Frank Rost (HSV), Mathias Hain (FC St. Pauli), Jean-Marc Pelletier (Freezers) und Johannes Bitter (HSV Handball) über ihren Job zwischen den Pfosten.

Abendblatt:

Guten Abend, meine Herren! Müssen wir Sie miteinander bekannt machen?

Rost (zeigt auf Pelletier):

Ich habe ihn schon oft gesehen, bisher allerdings nur mit Maske.



Bitter:

Ich kenne dich auch nur vom Foto.



Rost:

Bei den Handballern war ich öfter mal, aber ich habe denen kein Glück gebracht.



Bitter:

Da kann zurzeit aber auch kommen, wer will. Beim HSV war ich letztes Jahr einmal in der Vorbereitung. Zu St. Pauli gehe ich öfter mal, ich wohne direkt neben dem Stadion. Auch wenn ich es mal nicht weiß: Ich höre sofort, wenn ein Spiel ist.



Pelletier:

Ich habe den HSV gegen Bielefeld gesehen, bei St. Pauli war ich noch nicht ...



Rost:

... da hast du nichts verpasst!



Hain:

Nach nur zwei Minuten geht das schon los.



Pelletier:

Beim Handball war ich während der WM 2007.



Abendblatt:

Haben Sie besonders auf den Torhüter geachtet?

Pelletier:

Ja und nein. Handball und Fußball sind eine völlig andere Sportart als Eishockey. Wenn ich dorthin gehe, will ich mich vor allem erholen: ein Bier trinken und zuschauen, wie andere den Stress haben, den sonst ich habe.



Hain:

Der Erfolg steht und fällt in jeder Mannschaftssportart mit der Leistung des Torhüters. Was das betrifft, gibt es beim Eishockey, Handball oder Fußball keinen großen Unterschied.



Abendblatt:

Verstehen und beurteilen Zuschauer und Medien ein Torwartspiel überhaupt richtig?

Hain:

Meistens nicht. Also, beim Fußball glaube ich das nicht.



Rost:

Beim Handball traue ich es mir schon zu, weil ich in einer Handball-Familie groß wurde.



Abendblatt:

Aber Sie haben nie im Handballtor gestanden.

Rost:

Ich bin einfach beim Fußball hängengeblieben, war aber als Stift immer beim Handball dabei. Ich finde, beim Eishockey oder Handball spielen die Torhüter eine noch entscheidendere Rolle als beim Fußball.



Abendblatt:

Wirklich?

Rost:

Natürlich. Sie können die Top-Leute sein, weil sie viel mehr Aktionen haben. Im Medienauflauf übernimmst du im Fußball doch eher die Rolle des Deppen.



Bitter:

Im Fußball bekommst du doch auch unhaltbare Bälle.



Rost:

Das schwierige ist: Manchmal stehst du 90 Minuten rum und dann kommt ein Ball, und der ist drin, und das noch aus 20 Kameraeinstellungen. Im Handball ärgerst du dich kurz und sagst dir: Den hätte ich halten können. Und dann kommt schon der nächste Angriff, und alles ist wieder vergessen. Beim Eishockey ist es ähnlich: Wenn mal einer durch die Hosenträger rutscht, sagt man: Kann mal passieren. Ich will die Leistung der Jungs nicht schmälern. Aber wenn der Matze da mal einen reingelassen hat vor zwei Spieltagen, dann bleibt das im Gedächtnis. Das ist wohl der gravierendste Unterschied.



Hain:

Du kannst 90 Minuten lang überragend halten, die Stürmer verballern alles. Trifft er dann, ist er der Held, aber lässt du eine Gurke rein und verlierst das Spiel, reden die Leute nur über die eine Szene.



Abendblatt:

Klingt nach einem undankbaren Job.

Hain:

Ja klar. Beim Fußball ist das der undankbarste Job, der viel zu wenig beachtet wird, auch wenn sich das in der Vergangenheit schon etwas verändert hat.



Bitter:

Ich würde durchdrehen, wenn ich 90 Minuten lang nichts zu tun bekäme, würde mir wahrscheinlich einen Ball von der Tribüne geben lassen. Ich kann mich an jedem Wurf abreagieren - entweder ist er drin, oder ich habe ihn gehalten.



Abendblatt:

Wie viel Prozent macht die Torwartleistung aus?

