Der ukrainische Champion galt früher als verkniffen. Durch sein Comeback hat er den Spaß am Sport wiedergefunden - auch, weil er den Kampf gegen den eigenen Körper gewonnen zu haben scheint.

Hamburg. Es waren nur wenige Worte, und doch erzählten sie die Geschichte eines Menschen, der seinem Leben eine neue Richtung gegeben hat. Vitali Klitschko hatte eine ausgewählte Gruppe von Journalisten in sein Trainingscamp im Nobelhotel Stanglwirt in Going (Tirol) geladen, um sie an seiner Vorbereitung auf die Verteidigung seines WBC-WM-Titels im Schwergewicht gegen seinen kubanischen Pflichtherausforderer Juan Carlos Gomez (35) aus dem Hamburger Arena-Stall teilhaben zu lassen, die am heutigen Sonnabend (22.05 Uhr, RTL live) in der Stuttgarter Schleyer-Halle auf dem Programm steht. Man traf sich in der hoteleigenen Bibliothek zur Gesprächsrunde, und Klitschko stellte die neben ihm sitzenden Personen vor, die keiner Vorstellung bedurften, da sie den Anwesenden bekannt waren. Links von Klitschko saß dessen Manager Bernd Bönte, rechts von ihm Trainer Fritz Sdunek, der zuerst vorgestellt wurde. Als sich Klitschko nach links wandte, sagte er mit schelmischem Grinsen: "Und das ist Herr Bönte, er ist...", kurzes Stocken, dann der gespielt hilflose Zusatz: "...Bernd, was bist du noch mal genau?"

Bönte ist Geschäftsführer der Klitschko Management Group (KMG), mit der sich Vitali und sein fünf Jahre jüngerer Bruder Wladimir, Doppelweltmeister der Verbände WBO und IBF, seit Sommer 2004 selbst vermarkten. Kaum jemand kann Kontakt zu den Klitschkos aufnehmen, ohne vorher mit ihm zu sprechen. Er ist ein Mensch, der Scherze auf eigene Kosten nicht wirklich zu schätzen weiß. All das weiß Vitali Klitschko natürlich, und deshalb bekam sein Scherz diese ganz eigene Bedeutung, weil er perfekt die Wandlung des "Doktor Eisenfaust", so der Kampfname des promovierten Sportwissenschaftlers, untermalt. Die Wandlung vom verkniffenen Kampfroboter zum redegewandten Welt(meister)bürger.

1996 kamen die ukrainischen Box-Brüder nach Hamburg, um beim Universum-Stall ihre Karrieren zu beginnen. Während Wladimir als der boxerisch begabtere galt, war Vitali wegen seiner Gnadenlosigkeit im Ring, die auch vor sich selbst nicht halt machte, berüchtigt. Er wurde 1998 Europameister, 1999 WBO-Weltmeister, doch wegen seines steifen Stils verspotteten ihn viele als "Roboter", und weil sich der dreifache Vater auch außerhalb des Rings wenig Mühe gab, seine Verbissenheit abzulegen, wurde er dieses Image kaum wieder los.

Sein härtester Gegner wurde in den folgenden Jahren der eigene Körper. Die beiden Niederlagen seiner bis heute 38 Profikämpfe umfassenden Laufbahn erlitt er, weil er verletzungsbedingt nicht weiterkämpfen konnte. So verlor er im April 2000 seinen WM-Titel an Chris Byrd, weil er sich im Kampf eine Schultersehne riss, und er unterlag im Juni 2003 gegen den damaligen WBC-Champion Lennox Lewis, weil er wegen eines tiefen Cuts am Auge vom Ringrichter gestoppt wurde. Als Klitschko im November 2005 seinen Rücktritt vom aktiven Sport bekannt gab, tat er dies als körperliches Wrack. Die Krankenakte war länger als die Liste der Erfolge, unter anderem beinhaltete sie zwei Kreuzbandrisse, Bandscheibenvorfälle sowie Sehnenrisse in Schulter und Bizeps.

