Als der Franzose Jean-Bernard aus Toulouse am Flughafen in Luxemburg ankommt, fragt er irritiert: Was ist hier eigentlich die Landessprache? Verwundert erfährt er, dass er bei seinem Französisch bleiben kann. Auch Deutsch versteht und spricht hier fast jeder. Und natürlich den eigenen Dialekt, den die Luxemburger als ihre ureigene Sprache lieben: das Lëtzebuergisch, eine Art Moselfränkisch, eine weitere Amtssprache des kleinen Landes. Das klingt dann so: „Moyen.“ Das ist die gemütliche Begrüßungsformel am Morgen, sie passt aber auch tagsüber und am Abend und erinnert damit an das norddeutsche „Moin“. Die Mehrsprachigkeit ist tief im Gemüt der Luxemburger verankert. Jahrhundertelang politischer Spielball der großen Nachbarnationen, sind sie inzwischen europäisches Kernland. „Wir sind Europäer mit dem Herzen“, sagt Patrick Lamesch, der im Vertrieb der Fluggesellschaft Luxair viele Jahre in Auslandsbüros gearbeitet hat.

In der Hauptstadt, die dem ganzen Land den Namen gibt, ist große Politik überall präsent. Wer vom Flughafen mit dem Bus 20 Minuten ins Zentrum fährt, trifft auf dem Kirchbergplateau auf ­Adenauer und Kennedy – als Namen der Boulevards, an denen die Glaspaläste europäischer Institutionen neben denen der im Land so beherrschenden Banken und Versicherungen stehen. Gebäudetechnisch wird geklotzt, Dauerbaustellen sind garantiert. Aber dennoch bitte nicht genervt vorüberfahren. Aussteigen lohnt sich. Denn architektonische Perlen sind zu entdecken.

Da ist die Philharmonie mit ihrer Außenhaut aus 823 stählernen, schmalen Säulen, durch die man ins Innere gelangt. Auf dem Vorplatz stehen seit 2005, als Luxemburg den Vorsitz des Rates der Europäischen Union innehatte, so viele Platanen, wie es EU-Mitgliedsländer gibt, alle mit Beschriftung und dem Eintrittsjahr in die Gemeinschaft. Am Baum Großbritanniens wurde inzwischen neben dem Beitrittsjahr 1973 mit schwarzer Sprühfarbe das Brexit-Jahr 2016 ergänzt – plus dem Zusatz „RIP“ für die lateinische Kurzversion von „Ruhe in Frieden“.

Zwischen einzelnen Bereichen der Stadt liegen tiefe Täler

Ein Muss ist der Besuch des Mudam gleich nebenan, des Musée d’Art Mo­derne; ein futuristischer Bau des chinesisch-amerikanischen Architekten leoh Ming Pei, der trotz seiner gerade vollendeten 100 Jahre immer noch künst­lerisch tätig ist. Bekannt ist es als Pei-Museum, obwohl das Haus eigentlich den Namen des Großherzogs Jean trägt, des Vaters des derzeit amtierenden Staatsoberhaupts Henri von Nassau. Das Museum mit lichtdurchfluteten, gläsernen Dachelementen grenzt an das von den Preußen errichtete Fort Thüngen mit seinen charakteristischen drei untersetzt wirkenden Türmen und den drei goldenen Eicheln auf den Spitzen. Die mächtigen Mauern beherbergen das Museum über die Festungsgeschichte, es wurde 2012 eröffnet, sechs Jahre nach Fertigstellung des Mudam, dem es sogar seine Existenz verdankt. Denn gegen erste Mudam-Pläne hatte es massive Kritik gegeben, weil viele Luxemburger um die Ruinen des Forts an dieser prägnanten Stelle fürchteten. Heute bilden beide Bauwerke ein harmonisches Ensemble, was denen wie ein Wunder erscheint, die das Kirchberg-Plateau noch als bewaldete und landwirtschaftlich genutzte Fläche aus den 60er-Jahren kennen.

Von der Hochebene des Forts geht der Blick auf das historische Zentrum. Alles ist hier Luftlinie nur einige Hundert Meter entfernt. Aber das täuscht. Denn zwischen Kirchberg und der Altstadt mit den quirligen Einkaufsgässchen liegen tiefe Täler, die Luxemburg zum strategisch sicheren Ort gemacht haben und die überquert werden wollen. Zum Beispiel über die Adolph-Brücke, mit 153 Metern eine der größten Steinbogenbrücken der Welt, oder die stählerne Großherzogin-Charlotte-Brücke, die angesichts ihres Wortungetüms bei Einheimischen „rote Brücke“ heißt.