Pelletier:

Nur wenn dein Torhüter heiß ist, hast du eine Chance, das Spiel zu gewinnen. Wenn der Torhüter einen schlechten Tag hat, merkt es jeder, das ist sehr frustrierend. Ein Stürmer kann sich verstecken, und wenn er in einem glücklichen Moment eine Konterchance nutzt, ist er der Held. Wenn einer von uns einen Fehler macht, weiß es jeder. Am Ende einer Saison erinnere ich mich nicht an die tausend Paraden, die ich gemacht habe. Ich erinnere mich an die hundert Tore, die ich zugelassen habe.



Abendblatt:

Wie gehen Sie mit Fehlern um?

Bitter:

Es war immer eine meiner größten Schwächen, manchmal habe ich mich über Tore schwarz geärgert. Aber das zeichnet einen guten Handballtorhüter aus: abhaken, weitermachen, weil sofort der nächste Gegenstoß kommen kann, da kann ich keine Fehler im Hinterkopf haben.



Hain:

Das ist die große Kunst. In der Zweiten Liga gibt es viele junge Torhüter, die das Potenzial haben, Bundesliga zu spielen. Aber genau an dieser Frage trennt sich die Spreu vom Weizen. Dass du dich mit Fehlern, die nun mal passieren, nicht länger als nötig beschäftigst. Wenn du in der ersten Minute einen Riesenbock schießt, hast du trotzdem noch 90 Minuten vor dir. Du tust deiner Mannschaft keinen Gefallen, wenn du dann anfängst zu flattern und keine Ruhe mehr ins Spiel bekommst.



Abendblatt:

Fällt es schwer zu akzeptieren, nicht aktiv ins Spiel eingreifen zu können?

Hain:

Na ja, ich habe mit langen Bällen schon einige Torvorlagen geliefert.



Rost:

Das Spiel hat sich ja sehr verändert in den vergangenen 20 Jahren, ist viel enger, kompakter geworden. Dadurch ergeben sich schon Chancen. Wenn du dann einen Ball gut abfängst, kannst du einen Angriff einleiten. Beim Handball geht das ja noch viel besser, die können aus dem Sitzen einen Konter vorbereiten.



Bitter:

Aber das ist eine riskante Sache. Wenn ich durch drei Leute hindurchwerfe und der Ball ankommt, bin ich der Held und umgekehrt. Aber ich bin schon einer, der das Risiko eingeht und versucht, zum Sieg beizutragen.



Pelletier:

Ich habe letztes Jahr sogar ein Tor gemacht. Aber eigentlich ist meine kleine Welt vier Mal sechs Fuß groß: mein Tor. Zum Angriff kann ich nicht viel beitragen, schon wegen der sperrigen Ausrüstung, auch wenn ich hin und wieder mal durch Zufall einen Assist-Punkt einfahre.



Abendblatt:

Auf dem Schulhof mussten früher immer die ins Tor, die fürs Feld nicht gut genug waren. Wie war das bei Ihnen?

Pelletier:

Ganz und gar nicht. Ich fand die Ausrüstung toll. Mein Idol war Patrick Roy, ihm haben viele nachgeeifert damals in der Provinz Quebec, wo ich aufgewachsen bin. Mein Eindruck ist, dass die Torwartposition immer beliebter wird. Die Leute fasziniert der Gedanke, dass man den Unterschied ausmacht, sein Team mit einer großen Parade zum Sieg verhilft.



Hain:

Ich wurde in der F-Jugend ins Tor gesteckt, weil man Bruder selbst als Profi beim HSV und dem FC St. Pauli im Tor gespielt hat. Im zweiten Jahr war ich dann wieder draußen, bis zur B-Jugend. Ich bin nur ins Tor, weil wir den Verein wechseln mussten und die keinen Keeper hatten.



Rost:

Ich habe bis zwölf im Feld gespielt, wollte aber immer ins Tor. Im Osten war das ja nicht "Wünsch dir was", wenn du auf der Jugendsportschule warst. Du musstest dich schon spezialisieren. Mich hat fasziniert, keine Fehler zu machen. Das sind eigentlich die schönsten Spiele, wo jeder Fehler das Aus sein kann.



Bitter:

In meiner Jugendmannschaft stand mein bester Freund im Tor. Einmal war er nicht da, da bin ich rein. Es lief gleich ganz gut, und er wollte sowieso lieber draußen spielen.



