Es ist unmöglich, zartbesaiteten Menschen nahe zu bringen, warum man Zeit vor dem Fernseher zubringt, um erwachsenen Männern (oder womöglich gar Frauen) dabei zuzusehen, wie sie sich das Gesicht vermöbeln.

"Über das Boxen kann man nur mit seinesgleichen sprechen", beschied die amerikanische Autorin Joyce Carol Oates in ihrem berühmten Essay "Über Boxen", der widerlegte, dass brutale Faustkämpfe für den intellektuellen Diskurs ungeeignet seien. Obgleich mein Herz zuallererst für den Fußball schlägt, komme ich nicht umhin, dem übersichtlichen Geschehen im Boxring einiges abzugewinnen. Das mag damit zu tun haben, dass ich als Jugendlicher Seite an Seite mit meinem Vater auf dem Sofa saß, mitten in der Nacht, um mir im Fernsehen die großen, uneinholbaren Fights anzuschauen, die sich Muhammad Ali, der geniale Ästhet, mit George Foreman oder Joe Frazier lieferte.

Ganze drei Minuten währt eine Runde, und wie überlegen einer der durchtrainierten Kämpfer auch gewesen war, innerhalb weniger Sekunden kann sich alles in sein Gegenteil verkehren. Ein einziger Schlag, ein "lucky punch", genügt, um alle Sicherheiten ad absurdum zu führen, um aus vermeintlichen Siegern hoffnungslos verlorene Gestalten zu machen, die sich nicht mehr rechtzeitig aus dem Ringstaub erheben. Der geschlagene Boxer, das ist, wie der Schriftsteller Jörg Fauser schrieb, der "einsamste Verlierer auf der Welt".

Mit Schiebereien und üblen Vermarktungsmethoden, mit zweifelhaften Funktionären oder Aufbaugegnern, die nicht mehr als Fallobst sind, hat das professionelle Boxen seit jeher zu tun gehabt. Doch wie groß muss die archaische Gewalt dieses Sports sein, der nur von Unkundigen mit dem Attribut "roh" bezeichnet wird, um diese unschönen Begleiterscheinungen vergessen zu lassen, sobald zwei Kämpfer sich gegenüberstehen. "Die Welt ist im Zorn - durch Hass und Hunger - entstanden und nicht nur durch Liebe. Davon handelt Boxen unter anderem. Es ist so simpel, dass man es leicht übersieht" - Oates' lapidare Feststellung erinnert an die Wurzeln der Auseinandersetzung, und vermutlich wollen wir der psychischen Entlastung wegen bisweilen teilhaben an diesem Überlebenskampf.

Vielleicht liegt der Reiz eines Boxkampfes in seiner einfachen Struktur, seiner intellektuellen Überschaubarkeit. Der Boxkenner und Germanistik-Professor Jan Philip Reemtsma brachte diese besondere Qualität auf einen Nenner: "Ein Boxkampf ist einfach; und wenn einer nach zehn Sekunden nicht wieder auf den Füßen ist, gibt es auch keine hermeneutischen Probleme." Diese Unmissverständlichkeit hat Bestechendes an sich.

Rainer Moritz leitet das Literaturhaus Hamburg und gibt den Kalender "Literatur und Boxen" heraus.