Härtere Leistungs-Vorgaben, bessere Bedingungen - aber auch Kritik an der Sportstadt Hamburg.

Abendblatt:

Herr Lange, seit dem vergangenen November sind Sie Bundestrainer des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV). Wie viele neue Feinde haben Sie sich inzwischen gemacht?

Dirk Lange:

Das hieße ja, ich hätte alte.

Abendblatt:

Haben Sie?

Lange:

Ich will Erfolg, es geht um die Zielerreichung. Damit mögen manche Menschen ihre Probleme haben. Das stört mich nicht. Es müssen mich nicht alle lieben. Das tue ich umgekehrt auch nicht. Momentan habe ich jedoch den Eindruck, dass alle im DSV voll mitziehen, Schwimmer, Trainer und Funktionäre. Ich spüre eine Aufbruchsstimmung. Es bewegt sich wieder was.

Abendblatt:

Vom Abgrund weg?

Lange:

Schwimmen steht nach den Olympischen Spielen 2008 als Sportart an der Wand. Allein Britta Steffen hat mit ihren zwei Goldmedaillen den fast flächendeckenden Misserfolg der deutschen Mannschaft kaschiert. Bis auf sie und Paul Biedermann hatte niemand in Peking in den Einzeldisziplinen ein A-Finale erreicht. Der Nachwuchs, im europäischen Vergleich, wurde in den letzten Jahren immer schwächer. Das führt sich bis in die Spitze durch. Wenn wir jetzt nichts Grundlegendes ändern, sind wir schneller zur Randsportart verkommen, als wir es heute ahnen.

Abendblatt:

Was haben Sie seit Ihrem Amtsantritt getan?

Lange:

Wir haben eine Strukturreform angeschoben, wie es sie noch nie im Deutschen Schwimmverband gab. Und wir haben einen Generationswechsel bei den Athleten. Dadurch bietet sich eine gute Möglichkeit, etwas Neues aufzubauen.

Abendblatt:

Hat der alte Cheftrainer des DSV, der Norweger Örjan Madsen, alles falsch gemacht?

Lange:

Im Gegenteil. Örjan Madsen ist für mich einer der führenden Schwimmexperten der Welt. Er hatte hervorragende Ideen und meistens auch die passende Strategie, er konnte sie nur nicht durchsetzen, weil er keine dienstrechtlichen Weisungsbefugnisse gegenüber den anderen Trainern hatte. Die haben jetzt der neue Direktor Leistungssport Lutz Buschkow und wir als Bundestrainer. Damit dürfte die Wahrscheinlichkeit höher sein, dass das, was oben geplant wird, auch unten ankommt.

Abendblatt:

Par ordre du Mufti schwimmt niemand schneller.

Lange:

Die Keimzelle des Erfolges bleiben der Heimtrainer und sein Athlet. Wir werden keine erfolgreichen Teams zerschlagen. Wir können aber für sie optimale Rahmenbedingungen schaffen und die besten Mediziner, Psychologen, Trainingswissenschaftler, Biomechaniker und Physiotherapeuten im Umfeld platzieren. Sport und Ausbildung wollen harmonisiert werden. Niemand soll zwei Wochen vor einer WM eine Klausur schreiben müssen. An allen diesen Dingen arbeiten wir - im Dialog mit den Beteiligten. Wir setzen auf Verantwortlichkeit, Überzeugung, Vertrauen und Transparenz. Sie sind Grundpfeiler unserer Führung. Die sechs neu installierten Bundesstützpunkte sind die Basis für künftig bessere Leistungen.

Abendblatt:

Für die WM Ende Juli in Rom fordert der DSV Qualifikationszeiten, für die auf einigen Strecken bei den nationalen Meisterschaften in der nächsten Woche in Berlin der deutsche Rekord verbessert werden muss. Das klingt nach Brechstange.

Lange:

Das klingt nach klaren Leistungsvorgaben. Der DSV muss sich spätestens in London 2012 am Erfolg messen lassen. Da zählt dann nicht, mit wie vielen Schwimmern wir einst nach Rom geflogen sind, sondern nur mit wie vielen Medaillen und Finalteilnahmen wir aus London zurückkommen. Auch wenn wir akzeptieren müssen, dass die Bundesstützpunkttrainer erst zum April dieses Jahres in Amt und Würden kamen. In diesem Jahr zählt noch der hoffentlich einsetzende positive Trend. Wir stehen in Zeiten der globalen Krise bei Wirtschaft und Politik in knallharter Konkurrenz zu anderen Sportarten und Lebensbereichen. Und: Die Vorgaben kommen nicht allein vom DSV, der Deutsche Olympische Sportbund will Normen gesetzt sehen, die sich am Zehntplatzierten des vorigen internationalen Großereignisses orientieren. Und wenn für die WM-Qualifikation ein deutscher Rekord nötig ist, zeigt das doch nur, dass wir in dieser Disziplin offenbar einen gehörigen Abstand zur Weltspitze haben.