Abendblatt:

Sind Sie schon mal richtig K. o. gegangen?

Bitter:

Richtig nicht. Aber so zehn, 20 Sekunden. Das ist auch nicht so schlimm, einen Ball ins Gesicht zu bekommen, weil man in dem Moment nicht mehr so viel mitbekommt (lacht). Natürlich gibt es Situationen, wo man als Torhüter die Augen zumacht und nicht mehr sieht, was passiert, was natürlich ein großer Fehler ist.



Abendblatt:

Der natürliche Impuls wäre doch: Ich drehe mich weg.

Bitter:

Die Verletzungsgefahr ist viel größer, wenn ich nicht aktiv auf den Ball gehe. Wenn ich versuche, mich wegzudrehen, bekomme ich den Ball aufs Ohr oder der Kopf steht schief. So habe ich die meiste Stabilität. Man denkt vielleicht, dass Bälle auf die Nase das Schlimmste sind, aber für mich sind die schlimmsten Bälle die, die von unten kommen. Alles andere ist okay.



Abendblatt:

Kann man diese Angst wegtrainieren?



Bitter:

Man muss sich jeden Tag zwingen. Es gibt jeden Tag Situationen, in denen du den Ball voll auf die Nuss bekommst und du dich zwingen musst: Hey, lass die Augen auf!



Pelletier:

Wenn ich den Puck auf den Helm bekomme, dann höre ich immer dieses Dauerpiepen im Ohr: Iiiiiiiiiiiiiiih. Genau so hört es sich an. Ich weiß nicht, ob ihr so etwas schon mal erlebt habt.



Rost:

Wie schnell ist so ein Puck?



Pelletier:

Ungefähr 90 bis 100 km/h. Ich hätte mehr Angst, würde ich an eurer Stelle ohne jeden Schutz im Tor stehen. Wirklich. Es schmerzt ja nur ein wenig, wenn ich den Puck abbekomme.



Abendblatt:

Wie denkt man nicht an das Risiko?

Rost:

Ich bin ja ein anderer Typ Torwart und kein Kahn, der wie ein Verrückter rausrennt, weil mir die Gefahr zu groß ist, eine Rote Karte zu kassieren. Aber klar lauern Gefahren. Ein Check mit dem Knie ins Gesicht ist das Bitterste, was dir passieren kann. Aber in dem Moment denkst du nicht darüber nach.



Abendblatt:

Wäre nicht ein Kopfschutz sinnvoll?

Rost:

Du kannst ja nicht eine Maske aufsetzen. Torhüter und Linksaußen haben doch sowieso einen Schuss. Von daher kann nicht mehr viel passieren (lacht).



Hain:

So ein Helm wie bei Peter Cech schützt nicht, wenn ein Spieler wegrutscht und dein Gesicht trifft. Ich habe das ja selbst auch erlebt, als ich im vergangenen Dezember mit dem Klose zusammengerasselt bin, da stand ich im Prinzip fünf Minuten neben mir. Ich war bewusstlos, bin dann wieder wachgeworden. Eigentlich hätten sie mich rausnehmen müssen, aber ich habe gesagt: Ich kann weiterspielen. Bloß weiß ich davon nichts mehr. Ich habe noch fünf Minuten gespielt, aber ich kann mich an die Zeit nicht erinnern. Ich wusste kein Ergebnis mehr. Nichts. Das letzte, woran ich mich erinnern konnte, war das Mittagessen. Ich hatte einen Brustbeinbruch, die erste Rippe war kaputt und ich hatte Gehirnbluten.



Abendblatt:

Und das blenden Sie jetzt aus?

Hain:

Ja. Die Verletzung ist ausgeheilt, ich merke nichts mehr. Sonst verlierst du an Qualität.



Rost:

Das Risiko gehst du ein, wenn du Profisportler bist, sonst kannst du aufhören.



Abendblatt:

Und Ihre Frau war auch damit einverstanden, dass Sie weitergespielt haben?

Hain:

Was soll sie denn machen.



Bitter:

Mehr als ausziehen kann sie ja nicht.



Rost:

Sportler denken doch immer: Mir passiert das nicht.



Hain:

Ich weiß nicht, wie das bei euch ist. Aber meine Frau weiß ganz genau: Wenn sie mir das verbieten würde, das ist wie....



