haben mich nach vorne geschrieen“, lobte Oeser das Berliner Publikum, nachdem sie mit der persönlichen Bestleistung von 6493 Punkten den größten Erfolg ihrer Karriere feiern konnte.

Doch wo Athleten euphorisch Medaillenerfolge feiern, da sind auch Frustration und Ärger nicht weit. Mit großen Medaillenhoffnungen war Weitspringer Sebastian Bayer nach Berlin gereist, doch was nach der WM übrig bleiben wird, ist die pure Enttäuschung. Bayer sprang bei der Hallen-EM im Winter in Turin sensationelle 8,71 m, doch im Olympiastadion lief so ziemlich alles gegen den Bremer. Im Vorfeld zog sich Bayer eine Kapselentzündung im linken Fuß zu und schied gehandicapt bereits nach der Qualifikation mit nur 7,98 m aus. Keine große Überraschung, schließlich musste Bayer den gesamten Wettkampf mit Schmerzmitteln bestreiten. „Ich habe viele Tabletten geschluckt und auch Spritzen bekommen. Dennoch bin ich enttäuscht“, gab der 23-Jährige zu. „Ich hatte einfach kein Glück. Bei jedem Schritt schmerzte mein Fuß.“

Körperlich fit war dagegen Silke Spiegelburg, dennoch reichte es für Stabhochspringerin nicht zu einer Medaille. „Manchmal habe ich mir gedacht, was machst Du hier für ein Schwachsinn“, schimpfte die Hallen- Vizeeuropameisterin und weinte bitter. Mit 4,65 Meter belegte sie den undankbaren vierten platz. Dabei waren die Chancen auf den ganz großen Wurf so groß wie nie. Olympiasiegerin und Weltrekordlerin Jelena Issinbajewa schied frühzeitig sensationell und völlig überraschend ohne gültigen Versuch aus. „Eine WM-Medaille war mein großer Traum, dass es nicht klappte, ist bitter“, sagte die Spiegelburg, die zwar Höhengleich mit dem Silberrang blieb, aber mehr Versuche für die Höhe brauchte und so vom Treppchen fiel.

Großes konnte man im Vorfeld der WM von der 41-jährigen Franka Dietzsch eigentlich nicht erwarten. Schließlich ist die Grande Dame des Diskuswurfs mit mittlerweile 10 Starts Rekordteilnehmerin bei Leichtathletik-Weltmeisterschaften. Doch die Art und Weise wie Dietzsch bereits in der Qualifikation ausschied, war ihrer großen Karriere nicht würdig. „Jetzt ist es vorbei. Ich bin unendlich enttäuscht, aber irgendwie auch erleichtert“, sagte die dreifache Weltmeisterin, die als Titelverteidigerin gesetzt war. Mit nur 58,44 m war bereits in der Qualifikation Schluss und so fand die große Karriere der Franka Dietzsch ein etwas unrühmliches Ende.

In Peking noch einzige deutsche Medaillengewinnerin in der Leichtathletik, stand Christina Obergföll diesmal im großen Schatten von Steffi Nerius. Während Nerius sensationell Gold im Speerwurf holte, blieb die 28-Jährige unter ihren Möglichkeiten. „Wenn man sich zwei Jahre darauf gefreut hat, und es dann in die Hose geht, ist das schon bescheiden“, sagte Obergföll, die als Weltjahresbeste in Berlin lediglich den fünften Rang belegte.

„Es war der schlechteste Wettkampf meines Lebens. Für mich ist die Saison beendet, ich fasse keinen Hammer mehr an.“ So lautete die vernichtende Selbsteinschätzung von Hammerwerfer Markus Esser nach seinem enttäuschenden 6. Platz. Mit großen Hoffnungen nach Berlin gekommen, konnte Esser den Heimvorteil nicht nutzen. „Ich wollte einen ganz tollen Wettkampf hinlegen. Das Enttäuschendste für mich war, dass meine Familie oben auf der Tribüne saß“, sagte der 29-Jährige hinterher.