Seit 100 Jahren ist diese Fahrt durch die Schweizer Berge ein Erlebnis. Um dorthin zu gelangen bucht man am Berner Banhof “Top of Europe“.

An klaren Tagen schimmert die weiße Bergkette der Alpen wie eine Fata Morgana am Horizont von Bern. Nach einem Wochenende in der mittelalterlichen Altstadt mit ihren kilometerlangen Bogengängen im Renaissancestil, den prächtigen steinernen Brunnen und der berühmten "Zytglogge", dem Zeitglockenturm mit seinem Figurenspiel zur vollen Stunde, zieht es den Besucher zu den majestätischen Gipfeln in der Ferne. Herausragend: die Bergspitzen von Eiger, Mönch und Jungfrau, das Dreigestirn der Berner Alpen, unzugänglich noch bis ins 19. Jahrhundert hinein. 1811 gelang die Erstbesteigung der Jungfrau, mit 4158 Metern einer der drei höchsten Berge im Berner Oberland; viel später die von Mönch und Eiger, die Besteigung der berüchtigten Eigernordwand sogar erst 1938.

Wenn heute der Berg ruft, spaziert man einfach zum Berner Bahnhof und bucht "Top of Europe", die Endstation am Jungfraujoch. Der Zug fährt am Thunersee entlang nach Interlaken. Von dort geht es mit einer Zahnradbahn durch die Felslandschaft von Lauterbrunnen mit Wasserfällen und tief eingeschnittenen Tälern, die Goethe in seinem Gedicht "Gesang der Geister über den Wassern" besungen hat. Danach passiert man den Ort Wengen, Dächer und Berge ringsum sind schneebedeckt.

Plötzlich rücken die Gletscher ganz nahe. Die Passagiere stürzen ans Fenster, völlig aus dem Häuschen über den Anblick von Eiger, Mönch und Jungfrau. In der Station Kleine Scheidegg auf 2061 Meter Höhe geht es mit der Jungfraubahn weiter.

Nur knapp zwei Kilometer steigt die Bahn durch Schnee und Eis höher, bevor sie in einem siebeneinhalb Kilometer langen Tunnel Eigerwand und Mönch durchquert. Zweimal hält der Zug an Aussichtsstationen, wo die Passagiere durch Panoramafenster in ein wogendes Eismeer schauen können. 50 Minuten dauert die Fahrt bis zur Endstation, die im Innern der Bergspitze Sphinx neben dem Jungfraujoch liegt. Und wäre nicht die klirrende Kälte von minus 15 Grad, die Ankömmlinge würden kaum glauben, dass sie soeben im höchstgelegenen Bahnhof Europas auf 3454 Meter Höhe gelandet sind, stolz "Top of Europe" genannt.

Als die Jungfraubahn vor bald 100 Jahren, am 1. August 1912, eröffnet wurde, galt sie als Wunderwerk der Technik. Von Anfang an wurde sie mit Elektrizität betrieben, damals eine Sensation. Die Idee zu dieser Bahnstrecke hatte der Schweizer Textilfabrikant Adolf Guyer-Zeller. Bei einer Alpenwanderung von Schilthorn nach Mürren soll ihn der Blick auf das Dreigestirn dermaßen beeindruckt haben, dass er den Konstruktionsplan einer himmelstürmenden Zahnradbahn skizzierte. Im Eisenbahnfieber jener Zeit waren bereits mehrere Bergbahnen vom Tal in die Schweizer Alpen hinauf gebaut worden, und Guyer-Zeller war nicht der Erste, der von einer Jungfraubahn träumte. Doch im Unterschied zu anderen schlug er vor, die Strecke nicht im Tal beginnen zu lassen, sondern sie mit bestehenden Bahnen zu verbinden.

