Schwere Vorwürfe gegen den deutschen Rekordmeister. Der Bundesliga droht der größte Skandal ihrer Geschichte. Heute Krisensitzung in Hamburg.

Kiel. Eigentlich wollte sich Andreas Rudolph gestern Abend von seinen HSV-Handballern verabschieden. Der Klubpräsident hatte geschäftliche Verpflichtungen. Doch Rudolph hat kurz entschlossen umdisponiert, er wird die Mannschaft heute von Pamplona zurück nach Hamburg begleiten. Denn dort steht am Abend im Hotel "Gastwerk" ein Termin an, der an Bedeutung alles andere überstrahlt. Bei dem kurzfristig anberaumten Treffen von Präsidium und Aufsichtsrat der Handball-Bundesliga (HBL) steht nicht weniger als die Glaubwürdigkeit einer Sportart auf dem Spiel.

Am Wochenende hatte sich das Gerücht verbreitet, der THW Kiel könnte sich den Champions-League-Finalsieg gegen die SG Flensburg-Handewitt vor zwei Jahren durch Schiedsrichterbestechung erkauft haben. Davon berichtet das "Flensburger Tageblatt". Bekannt geworden ist der Vorgang demnach durch ein Schreiben des HBL-Aufsichtsratsmitglieds Dieter Matheis (Rhein-Neckar Löwen) an THW-Geschäftsführer Uwe Schwenker. "Es stimmt, es gibt ein entsprechendes Schreiben, in dem ich um Aufklärung dieser Sache gebeten habe", bestätigte Matheis. Details wollte er nicht preisgeben, man wolle den Sachverhalt zunächst intern diskutieren. Allerdings soll bei der Berliner Staatsanwaltschaft eine Selbstanzeige des Kuriers eingegangen sein, der das Bestechungsgeld überbracht habe. Andere Quellen berichten von einer Selbstanzeige des damaligen Kieler Trainers Zvonimir Serdarusic, was dieser gestern Abend allerdings ausdrücklich bestritt. Serdarusic war im vergangenen Sommer von Schwenker entlassen worden. Nach Informationen des Abendblatts waberte seit Wochen das Gerücht durch die Handballszene, in Kiel ticke eine Zeitbombe.

Darum geht es: Am 27. April 2007 hatte der THW das Finalrückspiel der Champions League 29:27 gewonnen und damit eine Woche nach dem 28:28 in Flensburg erstmals den Thron des europäischen Vereinshandballs bestiegen. "Wir haben damals in der Kabine gesprochen, dass das nicht fair war. Aber: Wir hatten die Möglichkeit zu gewinnen. Mich überrascht das. Das kann ich mir gar nicht vorstellen", sagte Flensburgs Linksaußen Lars Christiansen.

Umstritten blieb der frühe Platzverweis von Flensburgs Spielmacher Joachim Boldsen. Als Schiedsrichter fungierte damals das polnische Duo Miroslaw Baum/Marek Goralczyk. Es sieht sich nicht zum ersten Mal mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert. So verdächtigte Frank Birkefeld, früherer Geschäftsführer des Weltverbands IHF, das Gespann, das olympische Frauenfinale 2004 in Athen zugunsten Dänemarks verschoben zu haben. "Sollten die Vorwürfe zutreffen, wäre dies ein sehr großer Schaden für den gesamten Handball", sagte HBL-Aufsichtsratschef Manfred Werner dem "Flensburger Tageblatt". HSV-Boss Rudolph, der ebenfalls dem Gremium angehört, gab sich aber zuversichtlich: "Ich gehe davon aus, dass sich die Anschuldigungen als haltlos erweisen." HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann liegen nach eigener Aussage keine belastbaren Dokumente vor: "Deswegen kann ich das nicht kommentieren." Schwenker äußerste sich bisher nicht zu den Anschuldigungen.

So abenteuerlich die Vorwürfe klingen: Sie würden, sollten sie zutreffen, manch dubiosen Vorgang der jüngeren Handballgeschichte erhellen. Da ist etwa die Absage Serdarusics an die Rhein-Neckar Löwen am vergangenen Mittwoch. Sein Gesundheitszustand lasse es nicht zu, dort im Sommer das Traineramt zu übernehmen, hatte Kiels einstiger Meistercoach verbreiten lassen. Sollte Serdarusic, 2007 noch in Diensten des THW, in den fraglichen Bestechungsvorgang eingeweiht gewesen sein, könnte die Erkrankung ein Vorwand gewesen sein. Auch Serdarusics unrühmlicher Abgang in Kiel erschiene in anderem Licht. Angeblich war ein privater Zwist mit Schwenker der Grund, warum Serdarusic nach 15 segensreichen Jahren und trotz Gewinns von Meisterschaft und Pokal 2008 gehen musste. Nun liegt ein Schatten über den Erfolgen der Kieler, die am Sonnabend mit dem 21. Sieg in Folge einen Bundesliga-Rekord aufstellten.