Als die Scheinwerfer angehen, stöhnt Steffi Nerius kurz auf und verzieht das Gesicht zu einer Grimasse. Ihre Augen sind klein an diesem Mittwochmorgen, denn die Nacht nach dem Wettkampf ihres Lebens war kurz. Oder lang, je nachdem, wie man es betrachtet.

Berlin. Erst um 7 Uhr war Nerius vom Feiern zurück im WM-Hotel der deutschen Leichtathleten. Ans Schlafengehen war nicht zu denken.

Wenigstens die Stimme ist wieder da. Sie hatte ihr zwölf Stunden zuvor fast vor Rührung versagt. Im Pressezelt des Olympiastadions sollte Nerius ihre Goldmedaille erklären. Aber wie erklären, was kaum erklärbar ist? Sie hätte ja gut und gern Fünfte werden können mit ihren 67,30 Metern und wäre "mit der Weite trotzdem glücklich gewesen". Das war vielleicht der Unterschied: Sie, die 37-Jährige, wollte ihren letzten großen Wettkampf unbedingt genießen. Die anderen wollten unbedingt gewinnen. Nerius sagt es so: "Ich bin nicht die weltbeste Speerwerferin. Aber ich bin die Weltmeisterin." Und als solche, Europameisterin noch dazu, tritt sie ab: "Ein perfekter Abschluss."

All ihre Kraft hat Steffi Nerius in dieses letzte Jahr hineingelegt. Ihre Leistungswerte seien nie so gut gewesen, ihre Trainingswürfe nie so weit. Sogar die jahrelangen Knieschmerzen waren weg. Wahrscheinlich habe ihr Körper gespürt, dass die Qual bald vorbei ist. Jetzt freue sie sich auf ihre Inlineskates und aufs Fußballspielen mit ihrem Trainer Helge Zöllkau, dem sie eine Harley-Davidson schenken wird. Und sie will endlich voll da sein für ihre behinderten Athleten, die sie seit 2002 halbtags betreut.

Zöllkau sagt, dass es gut so ist: "Noch ein, zwei Jahre, dann wäre der Körper kaputt." Speerwerfen ist ein Hochrisikosport. Die kleinste Abweichung von der Technik kann sich zur Verletzung auswachsen. Noch vor zwei Wochen in Cottbus verfiel Nerius in einen alten Fehler. Zwei Tage später schmerzte der Rücken so sehr, dass sie kurz davor war, den WM-Start abzusagen.

Die Lücke, die sie reißt, wird schwer zu füllen sein. "Unsere jungen Talente lernen die Grundlagen zu spät", klagt Zöllkau (48). Der Thüringer, selber ein ehemaliger Speerwerfer, wurde wie die von Rügen stammende Nerius in der DDR ausgebildet. Vor zehn Jahren wurden sie ein Team. Sie bleiben es auch: Künftig teilen sie sich das Büro.