Die Berlinerin klagt jetzt vor dem internationalen Sportgericht gegen ihre zweijährige Sperre: “Habe nie gedopt!“

Berlin. Trotz des schwersten Rückschlags in ihrer Karriere tingelte die Verurteilte am Sonnabend voller Zuversicht durch die Republik. Dabei hatte der Eisschnelllauf-Weltverband ISU am Freitagabend den Abschluss ihres Verfahrens öffentlich gemacht: Claudia Pechstein (37), Deutschlands erfolgreichste Winterolympionikin, ist nach der Entscheidung 01/09 der Disziplinarkommission der ISU vom 1. Juli bis zum 9. Februar 2011 "wegen des Gebrauchs der verbotenen Methode des Blutdopings" gesperrt. Dennoch wittert Pechstein ihre Chance, im Februar 2010 in Vancouver bei Olympia starten zu können. Da sie als erste Athletin der Welt nur aufgrund von Indizien, auffällig hoher Blutwerte, ohne eine einzige positive Dopingprobe verurteilt wurde, legt sie Berufung gegen die Sperre vor dem Weltschiedsgericht für Sport CAS in Lausanne ein.

In einer weißen Baumwollhose und rosafarbenem T-Shirt redete Pechstein sich den Mund fusselig, weil ihre Existenz auf dem Spiel steht: Scheitert sie vor dem CAS, verliert sie alle Sponsorenverträge und die Verbeamtung im Polizeidienst auf Lebenszeit. Daher gab sie Medien schriftlich, was alle glauben sollen: "Ich habe nie gedopt." Mit dem Blick für die juristischen Tücken und der nötigen Verteidigungsrhetorik sekundierte im grauen Anzug ihr Berliner Rechtsanwalt Simon Bergmann, im Gepäck den DIN-A4-Leitz-Ordner Nr. II mit den Gutachten zum Verfahren. Mit seinen Kontakten und Kenntnis aller Vorgänge vervollständigte Manager Ralf Grengel den Tross.

Das Trio gibt sich wild entschlossen, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die ein Präzedenzfall immer lässt. Pechstein droht ihr Langzeitblutprofil zum Verhängnis zu werden: Aus dem ergibt sich, dass ihre Retikulozytenwerte ein knappes Dutzend Mal so unnatürlich hoch waren, dass Experten dies als Nachweis von Blutdoping gelten lassen. Eine größere Zahl roter Blutkörperchen sorgt für einen besseren Sauerstofftransport von der Lunge in die Köperzellen. Die Taktik des Pechstein-Lagers scheint klar: Der Wert soll natürlich erklärbar sein und möglichst der gesamte indirekte Dopingnachweis als unzulässig erklärt werden. "Vor dem CAS folgt nun eine Schlacht von Sachverständigen", sagt CAS-Richter Dirk-Reiner Martens, "so ein Verfahren musste kommen."

Mit ihrer Charmeoffensive erzielte Pechstein einen Erfolg: Kurzfristig entstand der Eindruck, die ISU habe schlampig gearbeitet. Je mehr Informationen aber aus der Disziplinarkommission, angeführt von der Schweizer Anwältin Beatrice Pfister, durchsickerten ("Wir hatten noch nie einen Fall, an dem wir so lange rumgekaut haben"), desto plausibler erscheint der Vorwurf des Blutdopings. "Pechstein hat in einer Art Zielfahndung seit 2006 mehr als 50 Wada-Kontrollen gehabt", sagte Volker Smasal, Ex-Chefmediziner der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG), "die ISU hat sich den sichersten Fall herausgesucht, der nach der neuen Wada-Regel möglich war. Die Beweisführung macht einen konsequenten Eindruck."

Seit 1999 sammelt der Verband die Blutprofile seiner Athleten. Rund 11 000 Daten von 1650 Sportlern liegen vor. Die ISU hatte das bisher nie an die große Glocke gehängt. Bei Pechstein beäugten die Experten seit 2000 auffällige Retikulozytenwerte. Weil aber der Wada-Kodex allein auf dieser Grundlage erst seit Beginn des Jahres Sanktionen zulässt, schritt die ISU nach einem Test am 6. Februar bei der WM in Hamar ein. Pechsteins Retikulozytenwert, heißt es im ISU-Urteil "lag bei 3,5 Prozent, was 1,1 Prozent über dem normalen von der ISU angewendeten Höchstwert liegt". "Es gibt kein Argument, wie solch ein Wert zu erklären ist", sagt der Nürnberger Dopingexperte Fritz Sörgel. Am folgenden Tag, nach dem 3000-Meter-Lauf, wies Pechsteins Blut noch 3,46 und 3,34 Prozent auf.

Pechsteins Anwalt Bergmann vermutet, die ISU wolle an ihr ein Exempel statuieren, weil der Verband im Ruch stehe, Doping nicht ordentlich zu verfolgen. Dagegen spricht, dass Pechstein und die DESG dem Weltverband zwei Angebote eines Kuhhandels vorwerfen: In Hamar sollte sie sich auf Vorschlag der ISU angeblich krank abmelden, was sie tat, um die Publikation ihrer Auffälligkeiten zu verhindern. Der zuständige ISU-Arzt Harm Kuiper bestreitet das. Später, berichtet DESG-Chef Gerd Heinze, hätte die ISU auf die Sperre verzichten wollen - so habe es Ankläger Gerhardt Bubnik aus Tschechien vorgeschlagen - wenn Pechstein ihre Karriere beende.

Vor allem aber behauptete sie, die Gutachten von fünf Sachverständigen seien zu ihren Gunsten ausgefallen. Der Wert könnte sich auch durch eine genetische Blutkrankheit oder Infekte erklären lassen. "Der neutrale Experte Max Gassmann", heißt es im Urteil, "betrachtet diese Faktoren als mögliche Ursachen, nennt sie aber höchst unwahrscheinlich."

Da steht auch, dass Pechstein entgegen ihrer Aussage Gelegenheit hatte, nachzuweisen, dass natürliche Ursachen ihre unnatürlich hohen Werte erklären: "Vielleicht", sagt sie, "bin ich ja schwer krank." Daher war die ISU-Jury laut Urteil "überrascht zu hören", dass trotz des seit Monaten laufenden Verfahrens Pechstein "bis eine Woche vor der Anhörung keinen Versuch unternommen hat, medizinisch feststellen zu lassen, ob sie an einer Blutkrankheit leide". Das tat sie erst jetzt. Die Ergebnisse liegen in drei Monaten vor.