Mark Warnecke: In Montreal zog der deutsche “Senior“ sogar 20jährigen davon. Daß er damit der älteste Schwimm-Weltmeister aller Zeiten wurde, ist nur eine von vielen Besonderheiten an diesem Mann . . .

Montreal. Mark Warnecke ist ein Mensch, der Wetten liebt. Vor ein paar Tagen schlenderte der Brustschwimmer in Montreal mit einem Kamerateam am Ufer des St.-Lorenz-Stroms entlang und hatte schon die nächste verrückte Idee. "Wenn ich Weltmeister werde", sagte Warnecke zu den Fernsehleuten, "dann schwimme ich durch den Fluß."

Das ist eine Geschichte, die viel darüber erzählt, wie der 35jährige die Dinge sieht. Nichts ist unmöglich. Und selbst auf die ausgefallensten Einfälle lohnt sich ein kleiner Wetteinsatz. Daß der St.-Lorenz-Strom an dieser Stelle ein paar hundert Meter breit ist, das Wasser kalt und die Stromschnellen nicht ungefährlich sind? Darüber hat sich Warnecke erst mal wenig Gedanken gemacht. Zuerst mußte er ja Weltmeister werden.

Am Mittwoch abend dann, in Deutschland war die Nacht zum Donnerstag angebrochen, saß Mark Warnecke in Montreal zwischen Mark Gangloff (23) und Kosuke Kitajima (22) und hatte schon wieder Spaß. Mit kabarettistischem Talent unterhielt er die internationalen Medien, es wurde viel gelacht, selbst die beiden Schwimmer neben ihm und die Dolmetscher konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen. Warnecke hatte die nicht ganz einfache Aufgabe zu erklären, was eine halbe Stunde zuvor im Freiluftbecken von Montreal geschehen war: Als "Dr. Mark Warnecke" auf der Startliste aufgeführt, hatte er die Jungs über 50 Meter in 27,63 Sekunden mal eben abgehängt, Gangloff (USA) um acht, Kitajima um 15 Hundertstel. Und das war kein Warnecke-Witz.

Was das Geheimnis seiner Schnelligkeit ist? "Das wollen jetzt natürlich alle wissen", antwortete Warnecke. Wie man es schafft, 20 Kilo abzunehmen? "Für die Auskunft ziehen Sie erst mal Ihre Karte durch und drücken zehn Euro ab", gab der Mediziner zurück und spielte auf die deutsche Praxisgebühr an. Im Englischen beließ er es auf Nachfrage ("Was ist Praxisgebühr?") bei der Erklärung: "Meinen guten Rat gibt es eben nicht ganz umsonst." Wie lange er noch weiter schwimmen möchte? "Das werde ich schon seit 15 Jahren gefragt", sagte er schelmisch lächelnd, "vielleicht noch 20 Jahre?" Und was sei mit den nächsten Olympischen Spielen 2008 in China? "Das war heute die erste harte Trainingseinheit für Peking!"

Eine unterhaltsamere Pressekonferenz hatte es noch nicht gegeben bei dieser Schwimm-WM. Und Warneckes Trainer Horst Melzer half das befreiende Lachen ein wenig dabei, seine Rührung zu verbergen. "Man darf ihn nicht immer so ernst nehmen", sagte er.

Aber im Ernst: Mark Warnecke ist der älteste Weltmeister in der Geschichte des organisierten Schwimmsports. An der ersten WM-Medaille seiner Karriere hat der Unfallchirurg aus Bochum lange herumgedoktert. Seit 1988 war er bei fast allen internationalen Großereignissen dabei, hat bis 2000 an vier Olympischen Spielen teilgenommen und 1996 in Atlanta Bronze über 100 Meter Brust geholt. Daß er ausgerechnet im Jahr nach der verpaßten fünften Olympia-Teilnahme zum ersten WM-Titel durchstarten würde, das hatten ihm nur ganz wenige zugetraut - obwohl er mit seinem deutschen Rekord von den Meisterschaften in Berlin (27,44 Sekunden) als Weltjahresbester nach Montreal geflogen war. "Im Training war ich in diesem Jahr vermutlich sogar schon mal schneller", sagte Warnecke, "aber man muß seine Form auch im Wettkampf durchsetzen."

