Bundestorwarttrainer Andreas Köpke kritisiert: “Es gibt derzeit keinen deutschen Weltklasse-Torhüter.“ Heute wollen er und Bundestrainer Joachim Löw entscheiden, wer am Sonnabend gegen Liechtenstein im Tor steht. Bilder zu den Torwart-Anwärtern für die WM 2010.

Leipzig. Mit einer dezimierten Crew war Bundestorwarttrainer Andreas Köpke am Mittwoch zur morgendlichen Übungseinheit in der Sportschule in Leipzig erschienen. Robert Enke aus Hannover und den Bremer Tim Wiese hatte Köpke im Schlepptau. Sein dritter Schützling jedoch, der Leverkusener Schlussmann Rene Adler, weilte im Hotel, weil ihm die Ärzte Schonung verordnet hatten. Noch immer schmerzt der malade Ellenbogen. Und so hatte Köpke gestern weniger Beschäftigung als ihm lieb war.

Es ist der Kampf um die Vorherrschaft im deutschen Tor, der Köpke und seinen Vorgesetzten, Bundestrainer Joachim Löw, momentan umtreibt. Der Posten der deutschen Nummer eins ist vakant, weil der Trainerstab zwar "sehr gute Keeper in der Bundesliga" ausgemacht hat, aber eben "keinen absoluten Weltklasse-Torhüter". Er könne derzeit keine Reihenfolge aufstellen, sagte Köpke der "Sportbild". Er erweiterte den Kreis der potenziellen Anwärter gar auf "vier Torhüter, die um die Nummer eins kämpfen".

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Neben Enke (31), Adler (24) und Wiese (27) ist Schalkes Schlussmann Manuel Neuer (22) die nächste Kraft in Köpkes Rechnung, wenn auch die zwei Letztgenannten nicht mehr als Außenseiterchancen haben dürften. Doch auch der Zweikampf Enke gegen Adler findet auf weit niedrigerem Niveau statt als die vorangegangenen Duelle der Schumachers, Steins, Kahns oder Lehmanns.

Und jene Ehemaligen sehen die Entwicklung auf der einstigen deutschen Vorzeigeposition auch äußerst kritisch. "Sie haben alle mehr Stärken als Schwächen. Aber es überzeugt mich derzeit niemand", sagte Oliver Kahn der "Welt". Für ihn ist es verständlich, dass Löw noch nicht in der Lage ist, "einem Torhüter das Vertrauen auszusprechen." Und doch mahnt er, jenen Zeitpunkt der Entscheidung nicht zu verpassen. Er spricht gar von 20 Prozent weniger Leistungsfähigkeit, wenn sich ein Torhüter einem ständigen Konkurrenzkampf stellen müsse, weil er dann Risiken vermeide. "Man muss genau hinschauen, wann sich jemand abhebt von den anderen. Und sich dann bekennen."

Löw und Köpke, so haben sie angekündigt, wollen sich noch Zeit lassen mit der Entscheidungsfindung. Und dennoch, so heißt es, wird die Besetzung der Nummer eins bei den WM-Qualifikationsspielen Sonnabend gegen Liechtenstein (20 Uhr/ZDF live) und Mittwoch in Wales (20.45 Uhr/ARD live) wohl richtungsweisend sein.

Im Herbst noch galt Robert Enke als aussichtsreichster Kandidat. Doch vor den WM-Qualifikationsspielen gegen Russland (2:1) und Wales (1:0) brach sich Enke das Kahnbein, eine diffizile Verletzung für empfindliche Torhüterhände. Mittlerweile ist der Bruch verheilt, die Schmerzen an der linken Hand sind bis "auf ein Zwicken" zurückgegangen. Zum ersten Mal seit jenem folgenschweren Malheur im Oktober steht Enke wieder im Kader der Nationalmannschaft. Und er hat gute Chancen, am Sonnabend die Nummer eins zu tragen. Nicht nur, weil Hauptkonkurrent Adler derzeit gesundheitlich angeschlagen ist. Der Leverkusener

durchlebt zudem seine erste sportliche Krise. Seit Monaten schon überzeugt er nicht mehr so wie noch im Oktober, als er für Enke in der Nationalelf in die Bresche sprang. Adler war der Aufsteiger des Herbstes, so etwas wie die gefühlte deutsche Nummer eins. Doch dann kam das Länderspiel im Dezember gegen England (1:2) - und Adler patzte. Auch im Februar gegen Norwegen (0:1) war er nicht mehr der Souverän vergangener Tage. Alles nur eine Frage des Kopfes, sagt Kahn, weil der zuvor Hochgelobte nun nicht mehr das große Talent, sondern Nationalspieler sei. Weil auch ganz andere Gedanken durch seinen Kopf gehen würden. Es sind aber nicht nur die Auswahlpatzer, die Adler nachhängen. Auch in der Basisarbeit Bundesliga verließ ihn die Konstanz, er hat gar seinen Anteil daran, dass Bayer Leverkusen derzeit den Ansprüchen nicht genügt.

"Ich glaube, dass es ein absolut offenes Rennen ist. Ich rechne mir Chancen aus", sagt Enke auch deshalb. Seit seinem Bundesliga-Comeback im Januar strahlt er jene Souveränität des erfahrenen Fußballers aus, der sportliche und persönliche Krisen gemeistert hat. Und doch haftet ihm ein Manko an, weil er für Hannover im Tor steht, und die 96er so etwas wie die Schießbude der Liga sind. 52 Gegentore haben sie bereits kassiert. Kein Problem, signalisierte Löw und stellte sich bereits demonstrativ vor Enke. Er wisse, dass dessen Vorderleute in der Vergangenheit nicht immer Erstligareifes boten, ließ er ausrichten. "Natürlich wurmt es mich, viele Tore in Hannover zu kassieren. Aber es ärgert mich gleichzeitig, dass das immer wieder als Argument hervorgezogen wird, wenn es darum geht, wer für Deutschland spielen soll", sagt Enke.

Wer es am Sonnabend gegen Liechtenstein schließlich sein wird, steht spätestens morgen Abend fest. Dann wollen die Verantwortlichen, so heißt es, den Auserwählten darüber informieren.


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