Manchmal reicht auch ein Lift, um die Höhenunterschiede zu überwinden, wie vom Park Pescatore in der Oberstadt hinunter in den Stadtteil Pfaffen­thal, wo sich das Flüsschen Alzette an Felsen, Altstadthäuschen, Gärten und alten Klostergemäuern vorbeischlängelt. Aus der gläsernen Aufzuganlage für zwölf Personen, Juli 2016 eröffnet, gibt es gratis eine grandiose Rundumsicht.

Was ist sonst noch sehenswert? Die Kasematten, die Luxemburg den Beinamen Gibraltar des Nordens einbrachten: das in den Fels geschlagene, unter­irdische Labyrinth der Verteidigungs­anlagen mit einem 23 Kilometer langen Gängesystem, das in Teilen besichtigt werden kann; das Mahnmal der Gëlle Frau, der Goldenen Frau, das an die Opfer des Ersten Weltkriegs erinnert und von den deutschen Besatzern 1940 beseitigt wurde. Die 1923 vom Bildhauer Claus Cito geschaffene Figur blieb jahrzehntelang verschollen, bis man sie 1980 zufällig bei Bauarbeiten unter der Tribüne des Fußballstadions entdeckte.

Die Gemeinde Diekirch hat eine sehr alte Brautradition

Der großherzogliche Palast in der Altstadt am Krautmarkt wird am Nationalfeiertag, am 23. Juni, bejubelt, dann wird die Adelsfamilie von der Balkonbrüstung winken. Der Palast entstand aus dem früheren Rathaus, aus Stadtwaage und Turm, die Großherzog Adolph von Nassau-Weilburg zu einem Gebäude vereinen ließ. Das war 1890, für die Luxemburger eine Art nationales Geburtsdatum, denn seitdem haben sie ihre eigene Herrscherfamilie – auch Symbol für das Ende langer Fremdherrschaft.

Dabei waren unter den fremden Einflüssen durchaus solche, die das Luxemburg von heute noch ein wenig sympathischer machen, zum Beispiel wegen der ureigenen Mischung aus bodenständiger Küche, wie sie auch auf der deutschen Seite der Mosel gepflegt wird, mit der französischen Lebensart. Die „Brasserie Guillaume“ am Platz Guillaume (Spezialität Hummer und Austern) könnte auch in Paris beheimatet sein.

Deftiger geht es im Umland zu, in der Heimat des berühmten Schinkens, wenige Kilometer nördlich der Metropole, im Hügelland der Luxemburger Ardennen. Die lassen sich prima zu Fuß oder auf dem gut ausgebauten Radwegenetz erkunden. Lokale Wanderführer zeigen Natur- und Kulturschätze, zum Beispiel im Naturwanderpark Delux.

Auf einer Schlösserrundfahrt lassen sich fünf Burgen und Schlösser erkunden. Freunde historischer Fotos werden das Schloss Clervaux ansteuern mit seiner Fotodauerausstellung „The Family of Man“, von dem in Luxemburg gebo­renen Amerikaner Edward Steichen 1955 für das New Yorker MoMA mit Motiven aus aller Welt zusammengestellt und seit 2003 mit dem Titel Weltdokumentenerbe geadelt – faszinierende Schwarz-Weiß-Bilder aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Zeitgeschichtlich Nachdenkliches mit mehr als 100.000 Ausstellungs­stücken zeigt das militärgeschichtliche Museum in Diekirch über die Ardennen-Offensive einige Monate vor Ende des Zweiten Weltkriegs, eine gnadenlose Menschen- und Materialschlacht. Sie ist in den Wäldern immer noch präsent. „Im Wochenrhythmus werden uns Fundstücke übergeben, Waffen- und Munitionsteile“, sagt Benoit Niederkorn vom Museum. Ein erschreckender Befund über die Dimension von Hitlers letztem Angriff mit knapp 40.000 Toten. Das Konzept der Ausstellung: Ort der Versöhnung zu sein.

Diekirch, Treffpunkt für Camper und Biker, hat eine jahrhundertealte Brautraditon. Die vor einigen Jahren geplante Verlagerung der Bierproduktion wurde mit einer Protestkampagne verhindert, erzählen die Diekircher stolz. Dass sie Sinn für Humor haben, beweist eine aktuelle Episode aus dem „Stadt der Esel“ genannten Ardennen­ort. Auf das Lasttier waren die Bauern früher ­angewiesen, um Felder und Weinberge zu bewirtschaften. Eine Goldesel-Skulptur im Zentrum verehrt das Tier. Als kürzlich der Kirchturm eingerüstet war, ließ der Bürgermeister nachts, bevor das Gerüst abgebaut wurde, heimlich einen „Wetteresel“ auf die Turmspitze montieren. So hat Diekirch, Stadt der Esel, seinem Namen wieder Ehre gemacht – und eine Sehenswürdigkeit mehr.