Liebe Frau Noack-Späth,

wir haben uns nie kennengelernt, Sie waren nie da, wenn ich da war. Letztlich macht das nichts. Ihre Mitarbeiter haben von Ihnen gesprochen: davon erzählt, dass Sie die Seele des Riad Noga seien, es eingerichtet hätten – und lange vorher ­gefunden, gekauft und renoviert hätten. Dort, wo kaum ­jemand etwas wiederfindet und die meisten vom Zufall durch die Gassen gespült werden – und nie wieder dort ­herauskommen, wo sie zuvor schon mal gewesen sind. Mitten in der Medina von Marrakesch, in diesem Labyrinth aus quaderförmigen Häusern, aus Gassen und Plätzen, das angeblich nur richtig durchschaut, wer dort geboren ist.

Dort haben Sie diese zwei nebeneinanderliegenden, traditionellen Häuser erworben, von denen jedes einen eigenen Innenhof hat, auf den die Räume ausgerichtet sind, während die Außenmauern fensterlos und meterdick sind. So wie sich das seit jeher für ein herrschaftliches Anwesen in Marrakesch gehört hat. Diese Wände schlucken jeden Schall, nichts hört man vom Lärm der Gassen. Und sie schließen zugleich jede Außenwirkung aus, sind das Gegenteil von Angeberei.

Sogar das Portal ist eher unscheinbar. In Marrakesch gibt man der Straße nicht preis, wie schön man es hinter der Haustür hat. Nichts ist draußen zu erahnen von der Ornamentik, der Fliesenkunst, von Laternen, Kerzen, aufwendig verzierten Möbeln. Von all dem, was den Zauber des Anwesens ausmacht. Niemand tritt hier durch Zufall herein, Laufkundschaft kann es nicht geben. Wer bei Ihnen wohnt, hat vorher davon erfahren, dass es dieses Hotel gibt, und im Voraus reserviert.

Mein Lieblingsplatz? Ich habe zwei. Einer ist oben auf der Dachterrasse. Wegen des Blicks über die Altstadt in Richtung des zehn Gehminuten entfernten Gauklerplatzes Djemma el Fna, auf die Terrassen der anderen, in deren Innenhöfe. Und über den Rand hinweg hinunter in die Gassen – auf all die, die dort im Strom der Menschen mitschwimmen, nicht ahnen, was hinter diesen Mauern verborgen ist. Und noch etwas: Hier oben ist es so, als könnte man den Ruf des Muezzins mit Händen greifen und ganz kurz festhalten. Er hat rein gar nichts Störendes. Er gehört hierher. Er verrät, wo man ist. Mir vermittelt er sogar das Gefühl, geborgen und beschützt zu sein. Wie Ihr Hotel.

Mein zweiter Lieblingsplatz ist der Innenhof des größeren der beiden Häuser. Manchmal habe ich den ­Eindruck, der warme Abendwind, der alle Geräusche der Stadt über die ­Dächer hinwegschiebt, lässt hier ­einzelne Melodien fallen. Es ist schön, einfach nur zu lauschen – und manchmal etwas zu hören, das es gar nicht gibt, ein anderes Mal Zusammenhänge in Geräusche hineinzuinterpretieren, die es ebenfalls nicht gibt. Es ist so etwas wie ein Puzzlespiel für die Ohren. Und für die Fantasie. Es ist ein Spiel, das nur an wenigen Orten der Welt so gut funktioniert wie hier.

Viele Grüße, Helge Sobik