Therapie: Nach Einer Herz-OP entdeckte der Hamburger Jörg von Hübbenet den Radsport - und fühlt sich nun besser denn je. Ende Juli startet der Wandsbeker Arzt zum zweiten Mal bei den Cyclassics. Und er nimmt eine Gruppe von 20 Diabetes-Patienten mit - um zu beweisen, welch positive Wirkung der Radsport selbst auf Kranke haben kann.

Hamburg. Es war im Januar in Südafrika. Jörg von Hübbenet stand am Bainskloof-Paß in der Kap-Region neben seinem Fahrrad und schaute weit ins Land. Er atmete tief durch und horchte in sich hinein. Zwar war der Puls noch etwas beschleunigt, doch das Herz schlug gleichmäßig und ohne Schmerzen. Das verschaffte dem 57jährigen Hamburger ein gutes, ein stolzes, ein geradezu überwältigendes Gefühl. Denn daß er dort oben stand, war keineswegs selbstverständlich. Auch wenn, wie er selbst zugibt, der Bainskloof-Paß für halbwegs trainierte Radler keineswegs eine besondere Herausforderung bedeutet.

Für ihn schon. Denn acht Jahre zuvor war er dem Tode näher gewesen als dem Leben.

Im Spätherbst 1998 rennt Hübbenet auf dem Weg nach Hause am Hauptbahnhof einem abfahrenden Zug hinterher. Er erreicht ihn nicht. Plötzlich bleibt ihm buchstäblich die Luft weg und er fühlt einen bleiernen Druck auf der Brust. Als Facharzt für Allgemeinmedizin weiß er die Zeichen richtig zu deuten. "Es waren die typischen Symptome einer heraufziehenden Angina pectoris, eines Herzinfarkts", erzählt Hübbenet.

Die Herzkatheter-Untersuchung bei einem Spezialisten läßt die unheilvolle Vorahnung zur Gewißheit werden: Zwei Arterien sind verstopft, die notwendige Operation duldet keinen Aufschub. Hübbenet beschleicht Todesangst. Dabei ist er doch erst 49 Jahre alt und fühlt sich viel zu jung für so einen gravierenden Eingriff. "Solch eine Operation, an mir - das hätte ich nie für möglich gehalten."

Mit der Angst kommen auch quälende Fragen. Warum gerade ich? Was ist falsch gelaufen in meinem Leben? Er, der immer 1000 Ideen nachgejagt war, 16 bis 18 Stunden täglich unter Volldampf stand, erfolgreich und ganz vorn dabei, war plötzlich ein Wrack. Nun beschleicht ihn die Erkenntnis, "daß ich zu viele rote Knöpfe bedient habe, wo ich doch viel lieber grüne drücken wollte".

Drei Tage nach der Katheter-Untersuchung werden ihm im AK St. Georg zwei Bypässe gelegt. "Mein Brustkorb wurde aufgesägt, ich habe Unmengen Blut verloren", erzählt Hübbenet. Wie ein zerlegtes Schwein habe er sich gefühlt.

Eine große innere Unruhe und bohrende Ungewißheit machen sich in ihm breit. Was kannst du noch leisten? Was darfst du dir jetzt noch zumuten? "Ich dachte, jetzt bist du nur noch ein Krüppel."

Sieben Jahre später, auf der Tour über den Bainskloof, kann Hübbenet darüber nur lachen. Bis zu 400 Watt tritt der Hobbyradler heute. Für einen mit seiner Vorgeschichte eine respektable Leistung. Er fährt zwei- bis dreimal pro Woche mit dem Rad von Winsen an der Luhe, wo er wohnt, in seine Wandsbeker Praxis. 30 Kilometer hin, 30 Kilometer zurück. Mit den Trainingstouren kommen auf diese Weise in guten Wochen bis zu 300 Kilometer zusammen.

"Ich fühle mich nach dem Radfahren fünf bis zehn Jahre jünger", sagt Hübbenet. Die erlebnisorientierte Bewegung in freier Natur helfe Stress und Aggressionen abzubauen. Oder, wie der Arzt es nennt, "die chaotische Mannigfaltigkeit in sich zu sortieren".

Bewegung, das ist Hübbenets Therapie. Bereits im Krankenhaus hat er sich entschlossen, künftig mehr für seine Fitness zu tun. Kaum aus der Klinik entlassen, investiert er das Krankenhaustagegeld seiner privaten Krankenversicherung in ein neues Fahrrad. "Ganz bewußt, ich wollte für mich selbst ein Zeichen setzen."