Klitschko begann in seiner Heimat Ukraine seine politische Karriere, er sitzt derzeit im Stadtparlament von Kiew, doch trotz des immensen Zeitaufwands blieb er, anders als viele zurückgetretene Sportler, aktiv, trainierte fast täglich. Der Hamburger Sportmediziner Bernd-Michael Kabelka, der die Klitschkos seit ihrer Zeit bei Universum untersucht, hält diese Entscheidung für wegweisend. "Vitali hat die Pause, die ihm sein Körper verordnet hat, genutzt, um sich komplett zu regenerieren", sagt Kabelka, "und es hat sich ausgezahlt, dass er nie exzessiv gelebt hat." Trainer Sdunek sieht das ähnlich. "Vitali hat zwar fast vier Jahre nicht gekämpft, aber er hat immer trainiert. Deshalb war die Pause im Nachhinein ein Segen für ihn."

Im Herbst 2007 scheiterte ein erster Comebackversuch zwar an einem erneuten Bandscheibenvorfall. Aber auch daraus zog Klitschko die richtigen Schlüsse. Er trainierte fortan noch schonender als zuvor. Ausdauerläufe in den Bergen, die er wegen seiner Knieprobleme sowieso nur noch bergauf absolvieren konnte, hat er durch Schwimmtraining und Einheiten auf dem Fahrradergometer ersetzt. Dazu stärkt er seinen Rücken mit gezielten Übungen. "Früher hat Vitali immer geglaubt, er wisse am besten, was seinem Körper gut tut. Heute lässt er sich von Experten belehren, und das tut ihm gut. Er ist für sein Alter extrem fit, selbst seine Reflexe haben kaum gelitten", so Kabelka. Der Lohn der Mühen: Im Oktober 2008 kehrte Klitschko in Berlin mit einem triumphalen K.-o.-Sieg in Runde neun gegen den Nigerianer Samuel Peter zurück, dem er dessen WBC-WM-Titel entriss.

Was die Rückkehr in den Ring aus dem Menschen Klitschko gemacht hat, ist nicht nur an Szenen wie der aus dem Trainingscamp abzulesen. Er hat seine innere Ausgeglichenheit gefunden, weil er in den vier Jahren ohne Kampf gemerkt hat, was ihm wirklich fehlte im Leben. Er kann deshalb die Rückkehr umso mehr genießen, dabei aber auch von der Redegewandtheit profitieren, die ihm die politische Karriere beschert hat. Wer ihn vor dem Lewis-Kampf 2003 in Los Angeles wütend mit den Wangenknochen mahlen sah, als er mit seinem harten russischen Akzent englische Grußworte sprechen musste und von Lewis, der ihn permanent "Klitzko" nannte, dafür aufgezogen wurde, der erkennt ihn heute kaum wieder, wenn er Gomez, wie auf der Pressekonferenz geschehen, in gespielter väterlicher Fürsorge den Schweiß von der Stirn tupft, "damit er sich sein schönes Sakko nicht schmutzig macht".

Er will sich nicht lustig machen über andere, er respektiert seine Gegner, was die Verpflichtung der Weltklasseleute Byrd und Tony Thompson als Sparringspartner für den Gomez-Kampf unterstrich. Aber er stellt die Lockerheit, die er durch die Erfahrungen der vergangenen Jahre gewonnen hat, gern zur Schau. Er ist ein Meister der psychologischen Nadelstiche, ohne ein Blender zu sein. "Er hat eine unglaubliche Präsenz im Ring, und er ist außerhalb des Rings ein ebenso unglaublich netter Mensch", sagt Byrd, "ein wahrer Champion eben." Nach dem Kampf mit Gomez will Klitschko - einen Sieg vorausgesetzt - sich noch ein Ziel erfüllen. "Alle vier WM-Titel sollen im Besitz der Familie Klitschko sein", sagt er, und doch spürt man: Für sein persönliches Glück sind Titel nicht entscheidend.

Nicht mehr.