Die 32-Jährige über Zweifel und Ziele, Gewichtsprobleme und warum Hamburg ihre Karriere gerettet hat.

Abendblatt:

Frau Maisch, wo sind Sie am Sonntag um 11.32 Uhr?

Ulrike Maisch:

Ich hoffe, glücklich im Ziel. Die WM-Norm von 2:32 Stunden zu schaffen ist mein Ziel für den Hamburg-Marathon. Für mehr hat die Vorbereitung einfach nicht ausgereicht. Ich konnte erst im Januar wieder anfangen, richtig gut zu trainieren.



Abendblatt:

2007 und 2008 sind Sie nicht ins Ziel gekommen. Woher nehmen Sie die Zuversicht?

Maisch:

Das Training war besser als letztes Jahr. Es muss einfach mal wieder klappen!



Abendblatt:

Was bewegt jemanden, einen Marathon aufzugeben?

Maisch:

Dass man merkt: Es geht schwer. Man nimmt sich eine Zeit vor, sagen wir 3:33 Minuten für den Kilometer. Und dann merkt man: Man schaffst das nicht. Die Beine sind müde, alles ist ein bisschen träge. Natürlich spielt dann auch der Kopf eine Rolle.



Abendblatt:

Trainiert man als Leistungssportlerin nicht, mit diesen Situationen positiv umzugehen?

Maisch:

Wenn der Körper nicht mitmacht, kann man sich noch so motivieren. Ich hätte 2008 ins Ziel laufen können, aber da wäre eine Zeit von knapp unter drei Stunden herausgekommen, davon hätte keiner etwas gehabt.



Abendblatt:

Was Sie damals nicht ahnen konnten: Sie hatten offenbar Pfeiffersches Drüsenfieber.

Maisch:

Irgendwann dachte ich: So schlecht kannst du nicht sein. Ich bin von einem Arzt zum anderen, habe alles Mögliche kontrollieren lassen. Dabei kam es dann heraus. Danach ging zwei, drei Monate so gut wie gar nichts. Schon eine halbe Stunde Laufen war wahnsinnig anstrengend.



Abendblatt:

Haben Sie ans Aufhören gedacht?

Maisch:

Ja. Schon das Jahr zuvor war ja nicht richtig gut gelaufen. Es macht dann auch nicht mehr richtig Spaß, man quält sich nur so zum Training. Aber ich habe zu der Zeit die Olympischen Spiele verfolgt und dabei mehrfach von Athleten gehört, die nach Pfeifferschem Drüsenfieber zurückgekommen sind.



Abendblatt:

Gehen Sie jetzt anders an die Sache heran?

Maisch:

Ich bin ein bisschen lockerer geworden. Und ich versuche es zu genießen. Wenn man wieder laufen kann, merkt man erst, wie schön das ist. Im Großen und Ganzen ist es schon ein Superjob.



Abendblatt:

Was nehmen Sie unterwegs wahr? Sind Sie nur aufs Laufen fokussiert?

Maisch:

Ich denke an alles Mögliche, was mich im Alltag beschäftigt. Wenn ich mit anderen unterwegs bin, quatsche ich auch gern.



Abendblatt:

Was ist Ihr EM-Titel von 2006 noch wert?

Maisch:

Ich habe danach viele Sponsoringverträge über vier Jahre abgeschlossen, so gesehen zahlt er sich noch aus. Es ist schon ein deutlicher Unterschied zu vorher. Man kann sagen, dass dieser Tag in Göteborg mein Leben verändert hat.



Abendblatt:

Inwiefern?

Maisch:

Ich hatte meiner Mutti 2006 versprochen: Wenn dieses Jahr nichts Großes passiert, lasse ich den Sport beiseite und konzentriere mich voll auf mein Studium. Dass es dann genau andersherum kommen würde und ich nur noch Sport mache, hat auch mit Hamburg zu tun ...



