ABSAGE Warum der WM-Verzicht des Bayern-Spielers nur die konsequente Fortsetzung seiner bisherigen Karriere ist.

München Mehmet Scholl (31) erschien in der gestrigen Pressekonferenz des FC Bayern München so, wie man ihn kennt: Unter einem grauorangenen Pulli trug er ein weißes T-Shirt, das salopp über seine Blue Jeans hing. Der demonstrativ lässige Auftritt war jedoch das genaue Gegenteil seines Gemütszustandes. Nach seiner Absage für die Fußball-Weltmeisterschaft in Japan und Korea und seinem definitiven Abschied aus der Nationalelf wirkte der 36-malige Nationalspieler erschöpft, mitgenommen und traurig. "Ich habe die letzten Tage sehr schlecht geschlafen", erklärte Scholl. Seine Überlegungen, der Nationalelf noch vor der WM Adieu zu sagen, seien "die ganze Zeit eine große Belastung" für ihn gewesen, "körperlich und seelisch". Der Kreativspieler, von dem sich Rudi Völler wichtige Impulse für das Offensivspiel erhofft hatte, begründete noch einmal seinen Entschluss: "Es gibt nur ganz oder gar nicht. Entweder ich kann der Mannschaft helfen oder nicht." Nur einen Freistoß zu schießen, das sei keine Hilfe. "Deshalb gibt es kein Zurück mehr." Es gehe für ihn darum, nach einem völlig verkorksten Jahr den seit zwölf Monaten anhaltenden Kreislauf immer wieder ineinandergreifender Verletzungen zu durchbrechen. "Dafür erhoffe ich mir Verständnis." Das sei ihm in ersten Reaktionen auch entgegengebracht worden. "Es gab aber auch viele Leute, die mich nicht verstehen konnten. Einige sagten, an meiner Stelle würden sie ihr Ticket nach Japan sogar selbst bezahlen, wenn sie nur dabei sein könnten." Giovane Elber, Bayerns Brasilianer, habe ihm sogar entgegnet, er würde für die WM "zu Fuß nach Japan gehen". Hat Scholl die Flinte voreilig ins Korn geworfen? Immerhin passt der eigenmächtig erklärte Verzicht und damit womöglich die Krönung seines Fußballerlebens haargenau in den Karriereverlauf eines Mannes, der schon 1994 und 1998, ebenfalls verletzt, die WM-Endrunden fahren lassen musste. Hat es Mehmet Scholl versäumt, sein Glück hinreichend und bedacht zu zwingen? Tatsächlich verdeutlicht ein Blick auf Scholls Persönlichkeitsprofil, dass der Profi vom FC Bayern oftmals halbherzig und nie wirklich konsequent seine Ziele verfolgte. Mehmet Scholl trachtete immer danach, der Masse des kickenden Mitläufertums mit seiner gebetsmühlenartigen Verlautbarungsmaschinerie zu entkommen. Und doch vermochte er sich nie entscheidend abzuheben. Dafür sind die Genüsse, die der goldene Käfig den Fußballprofis verheißt, wohl auch zu verlockend. Zu den Vorzügen der Branche zählt etwa, dass sich Scholl von einer CD, die er in Kürze auf den Markt bringen wird, Aufmerksamkeit versprechen darf. Über die persönlichen musikalischen Vorlieben des Bayern-Stars hinaus stellt sich vor allem die Frage, welches Image er mit dieser Aktion zu transportieren gedenkt. Wieder einmal das des so genannten etwas anderen Profis? Denn daran war dem filigranen Technikus schon zu Beginn seiner Dienstzeit beim FC Bayern München vor zehn Jahren gelegen. Vom Karlsruher SC gekommen, schlüpfte er zunächst in die Rolle eines Pop-und Film-Idols. Gut zwei Jahre genoss er diesen Abstecher, gefiel sich und kreischenden Backfischen als Verschnitt der Film-Ikone Brad Pitt. Zu seinen Aktivitäten jenseits vom Spielfeld zählte auch ein Auftritt, mit dem er den Kollegen Jens Jeremies nachhaltig verstörte. Scholl hatte sich in einer flippigen Modenshow etwas selbstverliebt als Model geräkelt. Jeremies kopfschüttelnd: "Solche Fummel würde ich mir nur anziehen, wenn der Erlös bedürftigen Kindern zugute käme." Waren die Ausflüge ins Pop- und Dressman-Business alsbald beendet, so brachte Scholl 1994 die Partei der "Grünen" auf die Palme. Und zwar mit dem flapsigen, im Bayern-Jahrbuch abgedruckten Spruch: "Hängt die Grünen, solange es noch Bäume gibt." Wobei der Bayern-Star sich ganz offensichtlich in der Rolle des von ihm haltlos verehrten Talkmasters Harald Schmidt versucht hatte. Nach heftiger Kritik mied es Scholl tunlichst, politisch Stellung zu beziehen und ließ mithin die Chance fahren, sich zu positionieren und ein Profil zu geben. "Sorry, das war nicht böse gemeint", das war alles an Reaktion. Ein klassischer Fall von Rückzieher. Ganz ähnlich, als er zu seinem neuen Buddha-Tattoo am Oberarm Stellung bezog. "Ich bin kein Buddhist, aber ich finde einiges am Buddhismus gut", erklärte er zu seiner neuen Tätowierung. Von vielem ein bisschen, von keinem das Ganze; irgendwo immer wieder stehen bleiben auf halber Strecke, war nicht das, allzu oft, Mehmet Scholl? Der auch auf dem Rasen zum Leid der Bayern-Bosse immer wieder der Verantwortung davonlief? "Verantwortung können Stefan Effenberg und Oliver Kahn besser übernehmen, das ist nicht mein Ding", sagte dazu nur Mehmet Scholl, der Mensch der kleinen Fluchten. Nach seiner Absage der Fußball-Weltmeisterschaft ist mehr denn je zu bezweifeln, ob der traurige, müde Mehmet Scholl seine Persönlichkeit schon gefunden hat.