Der 24 Jahre alte Berliner wurde mit seinem letzten Wurf Weltmeister vor dem lange führenden Polen Malachowski.

Berlin. Als der Lärm bereits unerträglich war, da griff sich Robert Harting an die Ohren. Er hielt sie sich nicht etwa zu, was eine natürliche, vielleicht sogar medizinisch ratsame Reaktion gewesen wäre. Er hielt sie auf, als wolle er damit sagen: Hallo, Berlin, geht es nicht noch ein bisschen lauter? Es ging. Die 32 158 Zuschauer im Olympiastadion, seinem Stadion, sie tobten und johlten, wie sie es bei diesen 12. Leichtathletik-Weltmeisterschaften zuvor nur beim Wunderlauf von Usain Bolt getan hatten. Das Spektakel, das ihnen Harting dafür bot, war wahrlich nicht schlechter. Er riss sich das Trikot vom Leib, schnappte sich eine deutsche Fahne und legte sich damit kraftprotzend in Pose. Es war die Pose des Weltmeisters. Und wie es dazu gekommen war, war schlicht spektakulär.

Harting hatte wie schon vor zwei Jahren in Osaka Silber sicher, als er zum letzten Mal in den Ring ging. Aber das reichte ihm nicht. Sein erster Versuch war bei 68,25 Metern gelandet, sein bester Wurf des Jahres. Doch der sechste und letzte eines famosen Wettkampfs schien gar nicht mehr landen zu wollen. Erst bei 69,43 Metern kam er herunter. Eine Dimension, in die sonst nur Olympiasieger Gerd Kanter vorstößt, doch der Este fand an diesem Abend nie in den Wettkampf und wurde mit 66,88 Dritter. Auch der bis zum letzten Durchgang mit 69,15 Metern führende Pole Piotr Malachowski hatte danach nichts mehr hinzuzufügen, und so war dieser Heimsieg perfekt.

"Ich hatte das Glück, als Vorletzter ranzudürfen, und habe einfach alles in diesen Wurf gelegt", erzählte Harting. "Am Ende bin ich fast kollabiert." Der 24-Jährige erzählte auch, dass er überrascht gewesen sei, dass ihn das Publikum nicht mit Pfiffen empfangen habe nach seinen umstrittenen Äußerungen am Vortag. Da hatte er sich gewünscht, der Diskus möge nach dem Aufkommen auf dem Rasen auf eine jener Anti-Doping-Brillen prallen, die am Stadion verteilt wurden.

Natürlich will Harting mit Doping nichts zu tun haben. Seine Homepage hat er zur "Doping-freien Zone" erklärt. Sein Trainer Werner Goldmann aber hat eine Dopingvergangenheit in der DDR. Und die begann im vergangenen Jahr auch Deutschlands besten Diskuswerfer zu verfolgen.

Beim Deutschen Leichtathletik-Verband, gegen den Harting ankämpfte, galt er zuletzt weniger als Medaillenkandidat denn als Berliner Problembär. Auch das hat Harting gestern auf seine Weise geradegerückt. Vor den Augen der Welt zog er sich symbolisch den Reißverschluss vor dem Mund zu. Seine Botschaft: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.

Sportdirektor Jürgen Mallow hatte am Vormittag versucht, Hartings Einlassungen wenn schon nicht zu entschuldigen, so doch zu entwirren. Harting sei ein "Problemathlet", aber kein Pressesprecher. Unmittelbar vor seiner Qualifikation habe Harting erfahren, dass Gerd Jacobs seinen Ausschluss aus dem Nationalteam gefordert habe. Jacobs, ein ehemaliger DDR-Kugelstoßer, hatte Hartings Trainer Goldmann im vergangenen Jahr bezichtigt, ihm Dopingmittel verabreicht zu haben. Das führte zum (wohl nur vorübergehenden) Ausschluss Goldmanns aus dem Verbandskader. Tatsächlich war es dann aber gar nicht Jacobs, sondern der frühere Bahnradsportler Uwe Trömer, der am Dienstag besagte Forderung gestellt hatte.

Das ändere aber nichts am Sachverhalt, fand Mallow. Harting will sich heute in einer Pressekonferenz erklären. "Es tut mir leid, was ich gesagt habe. Ich werde es zurechtrücken", schickte er via Fernsehkamera voraus. Das war wahrhaft weltmeisterlich.