Wer das Ehepaar Chagaev am Sonntagmittag auf dem Rückflug von Helsinki nach Hamburg im vorderen Teil der Finnair-Maschine sah, hätte glauben können, es befände sich gerade auf Hochzeitsreise.

Hamburg - Immer wieder beugte sich Viktoria Chagaev zu ihrem Ruslan hinüber, streichelte ihm über Kopf und Gesicht und küsste ihn. Der Zuspruch schien extrem notwendig zu sein, immerhin hatte der 30 Jahre alte Schwergewichts-Boxweltmeister aus dem Hamburger Universum-Stall ein Pfingstwochenende hinter sich, das er bis an sein Lebensende nicht vergessen wird.

Am Freitagabend um kurz vor 23 Uhr, Chagaev hatte sich zur Vorbereitung auf sein für Sonnabendabend geplantes WM-Duell mit dem Russen Nikolai Valuev aus dem Berliner Sauerland-Team in seinem Zimmer im Hotel Crowne Plaza zum Schlafen gelegt, klopfte es an die Tür. Trainer Michael Timm bat seinen überraschten Schützling zum Gespräch mit Dietmar Poszwa. Das Mitglied der Universum-Geschäftsleitung eröffnete dem Kämpfer, das Duell sei abgesagt. Begründung: Chagaev sei aufgrund einer Hepatitis-B-Erkrankung eine Gefahr für die Gesundheit seines Gegners. "Ich konnte das nicht glauben und nicht verstehen. Ich war völlig fertig, habe geweint", schildert der Usbeke seine ersten Reaktionen.

Nach einer Nacht mit höchstens drei Stunden unruhigem Schlaf ging Chagaev am Sonnabendmorgen zunächst joggen. 47 Minuten lang, genauso lang, wie der Kampf mit Valuev maximal gedauert hätte. "Ich wollte vergessen, den Kopf freikriegen", sagt er. Es gelang nicht. Am Sonnabendmittag musste sich der zweifache Vater, dessen Söhne Artur (5) und Alan (1) bei der Schwiegermutter in Rahlstedt auf die Eltern warteten, auf einer Sitzung aller an der Kampfabsage beteiligten Parteien dreieinhalb Stunden lang zusammenreißen, um nicht auf seine Rivalen loszugehen. "Ich bin sehr enttäuscht über das Verhalten von Sauerland und Valuev. Die haben mich respektlos behandelt. Wenn sie nicht boxen wollten, hätten sie das vor ein paar Wochen sagen können", schimpft er.

Am Abend saßen Chagaev und seine Frau mit der Universum-Chefetage bei Salat mit Meeresfrüchten und Rinderfilet zusammen, nach einer weiteren fast durchwachten Nacht ging es Sonntag nach Hamburg zurück, wo Chagaev gestern auf einer Pressekonferenz im Hotel Intercontinental noch einmal Stellung zu den Vorgängen nahm. Die Niedergeschlagenheit war da wieder der Kampfeslust gewichen. "Ich erlaube niemandem, so mit mir umzugehen, und werde es nicht hinnehmen", sagte er.

Universum-Chef Klaus-Peter Kohl erhob harte Vorwürfe gegen Valuev. "Das ist der größte Feigling, der in der Schwergewichtsszene herumläuft. Mit einer Impfung hätte er den Kampf möglich machen können. Ein Mann, der Wildschweine mit der Hand jagt, hat Angst vor einer kleinen Spritze", schimpfte Kohl.

Man wolle nun abwarten, wie die binnen sieben Tagen angekündigte Entscheidung des Weltverbandes WBA ausfalle, und danach mögliche rechtliche Schritte einleiten. Fakt ist, dass der finnische Verband, der den Kampf abgesagt hatte, gegen WBA-Regeln verstoßen hat und bis heute Abend dem Weltverband eine detaillierte Aufzeichnung der Vorgänge vorlegen muss. Ob Chagaev Anspruch auf seine rund 1,2 Millionen Euro Kampfbörse hat, ist unklar. Viel wichtiger ist dem Boxer, dass er gegen Valuev kämpfen darf. "Ich bin gesund und will zeigen, dass ich der wahre Weltmeister bin", unterstrich er gestern. Seinen geplanten Heimaturlaub hat er zunächst verschoben. Er muss sich bereithalten, falls die WBA einen schnellen Ersatztermin anordnet. "Im Training kann ich den Frust verdrängen", sagt er. Vergessen wird er ihn nie. (bj)