Wenn an diesem Wochenende die Oberliga beginnt, werden drei Hamburger Mäzene wie jedes Jahr ihre Vereine unterstützen. Warum tun sie das?

Hamburg. Der Konferenzraum in der Geschäftsstelle von Altona 93 ist mit fünf Personen gut gefüllt – aber es soll an diesem Nachmittag auch nicht um Größe gehen, sondern um das, was wirklich zählt: die Liebe zum Fußball.

Hamburger Abendblatt: Viele Menschen denken bestimmt, Sie sind verrückt: Sie stecken Ihr privates Geld oder das Ihrer Firma in den Amateurfußball. Warum machen Sie das?

Dirk Barthel: Bei mir ist der Grund ganz einfach – er heißt Altona 93. Ich würde es für keinen anderen Verein tun. Diese große Tradition, unsere Fans und die Adolf-Jäger-Kampfbahn – das ist schon etwas ganz Besonderes. Außerdem lebe ich in Altona, bin hier aufgewachsen, unser Unternehmen ist seit 84 Jahren in Altona zu Hause. Manchmal ist es undankbar, manchmal möchte man’s auch hinwerfen und denkt: Anderswo würden sie dich mit dem, was du tust, mit Kusshand nehmen. Aber natürlich bleibt man trotzdem dabei.

Uwe Herzberg: Das stimmt schon, Schulterklopfer hat man nicht viele. Aber für die macht man es ja auch nicht. Wissen Sie, ich komme aus Nordfriesland, ich habe als Kind nie einen Farbigen gesehen, und heute liege ich mir mit unseren Afghanen und Türken genauso in den Armen wie mit den Afrikanern. Der Fußball ist dafür ja auch wie geschaffen, er hat mir geholfen, diese ganzen Nationalitäten anzunehmen. Inzwischen sind wir eine riesige Multikulti-Familie.

Manfred Witthöft: Ich bin seit der Kindheit Mitglied in diesem Verein, ich bin nie woanders gewesen, obwohl ich Angebote hatte. Darauf bin ich stolz, und dann gibt man auch gern. Und man freut sich, wenn man am Wochenende zu den Spielen geht und die jungen Leute einen mit Handschlag begrüßen und nicht einfach so an mir vorbeigehen, weil mich niemand mehr kennt.

Von dem Geld könnte man aber auch schön in den Urlaub fahren...

Herzberg: Urlaub? Und wer macht dann am Spieltag die Kasse?

Witthöft: Wenn man einen eigenen Betrieb hat, ist es ohnehin schwierig mit Urlaub.

Barthel: Ich fahre mit meiner Frau gern nach Mallorca, aber das buchen wir dann meistens so, dass wir montagmorgens fliegen und sonntagmorgens zurück fliegen. Damit wir auch ja kein Spiel verpassen.

Herzberg: Am besten fährt man über ein Auswärtsspiel weg und noch besser eins, wo du weißt, das verlieren wir sowieso. Aber auch dann juckt es uns eigentlich schon wieder, und wir bleiben da. Allerdings (klopft auf den Tisch), in einem Monat fliegen wird für zwei Wochen nach Teneriffa, das ist jetzt fest gebucht.

Mit Reiserücktrittsversicherung?

Herzberg: Ja. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die das akzeptieren, wenn ich als Grund den Bramfelder SV angebe.

Herr Barthel, von den hier vertretenen Vereinen hat Altona 93 die meisten Zuschauer...

Barthel: Ja, wir haben sogar mehr Zuschauer als Victoria Hamburg, obwohl die eine Klasse höher spielen. Aber das Mehr an Fans macht nicht besonders viel aus, leider. Natürlich kämpfen wir um jeden Zuschauer, aber es müssten schon dauerhaft 1000 zusätzlich kommen, erst dann schlägt sich das merklich in den Einnahmen nieder.

Witthöft: Beim SCVM gibt es einen harten Kern, der kommt einfach immer. Und wenn Altona 93 kommt, dann bringen die allein ja schon 300 Auswärtsfans mit.

