Die Fußball-WM ist für England ausgeträumt. Nun jagen die Briten einem noch älteren Traum nach – sie wollen das berühmteste Segelrennen der Welt bestreiten und den Cup heim nach England holen

Eine Gruppe Ritter, ihr Gefolge und eine Herzogin sind ausgezogen, um Sportgeschichte zu korrigieren. Ihre Geschichte mutet dabei sehr märchenhaft an – soll aber Realität werden.

Der von der britischen Königin zum Ritter geschlagene viermalige Segel-Olympiasieger Sir Ben Ainslie, seine mächtigen Unterstützer wie Sir Keith Mills, Erfolgsunternehmer Sir Charles Dunstone sowie des britischen Thronfolgers Ehefrau, die Herzogin von Cambridge und ein Team von bis zu 100 Mitarbeitern wollen den ältesten britischen Sporttraum endlich wahr werden lassen: Der America’s Cup soll heimkehren.

Der Cup entschwand nach Amerika

Im Jahr 1848 war die bekannteste Silberkanne des internationalen Segelsports vom königlichen Hofjuwelier Garrads of London gefertigt worden. Damals hieß sie noch 100 Sovereign Cup. Jahre später erwarb sie der renommierteste Segelverein Englands, die Royal Yacht Squadron, für ein Rennen um die südenglische Isle of Wight anlässlich der Londoner Weltausstellung 1851.

Entgegen allen Erwartungen und zur Enttäuschung der Augenzeugin Queen Victoria gewann aber nicht eine der 15 britischen Yachten, sondern der einzige amerikanische Zweimastschoner „America“ das Rennen. Das siegreiche Team nahm den Pott mit über den Teich nach Hause, benannte ihn später nach der Siegerin „America’s Cup“ und übergab ihn samt Stiftungsurkunde dem New York Yacht Club.

Der sollte sich um den künftigen Herausforderer-Preis für „den friedlichen Wettbewerb zwischen Yacht-Clubs aus anderen Nationen“ kümmern.

Engländer haben den Pott noch nie gewonnen

Und das tat der Club intensiv. Niemals in der schillernden 163-jährigen Geschichte des America’s Cup konnten die englischen Väter selbst die Trophäe gewinnen. Das Kunststück gelang nach 132-jähriger Vorherrschaft der Amerikaner bislang nur drei weiteren Nationen: Australien im Jahr 1983, Neuseeland in den Jahren 1995 und 2000 und dem Schweizer Team Alinghi in den Jahren 2003 und 2007.

Prominentester glückloser britischer Cup-Jäger war der britische Teebaron Sir Thomas Lipton, der nach fünf vergeblichen Anläufen zwischen 1899 und 1930 als fairster Verlierer in die Cup-Geschichte einging.

Nun soll Schluss sein mit den erfolglosen englischen Cup-Flirts. Neuer Hoffnungsträger britischer und damit auch europäischer Cup-Fans ist der erfolgreichste Olympiasegler der Sportgeschichte: Sir Ben Ainslie.

Ainslie qualifizieren fünf olympische Medaillen

Seine Qualifikationen zum Boss des jüngsten britischen America’s-Cup-Angriffs sind herausragend: Neben vier goldenen und einer silbernen olympischen Medaille hat der 37-Jährige im vergangenen Jahr als Taktiker in Larry Ellisons Segelrennstall Oracle Team USA maßgeblich zur erfolgreichen Cup-Verteidigung der Amerikaner beigetragen.

Als America’s-Cup-Triumphator Russell Coutts Ben Ainslie für das Oracle Team USA verpflichtet hatte, wusste der erfolgreichste Cup-Segler der Geschichte: „Ben ist ein Siegertyp. Und wir von Oracle Racing mögen Partnerschaften mit Siegern. Ben ist extrem entschlossen und sehr talentiert. Er ist der Gipfel aller Gipfel.“

Ainslie absolvierte seine Gesellenprüfung im America’s Cup mit Bravour, ersetze nach den ersten glücklosen Finalrennen den geschassten US-Taktiker John Kostecki und war Teil des furiosesten Comebacks in der Cup-Geschichte, als die Amerikaner aus einem 1:8-Rückstand noch einen Triumph über Team New Zealand machten.