Abendblatt:

..., wo Sie damals die EM-Norm erfüllt haben. Hamburg hat Ihre Karriere gerettet?

Maisch:

Kann man so sagen, sonst hätte ich gar nicht weitergemacht. Jetzt die finanzielle Freiheit zu haben ist toll. Die nächsten fünf Jahre sind gesichert.



Abendblatt:

Ist der EM-Titel das Größte, was eine Marathonläuferin aus Europa schaffen kann?

Maisch:

Das hätte ich bis vor Kurzem auch gedacht. Jetzt traue ich einer Irina Mikitenko schon zu, im Weltmaßstab ganz vorn mitzulaufen. Sie hat den Vorteil, auch über 5000 und 10 000 Meter sehr schnell zu sein. Daran fehlt es mir. Die Ausdauer kann man sich später erarbeiten, die Schnelligkeit nicht. Auch sonst gibt es ein paar Ausnahmen. Paula Radcliffe (britische Weltrekordlerin mit 2:15:25 Stunden - die Red. ) ist ja auch vorn mit dabei. Woran das jetzt liegt ...



Abendblatt:

Sie haben bei manchen Konkurrentinnen Zweifel, ob alles mit rechten Dingen zugeht?

Maisch:

Durchaus. Mir ist klar, dass man schneller sein kann als ich. Eine 2:22 ist sicher möglich, ich kann es nicht, andere mit besseren Voraussetzungen schon. Aber Zeiten unter 2:20 kann ich mir nur schwer vorstellen.



Abendblatt:

Wie lange kann man Marathon laufen?

Maisch:

Luminita Zaituc ist 40 geworden und läuft noch. Wobei das nicht so mein Ziel ist.



Abendblatt:

Sondern?

Maisch:

Die EM-Titelverteidigung nächstes Jahr wäre noch eines, da weiß ich, ich kann vorne mitlaufen, wenn es ein Supertag ist.



Abendblatt:

Haben Sie einen Traummarathon?

Maisch:

So einen schönen großen, New York oder Boston, würde ich schon gern mal laufen.



Abendblatt:

Warum tun Sie's nicht?

Maisch:

New York hatte mich 2006 sogar eingeladen, aber da war ich gerade in der Grundausbildung. Außerdem: Damit sich das lohnt, muss ich schon 2:26 laufen, sonst lohnt sich das nicht.



Abendblatt:

Ist es schwer, das Gewicht zu halten?

Maisch:

Für mich schon. Ich bin von jeher eher der kräftige Typ. Selbst wenn ich zehn Kilo weniger hätte, wäre ich nicht unbedingt schneller. Vor einigen Jahren hatte ich Probleme mit der Schilddrüse und wog nur 50 Kilo. Da konnte ich nicht mehr laufen, weil mir die Kraft fehlte.



Abendblatt:

Sind Essstörungen eine Gefahr?

Maisch:

Wenn ich mir manche Konkurrentin so anschaue, kann ich das nicht ausschließen. Bei der EM war ich für meine Verhältnisse sehr dünn, damals wog ich 52 oder 53. Als ich dann später die Fernsehbilder sah, kam ich mir zwischen den anderen vor wie die dicke Kuh.



Abendblatt:

Wie groß ist Ihre Sehnsucht, nach eineinhalb Jahren einmal wieder einen Marathon zu Ende zu laufen?

Maisch:

Das ganze Training, die Mühen, die Schmerzen sollen sich einfach mal wieder lohnen. Man nimmt ja doch ein paar Entbehrungen in Kauf. Ich gehe auf keine Party, ich bin nicht bis morgens um zwei in der Disco. Auch wenn ich das nicht so doll vermisse, weil ich sowieso vom Training zu müde bin.



Abendblatt:

Werden Sie das alles nach der Karriere nachholen?

Maisch:

Nicht nach der Karriere - nach dem Marathon. Da kann ich immer zwei Wochen machen, was ich will.