Im Abendblatt spricht der 24-Jährige über seine Ziele, Hardliner Joachim Löw, Reifeprozesse und Fahrradfahren im Englischen Garten. Bilder von Bastian Schweinsteiger.

Abendblatt:

Herr Schweinsteiger, Sie sind erst 24 Jahre alt, werden aber gegen Liechtenstein Ihr 64. Länderspiel bestreiten. Sieht so aus, als würden Sie Rekordnationalspieler Lothar Matthäus (150 Spiele) früher oder später überholen. Was bedeutet Ihnen diese Perspektive?

Schweinsteiger:

Nicht viel. Wichtiger ist, meine Leistung in jedem Spiel abzurufen. Dadurch kommen die Spiele zusammen.



Abendblatt:

Aber Herr Schweinsteiger, fast jeder Fußballer würde gern mal in einer Reihe mit Leuten wie Beckenbauer oder Matthäus stehen...

Schweinsteiger:

Von den Erfolgen her natürlich schon, nur auf die Zahl der Länderspiele bin ich nicht gezielt aus. Für mich ist es viel wichtiger, Titel zu bekommen, Europameister zu werden oder Weltmeister. Lieber weniger Spiele und dafür die Titel.



Abendblatt:

Bis zur WM 2010 ist es nur noch gut ein Jahr hin. Klappt es dann mit dem Titel?

Schweinsteiger:

Erstmal hoffe ich, dass wir uns qualifizieren. Dafür brauchen wir unbedingt sechs Punkte aus den zwei Spielen jetzt. Und wir müssen noch nach Russland, das wird nicht einfach. Aber die Perspektive stimmt. Wir haben einige junge Spieler, die nachkommen. Der Kader wird immer besser. Für den Trainer ist das ideal.



Abendblatt:

Sie arbeiten seit einigen Jahren mit Bundestrainer Joachim Löw zusammen. Wie beurteilen Sie seine Entwicklung?

Schweinsteiger:

Seitdem er da ist, hat sich viel getan. Wir spielen ganz anders als vor vier Jahren. Er hat eine sehr gute Philosophie von Fußball. Außerdem kommt er sehr sympathisch rüber. Die Art, wie er uns führt, kommt bei uns Spielern gut an.



Abendblatt:

Das sehen vielleicht nicht alle Nationalspieler so. Bei den Auseinandersetzungen mit Michael Ballack und Torsten Frings ist Löw hart geblieben. Von außen betrachtet wirkt es, als wäre Löw zuletzt strenger geworden. Erleben Sie das aus der Innensicht auch so?

Schweinsteiger:

Streng war er vorher schon. Das darf man nicht unterschätzen. Es war in den Fällen nur so, dass das öffentlich wurde.



Abendblatt:

Sie persönlich sind in der Hierarchie der Nationalelf ein paar Stufen nach oben gestiegen. Im August, gegen Belgien, durften Sie sogar eine Halbzeit lang die Kapitänsbinde tragen. Was hat Ihnen das bedeutet?

Schweinsteiger:

Natürlich schon viel. Aber ich weiß, dass wir einen Kapitän haben, das ist Michael Ballack. Das war eine Aushilfssache, die ich gern gemacht habe. Vielleicht komme ich irgendwann wieder zu der Ehre.



Abendblatt:

Sie sind ja offensichtlich einer der Kandidaten für die Zeit nach Ballack.

Schweinsteiger:

Dafür müssen die Leistungen stimmen, der Erfolg muss da sein, gesund muss man bleiben, dann könnte es passieren. Aber ich bin keiner, der etwas fordert. Wenn der Trainer und die Leute das möchten, mache ich das gern. Wenn es jemand anderes macht, unterstütze ich den gern.



Abendblatt:

Fühlen Sie sich reif für das Kapitänsamt?

Schweinsteiger:

Das zu beantworten, wäre verfänglich.



Abendblatt:

Es geht nur um die Frage, ob Sie sich das zutrauen.

Schweinsteiger:

Wenn irgendwann mal Kapitän Michael Ballack aufhört, dann ist noch Miroslav Klose da, oder Torsten Frings. Da sind noch einige vor mir.



Abendblatt:

Die sind aber alle ein gutes Stück älter als Sie. Das vergisst man manchmal, weil Sie schon so lang dabei sind. Fühlen Sie sich auch selbst manchmal älter als 24 Jahre?

Schweinsteiger

(schmunzelt): Gute Frage, beim FC Bayern bin ich jetzt der Dienstälteste: Willy Sagnol hat aufgehört, Ze Roberto war zwischendurch mal weg. Das ist schon ein komischer Aspekt. Aber ob ich mich dadurch älter fühle? Hmm, ich fühle mich schon noch jung. Ich habe noch meinen jugendlichen Leichtsinn, und darüber bin ich auch wirklich sehr froh.



Abendblatt:

In letzter Zeit hat man davon aber wenig gemerkt, vor allem im Vergleich zum Bastian Schweinsteiger früherer Tage: Da haben Sie mal einen nächtlichen Ausflug in den Pool auf dem Vereinsgelände gemacht, sich die Fingernägel lackiert und fast im Wochenrhythmus Ihre Frisuren gewechselt. Was kommt als nächstes?

Schweinsteiger:

Die extremen Sachen werden, glaube ich, nicht mehr passieren. Du lernst ja auch aus den Situationen. Aber es kann schon mal vorkommen, dass die Frisur ein bisschen heller wird.