„Wir wollen den America’s Cup nach Hause bringen.“

Das ihm zur Verfügung gestellte Sprungbrett hat Ainslie genutzt. Nun führt der Darling der Briten sein eigenes Team namens Ben Ainslie Racing in die wichtigste Herausforderung seines Lebens: „Wir wollen und wir können den America’s Cup nach Hause bringen.“

Behält Russell Coutts Urteil Gültigkeit, dann bekommen es die amerikanischen Verteidiger und alle anderen Herausforderer mit einem mächtigen Gegner zu tun, den die Amerikaner selbst fortgebildet haben. Bislang hat Ainslies Team 40 Prozent des angestrebten Budgets in Höhe von knapp 100 Millionen Euro beisammen.

Ainslie sagt trotz des wie so oft einseitig zugunsten der Verteidiger gestalteten Regelwerks: „Ich würde die Herausforderung nicht angehen, wenn wir keine Chance hätten. Die Zeit passt. Wir müssen das jetzt tun.“

Kontakt zu Motorsport-Teams in der Formel 1

Für sein ehrgeiziges Ziel aktiviert Ainslie ein prominentes Team, führte Gespräche mit Formel-1-Design-Koryphäe Adrian Newey, der eine Schlüsselrolle bei der britischen Herausforderung spielen könnte.

Auch ein Mann mit deutschen Pass soll Ainslies Cup-Stürmern Flügel verleihen. Denn Ainslie weiß: „Beim nächsten Mal geht es technologisch um Aero- und Hydrodynamik. Wir haben daher bereits Gespräche mit Motorsport-Teams in der Formel 1 aufgenommen.“

Zum zweiten Mal in Folge wird der Cup auf rasanten Katamaranen ausgetragen. Sie werden im 35. America’s Cup mit 62 Fuß Länge etwas kleiner sein als ihre Vorgänger, die 2013 in der Bucht von San Francisco Premiere feierten und die Menschen faszinierten, bei einem tragischen Unfall aber auch ein Menschenleben kosteten.

Erfüllung eines Kindheitstraums

Ben Ainslies Freund und Olympiasieger Andrew „Bart“ Simpson war am 9. März 2013 unter dem Wrack des Katamarans von Artemis Racing ertrunken, nachdem der schwedische Zweirümpfer auseinandergebrochen und gekentert war.

Seinen Sieg mit den Amerikanern hatte Ainslie später Simpson gewidmet. Heute nimmt Ainslie im Gedenken an Simpson Kurs auf neue Horizonte: „Wir werden in Erinnerung an ihn unser Bestes geben.“

Für Ainslie selbst bedeutet der Griff nach der „bodenlosen Silberkanne“ die Erfüllung eines Kindheitstraums und die größte Herausforderung seines Lebens. „Ein Sieg im America’s Cup mit einem britischen Team würde alle meine olympischen Erfolge in den Schatten stellen, weil es eine so große Herausforderung ist und wir es noch nie geschafft haben.“

Der Cup könnte zu seinen Wurzeln zurückkehren

Inzwischen hat das Team in Portsmouth an der Mündung des Solents in den Ärmelkanal eine neue Heimat gefunden. Die Entwürfe für das futuristisch anmutende Hauptquartier samt Docks sind fertig. Die Stadt hat den Plänen bereits zugestimmt.

Offizieller Cup-Herausforderer ist Yacht Squadron Racing, ein mit der legendären Royal Yacht Squadron auf der Isle of White verbundener Club.

Sollten die Briten den America’s Cup tatsächlich gewinnen, könnte er nach 166 Jahren zu seinen Wurzeln zurückkehren – dorthin, wo ihn einst der Schoner „America“ bei der Cup-Premiere im Jahr 1851 bislang auf Nimmerwiedersehen entführt hatte.