Jols Team braucht am Sonntag (17 Uhr) mindestens ein Remis, um die “Nummer eins“ im Norden zu verteidigen. Hier geht’s zur Bildergalerie.

Hamburg. Als Klaus-Dieter Fischer diese Woche vor den Mitgliedern stand, reicherte der Präsident des SV Werder die Tatsache, dass Bremen in dieser Saison bereits zum fünften Mal in Folge in der Champions League vertreten ist, mit reichlich Pathos an: "Für unser Umfeld und unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten ist das nicht die Normalität. Sondern ein Wunder."

Die wirtschaftlichen Rahmendaten stützen Fischers These. Mit 112,4 Millionen Euro vermeldete Fischer für die Profiabteilung Werders zwar einen Rekordumsatz, der aber im direkten Vergleich zur Konkurrenz eher bescheiden ausfällt: Die Hamburger erlösten 2007/08, obwohl nur im Uefa-Pokal vertreten, 135 Millionen Euro.

Rechnet man die vom HSV zu leistende Annuität für das Stadiondarlehen in Höhe von sieben Millionen Euro ab, liegen beide Klubs seit einiger Zeit finanziell fast gleichauf, und doch waren die Hamburger in den vergangenen 20 Jahren 16 Mal nur die Nummer zwei im Norden. Zuletzt gelang es dem HSV in der Saison 2002/03, in der Tabelle vor dem Rivalen zu landen (siehe Tabelle unten). Dies hatte auch Auswirkungen auf die "ewige" Tabelle, in der Werder (Platz zwei, 2361 Punkte) den HSV (Dritter, 2342) längst überholen konnte, obwohl Bremen im Vergleich zum Bundesliga-Dino eine Saison fehlt.

Die lange, bisher vergebliche Jagd nach dem enteilenden Nordrivalen hat die Abneigung der HSV-Fans und die Bedeutung des Spiels generell anwachsen lassen. Ein Leidtragender des emotionalisierten Duells wird am Sonntag sicher Tim Wiese sein. Nach dem Kung-Fu-Tritt des Bremers gegen Ivica Olic (beim 0:1 am 7. Mai) haben sich beide Spieler zwar längst ausgesprochen, und der Kroate forderte die Fans auf: "Ich kann nur appellieren, dass unsere Anhänger das Foul vergessen." Doch die tausendfache Ablehnung ist dem Jung-Nationalspieler sicher. Ähnlich viele Pfiffe erwarten den ehemaligen HSV-Profi Boubacar Sanogo, der Hamburg im Unfrieden verlassen hat.

"Am Anfang hat man das noch nicht im Blut, aber jetzt spürt man die Besonderheit dieses Duells", sagt der Ivorer Guy Demel. Und auch Trainer Martin Jol glaubt: "Die Spieler wissen, wie wichtig das Spiel für die Fans ist. Und die Position in der Tabelle."

Wie wahr. Während der HSV stark in die Saison gestartet war und zwischenzeitlich die Tabellenführung übernehmen konnte, quälte sich Werder durch die ersten Spiele. Doch der einst komfortable Vorsprung von sieben Punkten nach dem zehnten Spieltag ist geschmolzen: Mit einem Auswärtssieg könnte Werder vorbeiziehen. "Das ist ein zusätzlicher Anreiz", gibt Kapitän Frank Baumann zu.

Dietmar Beiersdorfer, der einst für beide Vereine spielte, sieht vor allem die "personelle Kontinuität in der Arbeit" als einen Grund für den Vorsprung Werders: "Sie kommen von einem anderen Punkt." Wie schwierig diese Konstanz jedoch umzusetzen ist, hat der Sportchef des HSV selbst leidvoll erfahren: Seit Beiersdorfers Amtsantritt 2002 ist Martin Jol bereits der fünfte Trainer. 13 Fußballlehrer hat der HSV in den vergangenen 20 Jahren verschlissen, in Bremen waren es nur sechs.

"Wir haben in den vergangenen Jahren eine gute Entwicklung geschafft, relativ gesehen sogar eine bessere als Werder", sagt Beiersdorfer. "Aber jetzt muss der nächste Schritt kommen. Sich dauerhaft in der Champions League zu etablieren, wäre die nächste Stufe. Aber dass es nicht einfacher wird, zeichnet sich bereits in dieser Saison mit der gewachsenen Konkurrenz ab."

Optimistisch, den jüngsten schleichenden Abwärtstrend beim HSV ausgerechnet gegen Bremen zu stoppen, dürfte Beiersdorfer neben der Heimstärke stimmen, dass der letzte Erfolg in Hamburg gegen Werder in der Saison 2002/03 am 2. Februar gelang. An einem Sonntag. Doch der Sportchef setzt eher auf den Willen seiner Spieler: "Biss, Besessenheit und eine kämpferische Einstellung" seien notwendig, um das Spiel auf die eigene Seite herüberzuziehen. "Die Zuschauer werden die Spieler auf einer Welle, einer Woge tragen." So viel Pathos hatte man lange nicht mehr von Beiersdorfer gehört.