Abendblatt:

Die Zeit nach Peking darf kein Maßstab sein. Da wurden Rekorde in Wunderanzügen geschwommen, die heute zum Teil verboten sind.

Lange:

Mit den neuen Schwimmanzügen allein sind die 108 Weltrekorde des Jahres 2008 nicht zu erklären. Dahinter steckten auch gewaltige Leistungssprünge und moderne Trainingskonzepte, die wir zum größten Teil nicht nachvollzogen haben. Die Schere zwischen deutschen und internationalen Leistungen ist immer weiter aufgegangen. Diese Lücken müssen wir schließen. Wir dürfen nicht davor zurückschrecken, auch an der Leistungsbasis unserer Nationalmannschaft zu arbeiten. Sie muss nach außen wieder selbstbewusster auftreten. Die anderen Länder müssen uns wieder wahrnehmen. Mittelfristig wollen wir zurück unter die fünf, sechs besten Schwimmnationen der Welt. Das ist mein Ziel.

Abendblatt:

Herrscht jetzt mit der neuen Kleiderordnung wieder Waffengleichheit?

Lange:

Einige Anzüge, die einen besonders großen Auftrieb verursachten, wurden erst einmal aus dem Verkehr gezogen. Ob sie vor der WM wiederkommen, werden wir sehen. Chancengleichheit besteht trotzdem noch nicht, aber eine angemessene Annäherung, da es jetzt überhaupt erst einmal Regeln gibt.

Abendblatt:

Sie haben bis zum Jahr 2004 in Hamburg am Olympiastützpunkt trainiert. Wie beurteilen Sie heute die Situation des Schwimmens in der Stadt?

Lange:

Mit dem deutschen Meister und Olympiateilnehmer Steffen Deibler ist ein Zugereister der Vorzeigeathlet, die Nachwuchsarbeit und die Dichte in der Spitze haben bisher die erhofften Erfolge nicht gezeitigt. Der DSV hat Hamburg wieder zu einem seiner sechs Bundesstützpunkte gemacht und damit einen Vertrauensvorschuss geleistet. Der muss mit Erfolgen zurückgezahlt werden. In zwei Jahren werden die Stützpunkte neu evaluiert. In Hamburg, das bleibt meine Kritik, wird zu viel Wert auf Veranstaltungen gelegt und immer noch zu wenig auf die Förderung des Leistungssports.

Abendblatt:

Hamburgs Bewerbung um die Schwimm-WM 2013 halten Sie also für einen Fehler?

Lange:

Nein absolut nicht. Eine Schwimm-WM im eigenen Land und dann noch in Hamburg wäre das Größte. Hamburg hat ohne Frage aus deutscher Sicht international die besten Chancen. Das würde unserem Sport einen gewaltigen Schub geben. Nur: Das darf es nicht gewesen sein. Hamburg muss weiter in seine Leistungssportstrukturen investieren, aber bitte nicht nur in Steine, sondern künftig vermehrt auch in Beine und Köpfe.

Abendblatt:

Sie wollen verstärkt ehemalige Spitzenschwimmer als Vorbilder ans Becken zurückholen. Haben Sie für Sandra Völker, Ihre ehemalige Lebensgefährtin und Vorzeigeschwimmerin, auch einen Platz vorgesehen?

Lange:

Jeder ist willkommen, der den deutschen Schwimmsport nach vorn bringen will, eine Sandra Völker ebenso wie auch eine Franziska van Almsick. Wir brauchen mehr erfolgreiche Leute mit dieser natürlichen Autorität. Ihre Worte haben überall Gewicht. Das hilft uns. Wenn Sandra anruft, können wir über alles reden. Bisher hat sie sich, nach ihrem Rücktritt vom aktiven Sport, sehr aus dem Schwimmsport zurückgezogen. Aber das könnte sich ja ändern, sie ist herzlich willkommen.

Abendblatt:

Warum rufen Sie nicht an?

Lange:

Ich habe ihre Nummer nicht.

Dirk Lange (46) ist seit November Schwimm-Bundestrainer. Der gebürtige Hamburger arbeitete von 1992 bis 2004 am Olympiastützpunkt Hamburg.