Für einen Trainer, dessen Schützling gerade seine erste WM-Chance leichtfertig verspielt hat, machte Fritz Sdunek in der Nacht zum Sonntag einen erstaunlich vergnügten Eindruck.

Hamburg. "Es ist schön, dass es solche Überraschungen gibt. Davon lebt das Boxen", diktierte der Coach des Hamburger Universum-Stalls den Reportern in die Blöcke, nachdem sein Schwergewichtler Alexander Dimitrenko gegen den US-Amerikaner Eddie Chambers (27) vor 6000 Fans in der Color-Line-Arena nach zwölf Runden durch Mehrheitsentscheid (113:113, 111:116, 109:117) verloren hatte.

So überraschend diese Aussage auf manch Umstehenden gewirkt haben muss, umso deutlicher war das Signal, das Sdunek aussandte. Erleichtert war er; darüber, dass der Ukrainer, der mit einer Prügelstrafe in seinen 27. Geburtstag hineinfeiern musste, nicht in seinem nächsten Kampf gegen IBF/WBO-Weltmeister Wladimir Klitschko (33, Ukraine) antreten muss. Um ebendieses Herausforderungsrecht, das nun Chambers wahrnehmen darf, war es in dem ebenso hochklassigen wie denkwürdigen WBO-Eliminator gegangen, aus dem alle Beteiligten eine Lehre ziehen mussten: Dieser Alexander Dimitrenko ist von der WM-Reife mehr als den letzten Schritt entfernt, den er am Sonnabend hatte machen wollen.

Am erschreckendsten war, dass sich der 2,01 Meter große und 115 Kilogramm schwere Jura-Student den Kampf von seinem 16 Zentimeter kleineren und 41 Pfund leichteren Gegner hatte aufzwingen lassen, anstatt diesen aus der Distanz mit der linken Führhand zu dominieren, wie es Klitschko vor zwei Wochen auf Schalke gegen Dimitrenkos Stallkollegen Ruslan Chagaev vorgemacht hatte. "Das war unsere Taktik gewesen. Leider hat sich Sascha nicht daran gehalten", sagte Sdunek, der nach Niederschlägen in Runde sieben und zehn vergeblich versuchte, seinen Kämpfer lautstark zu dirigieren. Universum-Chef Klaus-Peter Kohl hatte ganz besonders missfallen, dass Dimitrenko seine alte Schwäche, das sofortige Abdrehen und Reklamieren nach Körpertreffern, wieder nicht in den Griff bekam. "Das ist eines Profis unwürdig. Er muss einige Dinge abstellen und sich stark verbessern", übte Kohl harte Kritik.

Dimitrenko gelobte, noch bevor er im VIP-Raum der Arena seine Geburtstagstorte anschneiden durfte, Besserung. "Es war nicht mein Tag. Ich muss den Kampf analysieren und schauen, was ich alles besser machen muss", sagte er. Ob diesen Worten tiefer gehende Einsicht folgt, bleibt abzuwarten. Zu häufig, klagt Sdunek, habe der hoch talentierte Sportler in der Vergangenheit die nötige Härte gegen sich selbst vermissen lassen. Und genau da liegt das Problem des außerhalb des Rings stets extrem höflich auftretenden Ukrainers, dem einige "zu wenig Herz" attestieren: Er hat zu viel Herz, vor allem für seine Gegner. Ihm fehlt die Kompromisslosigkeit, die es zum Sprung an die Weltspitze braucht.

"Wir haben vor dem Kampf gesagt, dass es eine Standortbestimmung wird. Jetzt wissen wir, dass noch viel zu tun ist. Trotzdem glaube ich für die Zukunft weiter fest an Sascha und daran, dass er Weltmeister wird", sagte Kohl. Die Niederlage gegen Chambers kann, wenn Dimitrenko die richtigen Schlüsse zieht, der heilsame Schuss vor den Bug gewesen sein, den auch viele große Champions gebraucht haben. Und so darf sich der sympathische Hüne vielleicht mit etwas Abstand doch als Gewinner des Abends sehen: als derjenige, der einer noch furchtbareren Prügelstrafe durch Klitschko noch einmal entgangen ist.

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