Fünf Wochen später unternimmt er auf seiner nagelneuen und wegen eines Karbonrahmens sündhaft teuren Look-Rennmaschine mit seinen Kindern Margret (24) und Paul (25) die erste Tour. Oft spannen sie sich vor ihn, lassen ihn aber auch leicht vorbeiziehen. "Sie haben sich rührend um mich gekümmert, mir Mut gemacht, mich angespornt", erinnert sich Hübbenet noch immer voller Dankbarkeit. Daß acht Wochen nach der ersten Operation auf Grund erhöhter Pulswerte ein zweiter Eingriff nötig wird, erträgt er schon mit deutlich größerer Gelassenheit.

Von da an trainiert der Mediziner regelmäßig. In Hamburg, Niedersachsen, Afrika. 2003 nimmt Hübbenet erstmals an der "Tour der Hoffnung" in Südafrika teil, bei der Akademiker für eine Stiftung für krebskranke Kinder radeln. Ein Jahr später organisiert er mit Hilfe des ehemaligen Radstars Uwe Messerschmidt am Kap selbst ein 14tägiges Trainingslager, schafft dem Prinzip Hoffnung eine ganz eigene Bühne.

Inzwischen teilt er seine eigenen positiven (Rad-)Erfahrungen mit seinen Patienten. 2005 bereitet der Diabetologe zehn seiner zuckerkranken Patienten erfolgreich auf die Cyclassics vor. "Studien beweisen, daß Diabetis-gefährdete Menschen den Ausbruch der Zuckerkrankheit sogar verhindern können, wenn sie ihren Lebensstil ändern", weiß Hübbenet. Zudem sei Radfahren ideal zur Fettverbrennung und beanspruche viele Muskelgruppen, ohne die Gelenke zu belasten. Und es motiviere zu einer Ernährungsumstellung ohne erhobenen Zeigefinger.

Trotz anfänglicher Vorbehalte und Ängste seiner Diabetis-Patienten erreichen alle zehn das Ziel auf der Mönckebergstraße. Nur Hübbenet nicht. Am Fuß der Köhlbrandbrücke hilft er, einen kollabierten Hobbyfahrer zu reanimieren. "Als ich dann selbst wieder aufsteigen wollte, war schon der Besenwagen da."

Ein Grund mehr, warum sich Jörg von Hübbenet am 30. Juli dieses Jahres um so motivierter erneut unter die 20 000 Jedermänner bei den 11. Vattenfall-Cyclassics mischen will. Diesmal sollen ihn sogar 20 Diabetis-Patienten begleiten, die sich im Internet unter www.bikeandwin.de noch bei Hübbenet anmelden können.

Dabei ist das Hamburger Rennen gewissermaßen nur eine Etappe auf dem Weg zur nächsten großen Herausforderung. Mitte September will er mit seinem Diabetiker-Team sogar das 24-Stunden-Rennen "Rad am Ring" auf der Nordschleife des legendären Nürburgrings in Angriff nehmen. Ein um so anspruchsvolleres Unterfangen, weil auf der Rennstrecke in der Eifel pro Runde auf sechs Kilometern 500 Höhenmeter zu überwinden sind.

"Mir geht es nicht darum, der Beste zu sein, sondern darum, anzukommen", sagt Jörg von Hübbenet. Er habe die Krankheit als Weg zu sich selbst begriffen. Das Radfahren sei heute für ihn ein Indikator fürs Wohlbefinden, eine echte Herzensangelegenheit. "Ich fühle mich anschließend einfach frischer und fröhlicher, kann konzentrierter an die Arbeit gehen."

Diese positiven Effekte will er auch seinen Patienten vermitteln. "Viele wissen gar nicht, wie leistungsfähig sie tatsächlich sind", sagt Hübbenet. Insofern vermittle ihnen die persönliche Erfahrung bei einem großen Radrennen auch Selbstbewußtsein, das sie mit in ihren Alltag nehmen.

Von den eigenen Depressionen und Ängsten nach der Herzoperation ist nicht viel geblieben. "Ich weiß, was ich kann, den Rest sagt mir mein Pulsmesser", erklärt er. Auf dem Rad zurück ins Leben - das funktioniert. Jörg von Hübbenet hat es bewiesen.