Nachdem er im Parlament die Konzession errungen hatte, begann der Bau der Jungfraubahn 1896. Sieben Jahre Bauzeit und 10 Millionen Schweizer Franken an Kosten waren veranschlagt. Am Nordrand des Eigergletschers entstand auf 2320 Meter Höhe ein Basislager für 300 Arbeiter, die den Tunnel in Schichten rund um die Uhr vorantrieben. Durch geologische und finanzielle Probleme, auch tödliche Unfälle, dauerten die Bauarbeiten schließlich 16 Jahre, die Kosten beliefen sich auf 15 Millionen Schweizer Franken. Guyer-Zeller konnte die Erfüllung seines Traums nicht mehr erleben. Er starb schon 1899 an einem Herzschlag im Alter von 60 Jahren. Heute profitieren 500 000 Touristen im Jahr von der Möglichkeit, die Alpen zu erleben, ohne Alpinist zu sein. Auf dem Bahnhof im Innern eines Berges angekommen, erfasst manche Besucher ein leichter Schwindel, wenn sie durch den Stollen zur Eingangshalle gehen. Die Schritte werden langsam, es atmet sich schwer. Tourbegleiterin Annemarie Sterch lotst die Gruppe zur Nahsicht auf den Großen Aletschgletscher, der sich auf Walliser Seite gigantische 22 Kilometer gegen das Rhonetal zieht. Dann wird in einem der drei Restaurants Rast gemacht.

Frisch gestärkt spaziert man durch das Ice-Gateway in den Eispalast. Spiegelglatt ist es in dem 1000 Quadratmeter großen Labyrinth aus Eis, sechs bis zehn Meter unter dem Gletscher. In den Gängen stehen Tierskulpturen eines Künstlers aus Interlaken, einige durchsichtig wie Glas, andere milchig oder bläulich. "Wenn mehr als 2000 Menschen pro Tag den Eispalast besuchen, müssen wir ihn herunterkühlen", sagt Annemarie, "sonst fängt das Eis durch die Ausdünstung an zu schmelzen."

Die unvergesslichsten Momente erleben die Besucher auf den Aussichtsterrassen im Freien, so nahe dem mächtigen Gipfel des Mönchs unter strahlend blauem Himmel, als könnte man ihn mit ausgestrecktem Arm berühren. Ungeheuer klar ist die eiskalte Luft im blendenden Sonnenlicht. Inmitten der Gletscherwelt der Alpen, die sich in bizarren Schneewellen und Bergspitzen ausbreitet, packen jeden euphorische Gefühle. Eine Gruppe Inder springt vor Begeisterung jubelnd in die Luft, wieder und wieder. Einer von ihnen, der zum Sari eine Pudelmütze trägt, kniet nieder, um den Schnee zu essen. Neben ihm ein paar Chinesen, still versunken in den Anblick der Wunderlandschaft. Rund um die Sphinx-Terrasse sitzen Dohlen auf Kabeln. "Die Kabel dienen der Sicherheit", erklärt Annemarie. "Auf dieser Höhe kann das Wetter schnell umschlagen, sodass es plötzlich Blitze gibt. Deshalb ist die Terrasse als Faradayscher Käfig gestaltet."

Mit der schnellsten Liftanlage der Schweiz - 6, 8 Meter pro Sekunde - geht es weitere 108 Meter nach oben zur Sphinx-Halle, auf der Spitze des Berges in 3571 Meter Höhe. Noch einmal das ganze Panorama in allen Himmelsrichtungen. So gut ist die Sicht, dass man glaubt, bis nach Frankreich, Deutschland und Italien schauen zu können.

Im Souvenirshop gibt es Schokolade mit eingedruckten Gletschergipfeln und Schlittenhunden. Pralinen namens Eiger-Spätzli aus der Station Eigergletscher, der höchsten Schweizer Confiserie. Magisch angezogen werden die Asiaten von "Europas höchstem Uhrenladen", im Angebot Schweizer Uhren mit speziellen Gravuren vom Jungfraujoch.

Kurz nach 15 Uhr fährt die Jungfraubahn zurück. Umsteigen in die Wengernalpbahn Richtung Grindelwald, eine andere Strecke als morgens. Letzte Blicke auf die Eigernordwand, und durch die verschneiten Berge hinunter ins Lütschental. Gegen 18 Uhr sind die Ausflügler zurück in Bern, pünktlich zum Abendessen. Und haben an einem einzigen Tag die schönste Schweizer Alpenwelt erlebt.