PORTRÄT Wie der Stürmer zum neuen Hoffnungsträger wurde. Porto/Rom

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Mit Verboten stand Antonio Cassano schon immer auf Kriegsfuß. Als dem Kicker, der gestern die Italiener gegen Bulgarien ins EM-Viertelfinale schießen wollte (Spiel war bei Redaktionsschluss noch nicht beendet), in der Altstadt seiner Heimatstadt Bari einst das Mopedfahren verboten wurde, weil sich zu viele Teenager auf Handtaschendiebstähle spezialisiert hatten, scherte sich der damals 15-Jährige nicht darum. Er fuhr einfach weiterhin quer durch die Altstadt, wo er gemeinsam mit seiner Mutter Giovanna lebte, zum Training des italienischen Serie-A-Clubs AS Bari.

In Bari an der Adriaküste geht auch der Stern des heutigen Nationalspielers auf. Als Cassano am 16. Dezember 1999 im Stadio San Niccolo, der Heimat des AS Bari, in der 88. Minute gegen Inter Mailand eingewechselt wird, kennen ihn die italienischen Tifosi nur aus Erzählungen. Er sei talentiert, heißblütig und unberechenbar, heißt es. Der 17-jährige Blondschopf mit einem von Akne gezeichneten Gesicht stellt das sogleich unter Beweis. Beim Stande von 1:1 stoppt Cassano einen Flugball mit der Hacke, legt ihn sich per Kopf vor, um die Kugel nach einem dynamischen Solo vorbei an Welt- und Europameister Laurent Blanc per Rechtsschuss zum Siegtreffer ins Inter-Netz zu bugsieren.

Cassano steht im Rampenlicht. In Bari, wo wie in ganz Italien seit mehr als einem Jahrzehnt von den Kabinettstückchen des großen SSC-Neapel-Stars Diego Armando Maradona geschwärmt wird, hofft man auf einen italienischen Nachfolger dieser Qualität. Als Cassano zwei Jahre später für 25 Millionen Euro Ablöse zum Meister AS Rom wechselt, erhalten diese Hoffnungen weitere Nahrung.

Doch Cassano stößt an erste Grenzen. Der uneheliche Spross einer Eisverkäuferin und Schulhausmeisterin, der in der Nacht nach dem WM-Endspiel 1982 zwischen Italien und Deutschland geboren wurde und der eigentlich nach dem Torschützen Rossi, also Paolo, benannt werden sollte, trifft in Rom auf eine Vielzahl etablierter Offensivspieler.

Batistuta, Delvecchio, Montella und Totti sind in der Club-Rangliste eindeutig vor ihm positioniert und zeigen dem aufstrebenden Heißsporn anfangs unmissverständlich, dass sie ihre Stammplätze nicht freiwillig räumen werden. Doch wie gesagt: Der in einfachen Verhältnissen aufgewachsene Cassano hat so seine Probleme mit Vorschriften und Regeln. Und das gilt auch für ungeschriebene wie Team-Hierarchien. Immer wieder legt er sich mit älteren Spielern an. Ganz so drastisch wie bei Cassanos erstem Club "Pro Inter", wo der Stürmer wegen einer Beleidigung gegenüber einem älteren Teamkollegen eine Massenschlägerei auslöste, endet der Kampf um einen Stammplatz allerdings nicht.

Im Gegenteil: Nach der Ära Batistuta reift der Offensiv-Allrounder, von dem sein Entdecker Eugenio Fascetti sagt, er habe Charakter, Persönlichkeit und sei "ein bisschen link", zur echten Stammkraft heran. Er versteht sich blendend mit Totti, hat nach anfänglichen Disputen mit Trainer Fabio Capello und drastischen Geldstrafen (insgesamt schon mehr als 100 000 Euro) sogar im Disziplinarbereich gelernt.

Jetzt, nach der Saison 2003/04, die Rom als Vizemeister abschloss, gilt der 21-Jährige als feste Größe. 14-mal traf er bei seinen 33 Einsätzen ins Tor, nur Totti durfte mit 20 AS-Treffern häufiger jubeln.

Fascetti sagt über den Shootingstar aus Bari: "Wenn bei ihm etwas schiefgeht, probiert er es fünf Minuten später noch einmal, um zu sehen, ob es nicht vielleicht doch klappt." Dieser Kommentar ist nicht nur treffend, er beschreibt zudem einen der Hauptvorzüge des Römer Angreifers mit der Rückennummer 18. Cassano gibt nie auf, er entwickelt sich stetig und strotzt vor Selbstbewusstsein. "Zurzeit gibt es keinen besseren Spieler für die linke Angriffsseite als ihn", sagt Roms Kapitän Totti.

Für Trapattoni war schon früh während der vergangenen Saison klar, dass er auf den eigenwilligen Trotzkopf aus Rom nicht verzichten würde. Typisch für Cassano, dass er bereits im Frühjahr die Initiative ergriff, um Italiens U-21-Nationaltrainer Claudio Gentile für die EM in Deutschland abzusagen: "Ich gehöre zur A-Mannschaft."

In der Squadra Azzurra, da sind sich die italienischen Experten einig, gehört Cassano die Zukunft. Seine Kaltschnäuzigkeit, sein widerspenstiges Wesen und seine Tätowierungen haben den Stürmer zudem zum Frauenschwarm werden lassen.

Cassano stört sich daran nicht. Er will hoch hinaus. Wenn der rebellische Typ während der Saison mit seinem Ferrari nach Hause ins exklusive Villenviertel vor die Tore Roms fährt, wo er gemeinsam mit seiner Mutter und zwei Neffen lebt, dann ist Fußball Thema Nummer eins. Dass er zwischenzeitlich auch mal beim Rasen ohne Führerschein erwischt wurde, wird nicht angesprochen. Schließlich weiß auch Mama Giovanna, dass ihr Sohn mit Regeln eher auf dem Kriegsfuß steht.