Rost:

...dann wäre sie nicht mehr deine Frau.



Hain:

Das wäre ein ganz klarer Trennungsgrund. Aber sie würde mir auch nie reinreden in meinen Fußball, meine Arbeit.



Abendblatt:

Im Handball wechseln die Torhüter sich ab. Braucht man im Fußball eine Nummer eins, vor allem bei den vielen Belastungen?

Rost:

Sie haben doch gesehen, was vor zwei Jahren beim HSV passiert ist, als sie sich laufend abgewechselt haben.



Hain:

Ich wäre auch nicht der Typ, mich auf die Bank zu setzen.



Abendblatt:

Wie hoch ist Ihre Quote bei gehaltenen Penaltys?

Pelletier:

Wohl 75, 80 Prozent. Ich bin nicht besonders gut, die Besten haben 90 Prozent.



Abendblatt:

Bereiten Sie sich auf Penaltys vor?

Pelletier:

Man kennt schon Tendenzen. Aber das Problem ist, wenn du glaubst zu wissen, wie er handelt, wählt der Schütze die total andere Variante. Ich habe mich darüber auch mit Torwarttrainern im Fußball unterhalten. Es bleibt in gewisser Weise Wahrnehmung und Vermutung, ein Gefühl. Im Hockey musst du geduldiger sein, wenn der Spieler zu dir kommt. Witzig finde ich es beim Handball, wo die Spieler zehn Sekunden den Torhüter versuchen, ihn zu einer Bewegung zu verleiten. Im Hockey ist es nicht das Gleiche.



Bitter:

Und wir versuchen, den Schützen von seinen Gedanken wegzubekommen, ihn vorher anzulachen, wegzuschauen, ihm den Ball möglichst hart zuzuwerfen. Ich versuche, immer was anderes zu machen.



Abendblatt:

Haben Sie eine Liste vom Trainer über Elfmeter?

Rost:

Es macht einen Unterschied, ob es ein Elfmeterschießen ist oder ein normales Spiel. Im Elfmeterschießen ist noch mehr Druck da. Meine Erfahrung ist, dass Spieler ihre Lieblingsecke bevorzugen, wenn sie unter Druck stehen. Dann kann das was bringen, sich das zu merken.



Hain:

Trainer Andre Trulsen sagt mir immer, wer die Schützen sind. Ich hatte schon eine Statistik mit den fünf Elfmetern eines Spielers, davon zwei unten rechts, zwei unten links und einer oben. Dann sage ich: Okay, alles klar, ich bin so schlau wie vorher. Elfmeterschießen ist anders, weil der Druck da ist. Ich habe das selbst im Pokalviertelfinale erlebt, unser Torwarttrainer hatte sich zu jedem Spieler alles aufgeschrieben und zu jedem Schützen die Hand gehoben, wo er normalerweise hinschießt. Ich habe zwei oder drei Elfmeter gehalten. Das ist schon eine Nummer.



Abendblatt:

Herr Rost, Sie haben doch auch eine gute Quote?

Rost:

Es geht. Im Training ist das relativ schwer, einen Elfmeter zu halten. Nur musst du dann mal den Einsatz erhöhen und sagen: Okay, wir setzen mal...einen bestimmten Geldbetrag. Da wird die Anzahl der Schützen schon drastisch geringer. Ralf Rangnick hat das mal gemacht und gefragt: Wer schießt denn bei euch Elfmeter? Alle haben sich gemeldet. Rangnick: "Okay, wer verschießt, 1500 in die Mannschaftskasse." Auf einmal standen noch zwei da. Die durften dann auch schießen.



Abendblatt:

Und, haben sie dann auch getroffen?

Rost:

Es ging darum zu sehen, wie sicher sich die Leute fühlen. Und im Spiel geht es ja auch nicht nur um Siege, sondern um viel Geld. Es gibt ja auch Prämien für die Mannschaft. Aber ich habe auch schon welche gesehen, die direkt gezahlt haben. Gab's auch schon.



Interview: Björn Jensen, Alexander Laux, Achim Leoni, Peter Wenig

Tickets zu gewinnen!

Unter www.abendblatt.de finden Sie ein Gewinnspiel zum Torhüter-Gipfel. Zu gewinnen sind Karten für Spiele der Klubs.