Herzberg: Und 50 Hunde! (Lacht.) Nein, im Jahr 2009, als wir zum ersten Mal aufgestiegen sind, hatten wir 17.000 Euro an Zuschauereinnahmen. Im vergangen Jahr waren es vielleicht 9000, mehr als die Hälfte weniger.

Woran liegt das?

Herzberg: Die Presse müsste uns viel mehr Raum für Vorankündigungen und Nachbetrachtungen geben. Auch die örtlichen Hörfunksender sollten die Spiele zum Wochenende ankündigen.

Barthel: Natürlich hängt es auch mit dem Sportangebot im Fernsehen zusammen, ständig und überall läuft ja inzwischen Fußball, vor allem am Wochenende. Ich habe Sky zu Hause, deshalb fällt mir das auf. Und natürlich gibt es auch die Konkurrenz der beiden großen Hamburger Vereine.

Herzberg: Und das verstehe ich nicht. Bramfeld ist mein Verein, in meinem Stadtteil. Das ist Hamburg! Diese Liga gibt mir so viel mehr als irgendein Spiel des HSV. Jedes Mal, wenn ich dahin gehe... dann spielen die wieder so einen Grottenfußball, und ich frage mich: Warum hast du dir das angetan? Nein, da schaue ich mir lieber ein Spiel in unserer Liga an, wo ich die Leute kenne, wo mein Herz dran hängt. Das andere ist ein Fußball, der weit weg von mir ist.

Barthel: Unsere Spiele sind meistens am Sonntagnachmittag um 14 Uhr, da kommen auch immer sehr viele Familien mit ihren Kindern. Die wissen das dann einfach zu schätzen, dass die Kleinen Platz zum Toben haben, und man kann direkt am Spielfeld stehen, wo man aus nächster Nähe erlebt, wie ein Tor fällt.

Witthöft: Wenn ich mir an einem Spieltag anschaue, wie sich die jungen Leute für den SCVM aufreiben, wie die rackern und kämpfen – das habe ich früher selbst gemacht, da erkenne ich mich wieder. Wie kaputt man danach ist, wie traurig auch, wenn man verloren hat. Oder man feiert zusammen. Das ist viel mehr als nur Fußball.

Ein Regionalliga-Kader kostet mindestens 300.000 Euro. Wie ist das in der Oberliga? Es heißt, man brauche eine hohe fünfstellige Summe.

Witthöft: Meistens fünfstellig, ja.

Barthel: Fünfstellig? Bei Ihnen beiden fünfstellig?

Witthöft und Herzberg: Jaja doch, schon.

Barthel: Toll!

Witthöft: Die Etats liegen so zwischen 40.000 und 150.000 Euro. TuS Dassendorf dürfte der Spitzenreiter sein.

Barthel: Und wie kann ich jetzt den Dassendorf-Etat erfahren, ohne dass ich meinen preisgebe?

Witthöft: Ach, das ist ja ein offenes Geheimnis: um die 150.000 Euro. Und die kaufen immer noch ein. Gerade haben sie wieder einen von uns weggeholt.

Vorige Saison hat Dassendorfs Sponsor Michael Funk beim Endspurt der Landesliga den letzten Gegnern von Oststeinbek jeweils 1000 Euro geboten – damit sie Oststeinbek mindestens einen Punkt abnehmen und Dassendorf aufsteigt. Finden Sie das legitim?

Herzberg: Das gab es auch schon bei anderen Spielen. Als es bei uns 2011 um den Aufstieg ging und wir gegen Dassendorf spielten, hieß es: Wenn Dassendorf Bramfeld schlägt, dann hätten sie von einem anderen Verein einen Tausender bekommen und 10 Kisten Bier oben drauf. Das grenzt doch an Bestechung. Man kann vielleicht mal eine Kiste Bier oder eine Flasche Schnaps in die Kabine stellen, wenn das Spiel vorbei ist und alles so gelaufen ist, wie man sich das vorgestellt hatte.

