Auf der Kreuzfahrt dick werden? Das muss nicht sein! Immer mehr Veranstalter bieten auf den schwimmenden Urlaubsparadiesen auch aktive Entspannung

Auf der Norwegian Epic beginnt der Tag morgens um sieben Uhr mit „Stretch & Relax“. Um 7.30 Uhr geht es weiter mit „Fab Abs“, also Übungen für „fabulous abdominal muscles“ – die perfekte Bauchmuskulatur. Eine Handvoll Passagiere schreibt das Alphabet am Boden liegend mit ausgestreckten Beinen an die Decke. Ab und zu ist ein Ächzen und Stöhnen zu hören. Wer schon vor dem Landausflug so viel Motivation zeigt, darf auch kostenlos an den Kursen teilnehmen. Später am Tag wird für TRX-Training, Boot Camp, Cycling und Yoga zugezahlt. Wer es richtig ernst meint, lässt sich für 99 US-Dollar vom InBody-Gerät ungeschönte Angaben zu Muskel-, Wasser- und Fettanteilen machen und erarbeitet mit dem Personal Trainer anschließend den perfekten Trainingsplan.

Von wegen Kreuzfahrer seien alt und unbeweglich. Dieses Vorurteil ist spätestens seit der Einführung von Land­auflügen mit Fahrrädern und Kletterwänden auf dem Sonnendeck widerlegt. Auf den Wohlfühlschiffen von Tui Cruises gibt es Kurse wie „Yoga Detox-Flow“ und „Ganz schön schlank im Handumdrehen“. Aida Cruises lädt im Laufe eines Jahres rund 60 Trainer und Experten für verschiedenste Lebensbereiche ein, um auf mehr als 90 Reisen mehr Lebenskraft und Lebensfreude zu vermitteln. Und wer lässt sich nicht gern Trainingstipps von der ehemaligen Biathletin Uschi Disl oder der zweifachen Olympiasiegerin Heike Drechsler geben?

Selbst vor Luxusschiffen macht der Fitnesstrend nicht halt: Auf der „Europa 2“ trainieren die Passagiere ebenfalls weltmeisterlich. Zum Beispiel bei den Boxkursen mit Regina Halmich und Sven Ottke. Auf der ersten In2Balance-Kreuzfahrt motivieren die beiden Profi-Boxer ihre gut situierten Gäste zu schweißtreibenden Übungen. „Wer hier zum Boxen kommt, würde das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu Hause nicht machen“, erklärt Regina Halmich die Faszination ihrer Kurse an Bord. Die Passagiere kämen ohne Vorurteile, und die Hemmschwelle, etwas Neues auszuprobieren, sei im Urlaub geringer. Außerdem hilft wahrscheinlich, dass das komplette Sportangebot kostenlos ist. Und auch die überschaubare Kursdauer von 30 bis 45 Minuten. Schließlich sollen die Gäste keinen Stresshaben, sondern so viel wie möglich mitnehmen können. Sport ist Entertainment und Inspiration zugleich.

Nachdem die Boxschüler kräftig auf die Pratze gehauen haben, schmeckt das Beef Tartar im Tarragon gleich doppelt so gut. Oder man hat die Selbstbeherrschung von Model und Ironman-Teilnehmer John Hipp und entscheidet sich nach dem Training für das In2Balance-Menü mit vegetarischen Optionen. Wie er es schafft, trotz der hervorragenden Küche an Bord der Europa 2 nicht zuzunehmen? Viel Bewegung, denn „Sitzen ist das neue Rauchen.“ Darum bietet Hipp auch im tropischen Klima Vietnams gern ein Lauftraining an, das allerdings bei Weitem nicht so gut frequentiert ist wie sein Faszientraining, bei dem es um angenehmen Schmerz geht. Ein wenig Disziplin gehört für den US-Amerikaner natürlich auch dazu: „Ich esse nur zwischen zwei Uhr nachmittags und acht Uhr abends. Dann gibt es aber eher Fett als Kohlenhydrate und viel Gemüse.“

Das sieht auch Holger Stromberg, ehemaliger Ernährungsberater der Fußball-National-Elf gern. Neben unterhaltsamen Anekdoten zu den kulinarischen Vorlieben von Klose & Co. gibt er Anregungen, damit die Passagiere „als mündige Bürger durch den Lebensmittelverkehr kommen“ und erklärt: „Man muss nicht kochen können, um sich gut zu ernähren.“ Nach seinem gutbesuchten Vortrag streifen einige Gäste tatsächlich – wie vom Profi-Koch geraten – mit den Händen in den Hosentaschen ums Buffet, um erst einmal mit den Augen zu genießen. Man könne auch durch Gerüche sattwerden, erklärt der Sternekoch. Respekt! Und schon optimiert man sich als Mitglied der „Smartphone-Society“, für die diese Reise ausgeschrieben wurde, auf wohlwollende Weise selbst, ohne es mitzubekommen. Der Kaviarvorrat von 35 Kilogramm reicht trotzdem nur geradeso bis Singapur. Und auch der durchschnittliche Konsum von rund zwei Flaschen Champagner pro Passagier und Woche sinkt nicht spürbar. So viel Genuss muss dann doch sein.

Geradezu selbstverständlich wird der Sport auf Kreuzfahrtyachten mit Badeplattform. Schwimmstops und Wassersport gehören zum Tagesprogramm wie Landausflüge und Nachmittagstee. Beim SeaDream Yacht Club erkundigen sich topfitte Senioren auf Mountainbike-Touren besorgt nach dem Zustand der ausschließlich im Flachland fahrenden Jungspunde. Und auf der Star Flyer klettern noch Achtzigjährige in die Masten und probieren sich im Stand-up-Paddling. Selbst die Trendsportarten schaffen es also an Bord. Dazu zählen wohl auch „Flying Pilates“ und „Lachyoga“ – Angebote, bei denen man lieber Mäuschen spielen als mitmachen möchte.

Auch am Abend geht es auf vielen Schiffen noch sportlich zu. Das Fitnessstudio der Norwegian Epic hat bis 23 Uhr geöffnet. Oder wie wäre es mit einer Runde Late-Night-Spinning auf der Europa 2? Dafür dürfen die Gäste von Hapag-Lloyd Cruises auch ein wenig länger schlafen: Die Yogastunde auf der Sonnenterrasse des Spa beginnt erst um acht Uhr morgens. Auf dem warmen Teakholz die müden Glieder zu dehnen und dabei dem Meeresrauschen zu lauschen ist zugegebenermaßen ein ziemlich perfekter Start in den Tag. Zumal das Motto von Yogaguru Patrick Broome lautet: „Yoga kann jeder. Man muss nicht besonders beweglich sein, das kommt mit der Zeit.“ Es geht also im Gegensatz zum hippen Yogastudio in der Großstadt nicht um den perfekten Kopfstand oder die tiefste Dehnung. Sondern einfach nur darum, sich selbst zu spüren. „Ich bin mir selbst in 20 Jahren Yogapraxis nähergekommen und habe gelernt, mich zu ertragen“, verrät Broome. Und er könne nun auch andere besser ertragen. Oder die Stille. Darauf ein Ayurveda-Tee zum Müsli mit frischen Beeren auf dem Balkon der eigenen Suite. Und dann wartet ein Tag in Saigon, das Gegenteil von Stille. Patrick kommt beim Biking durch die wuseligen Straßen an seine Grenzen. Erträgt das Hupen und Knattern der Motorroller. Und freut sich darauf, am nächsten Morgen wieder auf dem Teakdeck alles loslassen zu können.