Womit der Brustschwimmer in Montreal so seine Probleme hatte. "Im Halbfinale habe ich nur am Wasser vorbeigerissen", sagte er. Zuviel Kraft, zuwenig Gefühl, "wie ein Formel-1-Rennwagen, dem beim Start die Reifen durchdrehen". Im Finale versuchte es Warnecke auf die sanfte Tour und zog langsamer. "Bei 20 Metern habe ich gesehen, daß ich schneller bin als der amerikanische Kollege neben mir, und gedacht: So schwimme ich weiter." Es war die richtige Taktik, selbst wenn die Endzeit gemessen an seinem Rekord mäßig war. Allerdings war es in Montreal an diesem Tag auch auf knapp 20 Grad Celsius abgekühlt, was Muskelmännern wie Warnecke besonders wehtut. "Wir haben alles richtig gemacht", sagte Trainer Melzer. Hinterher gab er zu, daß Warneckes drei Rennen auch für ihn anstrengend waren, "aber ich kann meinem Athleten als Trainer doch nicht zeigen, daß ich nervös bin".

Daß Warneckes "körperliche Verfassung besser ist als bei der Bronzemedaille in Atlanta" (Melzer), ist neben dem WM-Titel die eigentliche Schwimmsensation der Saison. Der Essener, der so gern ißt, hatte um Weihnachten herum 115 Kilo wiegend entschieden, daß es so nicht weitergehen kann. Mit Fasten und einem Diätpulver, das er mit einem befreundeten Lebensmittelchemiker selbst zusammengestellt hat, schaffte er es, unter hundert Kilo zu kommen. Derzeit sind es rund 94. Gleichzeitig stellten er und Trainer Melzer das Training um. Kraft- und Hanteltraining wurden ausgedehnt, geschwommen nur noch wenig. "Nur zwei Stunden am Tag, jeweils höchstens vier Kilometer", erklärte Warnecke, "da gibt es in meinem Klub einige Senioren, die mehr trainieren." Das Training reicht für die nichtolympische 50-Meter-Strecke, "bei 100 Metern fühlt man dann schon das Alter".

Das Alter. Daß Mark Warnecke mit 35 Jahren zum ersten Mal Weltmeister auf der langen 50-Meter-Bahn wurde, paßt richtig gut in seinen wechselhaften Lebenslauf, denn er war schon immer ein bißchen anders als andere. Mal vertrauenswürdiger Arzt, mal (erfolgloser) Rennfahrer im Porsche-Carrera-Cup, mal liebenswürdiger Chaot, mal ausgeflippter Technik- und Computerfreak - und fast immer verrückter Brustschwimmer. Ganz ernst hat er sich dabei vermutlich selbst nicht genommen. Das war auch gut so. Wie hätte er sonst solche Tiefschläge wie 2004 die verpaßte Athen-Fahrkarte verdauen können, nachdem sein Sponsor zuvor eine Million Euro auf seinen Olympiasieg ausgesetzt hatte? Man hat ihn belächelt dafür, lächerlich gemacht hat er sich nie.

Bleibt nur noch die Frage zu klären, ob Mark Warnecke noch in diesen Tagen in Montreal seine Wette einlöst und wirklich durch den mächtigen St.-Lorenz-Strom schwimmt. "Ich werde ihm davon abraten", sagte Horst Melzer mit ernster Miene. Dann stehen die Chancen bestens: Denn Mark Warnecke hat sich noch nie an gute Ratschläge gehalten, wenn er sich ernsthaft etwas in den Kopf gesetzt hatte. Titelvorschlag für dieses Kapitel in seiner bewegten Biographie: Der alte Mann und der Fluß.