Barthel: Das geht wirklich gar nicht. Ich finde es unmoralisch.

Nicht nur im Profibereich, auch im Amateursport wird den Spielern immer mehr Geld bezahlt. Finden Sie das richtig?

Barthel: Es gab mal eine Zeit bei Altona 93, da haben auch wir überzogene Gehälter bezahlt, das war in der Regionalliga. Heute ist das wieder anders, obwohl ich es legitim finde, wenn Fußballer auch in der Oberliga etwas mehr verdienen. Der Aufwand ist enorm: vier Mal pro Woche Training, jedes Wochenende ein Spiel und die ganze Fahrerei. Dafür sind die Gehälter, die wir zahlen, eigentlich noch viel zu gering.

Witthöft: Wir können uns keine teuren Spieler erlauben. Sobald die 800 oder 1000 Euro fordern, sind wir draußen. 200 können wir zahlen.

Und trotzdem hat gerade der SCVM viele Hamburger Erfolgsgeschichten geschrieben: Max Kruse (Mönchengladbach) und Martin Harnik (Stuttgart) spielen in der Bundesliga, Kruse neulich sogar in der Nationalmannschaft.

Witthöft: Das ist richtig, die haben beide bei uns in der A-Jugend gespielt, dem Verein wurde das dann aber leider zu teuer. Es hat 20.000 Euro gekostet, diese Mannschaft zu unterhalten, sie hat ja in der Bundesliga gespielt. Wir haben sie dann nach Bergedorf abgegeben, die waren ganz heiß drauf.

Herzberg: In Bergedorf haben sie neuerdings ja auch eine Gelddruckmaschine.

Der Niendorfer TSV hat für die kommende Saison Nico Patschinski verpflichtet, die TuS Dassendorf den ehemaligen Bielefelder Eric Agyemang. Wie bewerten Sie das, wenn ehemalige Profifußballer auf ihre letzen Jahre noch ein bisschen Geld im Amateurfußball verdienen?

Herzberg: Wir sollten als Amateurvereine lieber unsere eigenen Nachwuchsspieler fördern. Ich finde immer, wer einmal ganz oben gespielt hat, der sollte sein Leben schon so eingerichtet haben, dass er davon leben kann.

Witthöft: Und nicht noch den kleinen Vereinen das Geld aus der Tasche ziehen.

Barthel: Ich werde jetzt keinen Namen nennen, aber wir haben vor ein paar Jahren mal mit einem ehemaligen HSV-Spieler verhandelt. Wir waren uns eigentlich schon einig und wollten gerade aufstehen, da sagt er: Ich habe noch was vergessen – wie ist das eigentlich mit dem Auto? (Alle lachen.) Aber es ist schon so, wenn man zwei, drei große Namen hat, die können eine Mannschaft voranbringen – man kann sie nur leider nicht bezahlen.

Können Sie sich ein Leben ohne Ihren Verein vorstellen?

Herzberg: In der vergangenen Saison sind wir ja nur durch ein Tor in der 85. Minute in der Oberliga geblieben. Als es in der Halbzeit noch unentschieden stand, dachte ich: Wenn wir jetzt absteigen, fängst du dann wieder von vorne an? Du bist jetzt 71 Jahre alt. Und natürlich hätte ich noch einmal von vorn angefangen. Aber dann kam das erlösende Tor. Meine Frau arbeitet ehrenamtlich rund 40 Stunden pro Woche für den Verein. Wir möchten es beide nicht missen.

Barthel: Mein Sohn hat mich neulich gefragt, wie ich das die ganzen Jahre ausgehalten habe. Es gibt ja doch viel Kritik und Wünsche, die man nicht erfüllen kann. Eigentlich wollte ich aufhören. Aber im Dezember gibt es Neuwahlen, und ich glaube – das geht noch mal zwei Jahre weiter.

Witthöft: Ein Leben ohne den SCVM wäre für mich nicht möglich. Wenn ich irgendwann sterbe, möchte ich in meinem Trainingsanzug begraben werden – und mit Pauken und Trompeten.