BOXEN Dariusz Michalczewski will über Richard Hall den Weg zu sich selbst finden.

Hamburg. Vier Kämpfe noch. Wenn Dariusz Michalczewski über die Laufzeit seines Vertrages spricht, dann klingt das so, als warte er nur darauf, dass diese vier Kämpfe endlich zu Ende sind. Angespannt wirkt der "Tiger" in diesen Tagen. Seine Hände suchen unablässlich nach etwas, woran sie sich festhalten können. Die Füße wippen auf der Stelle. Ständig klingelt das Handy, reißt den Box-Weltmeister des Hamburger Universum-Stalls aus dem Gedankenfluss. Wo waren wir gerade stehen geblieben? Ach ja, der Kampf gegen Richard Hall. Wenn Dariusz Michalczewski am 14. September seinen WM-Titel im Halbschwergewicht in Braunschweig gegen den Jamaikaner verteidigt, wird er an den vergangenen Dezember denken. An den mühsamen Sieg durch Abbruch in der elften Runde. Bereitet er sich vor dem zweiten Duell anders vor? "Nein, die Vorbereitung ist immer gleich. Ich habe auch immer den selben Respekt vor meinem Gegner." Dass sein 30 Jahre alter Konkurrent durch die Lehren aus dem ersten Kampf gefährlicher geworden ist, bezweifelt der 1,84 Meter große Michalczewski: "Hall ist ein guter Kämpfer. Er hat Nehmerqualitäten und gute Reflexe. Aber er ist in allem ein bisschen schlechter als ich." Sein Selbstbewusstsein hat er nicht verloren. Woher rührt dann die innere Unruhe, die nervliche Angespanntheit, die den Lebemann Michalczewski sonst selten befällt? "Ich bin nicht mehr der junge Dariusz, ich mache mir viel mehr Gedanken über die Zukunft", sagt er. Die Trennung von seiner Familie macht ihm zu schaffen. Ein halbes Jahr hat er seine Söhne Michael und Nicolas nicht gesehen, die Scheidung von Frau Dorota läuft. Es sei die richtige Entscheidung gewesen, sich von ihr zu trennen und mit Freundin Patrizia einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. "Ich bin rundum glücklich", versichert Michalczewski, sagt jedoch im selben Atemzug, die Kinder "jeden Tag, jede Stunde" zu vermissen. Dass seine Frau ihm die Jungs vorenthält und mit ihnen in die USA auswandern will, sei der falsche Weg. "Aber ich will mich da nicht hineinzwängen." Dariusz Michalczewski ist auf dem Weg, seine Identität neu zu entwickeln. Bei seiner letzten Titelverteidigung, die er im April gegen den US-Amerikaner Joey DeGrandis erstmals in seiner Heimat Danzig bestritt, ließ er vor dem Kampf die polnische Nationalhymne spielen. Ob dies zur Regel wird, will er morgen im ZDF-Sportstudio bekannt geben. Seinen Lebensmittelpunkt hat er bereits nach Polen verlegt. "Die Menschen dort brauchen mich mehr als die Deutschen. Polen hat Helden nötig." Er sei ein Vorbild und wolle diese Rolle annehmen. "Aber ich werde nie vergessen, welche Rolle Deutschland für mich gespielt hat und weiter spielt." Im Ring wird der Inhaber beider Pässe die Flaggen Deutschlands und Polens zeigen lassen. Auch ein Zeichen für die Zerissenheit, die Dariusz Michalczewski derzeit zu bekämpfen sucht. Die Träume von einem Kampf gegen WBC/WBA/IBF-Champion Roy Jones hat Michalczewski zwar noch nicht ausgeträumt, er sieht die Lage aber mittlerweile realistisch. "Da wird schon so lange geredet. Ich weiß heute, wie schwer solche Kämpfe zu realisieren sind." Ärger mit seinem Promoter Klaus-Peter Kohl wird er deshalb - anders als früher - nicht mehr vom Zaun brechen. "Ich war nicht immer zufrieden, aber ich glaube, er tut alles, was möglich ist." Das gelte auch für den heftig diskutierten Kampf gegen Sven Ottke. "Wir werden für ihn die Regeln nicht ändern, gewogen wird am Abend vor dem Kampf. Ich glaube, Ottke will den Kampf gar nicht. Das ist alles nur Verarschung." Michalczewski möchte nach seiner Karriere seine Beziehungen nutzen, um seiner Heimat Polen nützlich zu sein. "Ich möchte viele große Sportereignisse nach Polen holen, zum Beispiel die Formel 1." Er will die Menschen zur Selbsthilfe anleiten. Allerdings nie als Politiker: "Die wollten mich schon zum Präsidenten machen. Aber ich lasse mich nicht auf eine Partei festlegen." Dies gilt nicht für den Bundestags-Wahlkampf. "Ich kenne Gerhard Schröder, halte ihn für den Mann mit den besseren Argumenten." Seinen Rat vor den TV-Duellen mit Edmund Stoiber habe der Kanzler jedoch nicht gesucht - dabei kennt sich der "Tiger" mit Duellen aus. Vielleicht wird Schröder sich noch besinnen. Am späten Abend des 14. September wird er wissen, ob von Dariusz Michalczewski lernen auch weiterhin siegen lernen heißt.