Abendblatt:

Spüren Sie mit zunehmendem Alter einen stärkeren Zwang zur Anpassung, den Druck, ein seriöser Repräsentant des FC Bayern und der Nationalmannschaft zu sein?

Schweinsteiger:

Nein, es ist eher so, dass man selbst viel mehr merkt, worum es geht. Man denkt viel mehr über das Wesentliche nach.



Abendblatt:

Das Wesentliche sind also nicht mehr die Frisuren?

Schweinsteiger:

Ich würde es mal so beschreiben: Früher bin ich zum Training gekommen und dann gleich wieder nach Hause. Jetzt merke ich, dass ich viel mehr für meinen Körper machen muss, ihn besser pflegen, stretchen, auch mal ein zusätzliches Krafttraining machen muss. Ich habe 60 oder 70 Spiele in der Saison, mit Nationalmannschaft und allem drum und dran. Das ist viel mehr als früher, das belastet den Körper. Und wenn Du lange dabei sein willst, musst Du früh darauf achten, und das tue ich. Ich bin schon das siebte Jahr bei den Profis, und es sollen schon noch zehn dazu kommen.



Abendblatt:

Keine Spur von Job-Müdigkeit?

Schweinsteiger:

Nö, ich glaube, meine besten Jahre kommen noch, hoffe ich zumindest.



Abendblatt:

Sie sind seit Jahren als Werbefigur im öffentlichen Raum präsent. Man hat sich an Ihren Anblick gewöhnt. Wie geht es Ihnen, wenn Sie durch die Stadt fahren und sich selbst auf Plakaten sehen?

Schweinsteiger:

Das ist schon komisch. Irgendwie macht einen das verlegen. Ich muss da immer ein bisschen lachen und schaue nicht gern hin. Besonders extrem war es während der WM 2006, als diese riesigen Fotos an den Hauswänden hingen.



Abendblatt:

Der Fernsehkommentator Marcel Reif hat einmal erzählt, er finde es sehr unangenehm, seine Stimme zu hören. Was machen Sie, wenn Sie sich im Fernsehen sehen?

Schweinsteiger:

Es ist nicht so, dass ich durch die Programme schalte und mich selbst suche. Aber wenn ich mich dann zufällig sehe, schaue ich schon, wie es sich anhört.



Abendblatt:

Und, sind Sie dann mit sich zufrieden?

Schweinsteiger:

Na ja, manchmal denke ich mir schon, man hätte das eine oder andere anders sagen können.



Abendblatt:

Seit etwa einem Jahr ist auch der Privatmann Bastian Schweinsteiger mehr in der Öffentlichkeit präsent. Aus dem abgeschiedenen Villenvorort Grünwald, wo viele Ihrer Kollegen und auch Trainer Jürgen Klinsmann leben, sind Sie in eine Altbauwohnung mitten in Schwabing gezogen. Was sind für Sie die Vorteile?

Schweinsteiger:

Wo ich vorher gewohnt habe, war es mir einfach zu ruhig. Und es war eine halbe Stunde zu fahren, um in die Stadt zu kommen. Da musste man den ganzen Ablauf immer planen. Jetzt sind die Wege kürzer, meine Freunde wohnen auch in der Nähe. Man kann viel zu Fuß machen, oder mit dem Fahrrad.



Abendblatt:

Sie fahren mit dem Fahrrad durch die Stadt?

Schweinsteiger:

Ja, durch den Englischen Garten zum Beispiel. Die Leute schauen immer komisch, wenn sie mich sehen. Aber das macht Spaß.



Abendblatt:

Dabei wollten Sie sich doch eigentlich einen Motorroller für die kurzen Strecken zulegen?

Schweinsteiger:

Den habe ich noch nicht. Da bin ich noch ein bisschen im Clinch mit mir selbst. Aber ich verrate nicht warum.



Abendblatt:

Das klingt ja geheimnisvoll.

Schweinsteiger:

Na ja, okay. Ich weiß einfach noch nicht, ob ich es mache, weil es ein bisschen gefährlich ist. Außerdem bin ich auf dem Fahrrad ja gut unterwegs.



Abendblatt:

Ihr Trainer Jürgen Klinsmann erzählt, dass er sich immer tarnt, wenn er mal in der Stadt unterwegs ist. Ist solche Scheu Ihnen völlig fremd?

Schweinsteiger:

Ich trage ja sowieso ganz gern Käppis und Sonnenbrillen. Aber ob die Leute mich erkennen oder nicht, da spielt es eigentlich keine große Rolle, ob ich eine Mütze trage oder nicht.



Abendblatt:

Es gibt Menschen, die sagen, sie fühlen sich durch Ihre Prominenz unfrei, wie in einem Käfig gefangen. Kennen Sie das Gefühl?

Schweinsteiger:

Ich weiß, dass mich viele Leute beobachten oder anschauen, das kriegst du mit. Manchmal wärst du auch gern unbeobachtet. Aber das ist halt so, damit musst du leben. Und natürlich ist es seit der WM 2006 bei Lukas und bei mir extremer als bei anderen Spielern. Aber wie im Käfig fühle ich mich nicht, ich fühle mich schon noch frei. Wenn ich mal Ruhe haben will, kann ich mir die schaffen. Dann fahre ich eben in Urlaub, ganz weit weg.



Die Frisuren des Bastian Schweinsteiger in der Bilder-Galerie auf www.abendblatt.de/sport